Kaiserslautern Oh Yeah

In den knapp zwei Jahren, in denen man öffentlich nur sporadisch von ihm gehört hat, ist Clueso nicht untätig gewesen. Der 34-jährige Musiker hat ein eigenes Plattenlabel gegründet, Produzieren gelernt und Songs für sein neues Album aufgenommen, das „Stadtrandlichter“ heißt und heute erscheint. Und manchmal, da hing er einfach nur rum, mit seinem Opa am See oder in den Cafés seiner geliebten Heimatstadt Erfurt.

Alles fängt an mit einer kleinen Irritation. Ein Automotor wird gestartet, der Schlüssel klappert noch im Zündschloss. Erst nach einer sekundenbruchteillangen Pause geht es los. Mit dem Song und mit dem Aufbruch in ein neues Leben. „Pack deine Sachen“ heißt auf dem neuen Album des Sängers und Songschreibers Clueso der erste, die Richtung weisende Song: schwerer Text, leichte Musik. Nur an wenigen Stellen, wie bei der ersten Single, „Freidrehen“, sind in der folgenden knappen Stunde die Zeilen ähnlich locker-luftig wie die Gitarrenklänge. Im wahren Leben hat Thomas Hübner, wie Clueso dort heißt, nicht einmal einen Führerschein. Fahren lässt er sich am liebsten von seinem 84-jährigen Großvater Horst, einem wohl richtig coolen Kapuzenpulli-Opa. Wenn sie gemeinsam zum Angeln unterwegs sind, laufen im Auto Arbeiterlieder, die der 50 Jahre jüngere Enkel mit dem Opa parallel zu denen seiner neuen Platte aufgenommen hat. Nicht für die Öffentlichkeit, nur für die Familie. „Er klingt, wie wahrscheinlich jeder 84-jährige Opa, wie Johnny Cash auf Deutsch“, sagt Clueso vor einer Woche in Baden-Baden ins Telefon, am Ende einer Promotour samt Interviewmarathon. Anders als sein Großvater, „ein großer Narzisst“, hört Clueso seine eigenen Platten nicht mehr an, wie er sagt. Nun, es wird genug andere Leute geben, die es tun. Der ganz große, an die Spitze der Charts stürmende Kracher wird sich aus dem Album trotzdem nicht entwickeln. Dafür fehlen die spektakulären Songs, die zu Hymnen gewordenen Hits der früheren Jahre, „Chicago“, „So sehr dabei“, „Keinen Zentimeter“ oder „Gewinner“: „An allem, was man sagt, an allem, was man sagt, ist auch was dran …“ Heino dürfte wohl diesmal nichts finden, das er covern könnte? Lachen in Baden-Baden. „Da, glaube ich, werden wir noch enttäuscht werden. Es kann schon sein, dass Heino oder einer dieser Heinis noch mal kommt und etwas singt, von dem man es nicht denkt.“ Wenn Clueso mit – nennen wir sie ruhig despektierlich Opas – zusammenarbeitet, dann mit denen von der coolen Sorte. Wie eben seinem eigenen. Als Wolfgang Niedecken, der Frontmann der Kölschrockband Bap, bei Cluesos wunderschönem Silvesterkonzert 2012 in Erfurt für einige Songs mit auf der Bühne der Messehalle stand, fragte man sich schon, ob da nicht etwas vom Glanz des Jüngeren auf den Älteren strahlte statt umgekehrt. Schließlich ist Niedecken, 63, in letzter Zeit vor allem dadurch aufgefallen, dass er überall und immer wieder die sicherlich tragische, aber mittlerweile zur Talkshow-Anekdote degradierte Geschichte seines Schlaganfalls zum Besten gab. Seinen bisher größten kommerziellen Erfolg mit rund 300.000 verkauften Singles verdankt Clueso wiederum Udo Lindenberg: Für sein „Live aus dem Hotel Atlantic“-Unplugged-Konzert nahmen die beiden die alte Schnulze „Cello“ noch einmal auf. Es war die stets irgendwo zwischen soft und leicht kaputt changierende Stimme Cluesos, die dem Song seine Prägung gab. Auf „Stadtrandlichter“ sind der 34-Jährige und der 68-Jährige wieder mit einem Duett vertreten, mit „Sein Song“. Der mit seinem Retro-Sound und einem eingestreuten „Oh Yeah“ wieder so einen kleinen Moment der Irritation auslöst. Und in dem es heißt, der Protagonist wünsche sich, „dass jeder, den er mag, seine Lieder kennt“. Ist das so? Nicht umgekehrt? „Ich will, dass in erster Linie die Kollegen meine Musik geil finden und dann die Fans, das ist schon ein Anspruch, den ich habe“, sagt Clueso und erzählt, welche Ehre es für ihn gewesen sei, auf einer Gedenkfeier für den verstorbenen Hamburger Sänger Nils Koppruch einen Song singen zu dürfen – und wie warm er von Kollegen, deren Werke er sehr schätze, empfangen worden sei. „Obwohl ich in der Popwelt erfolgreicher bin, wird meine Musik anerkannt, und das tut wahnsinnig gut. Das habe ich mir immer gewünscht.“ Will man im Familien-Bild bleiben, könnte man sagen, dass Clueso selbst für diese vielen jungen, auf Deutsch singenden Künstler mit der Gitarre in der Hand und den großen Gefühlen im Herzen der große Bruder ist, vielleicht der Onkel gar. Der Tim Bendzko, Johannes Oerding, Max Prosa und wie sie alle heißen mögen, immer ein paar Schritte voraus sein wird. Weil man nur eine einzige Zeile hören muss, um den – und mag er sich auch noch so sehr verändert haben – typischen Clueso-Sound zu erkennen. Und weil sein Selbstbewusstsein Recht behalten wird, mit dem er schon vor vielen Monaten für seine Herbst-Tour die großen Hallen gebucht hat. Es wird voll werden. Und es wird, ziemlich sicher, toll werden.

x