Kaiserslautern Ohne Idealismus geht’s gar nicht

Schonungslose Offenheit prägte den 23. Talk: Autorin Madeleine Giese, Bildhauer Reiner Mährlein, RHEINPFALZ-Redakteur Fabian R.
Schonungslose Offenheit prägte den 23. Talk: Autorin Madeleine Giese, Bildhauer Reiner Mährlein, RHEINPFALZ-Redakteur Fabian R. Lovisa, Schauspielerin Simone Wagner, Sänger Christian Sist.

Der 23. Talk der Freunde des Pfalztheaters in der Lounge packte ein heißes Eisen an: „Wie brotlos ist die Kunst?“ ist zwar ein Dauerbrenner für alle Kunstschaffenden, gilt aber auch besonders für Theaterberufe, was zu entsprechender Resonanz führte. Der Künstler als Mittler zwischen den Welten ist dabei auch am Pfalztheater eine idealisierte Vorstellung, was in Spielplanmottos wie „Fremde Welt! Vertraute Welt“ (2016/17) oder eklatant in „Wertvoll“ der laufenden Saison zum Ausdruck kommt. Spiegelt sich das gestiegene gesellschafts- und kulturpolitische Bewusstsein jedoch in der Bezahlung wider?

RHEINPFALZ-Kulturredakteur und Moderator der Talkreihe, Fabian R. Lovisa, sorgte für einen plakativen Themeneinstieg mit alarmierenden Zahlen: In einer Gegenüberstellung der Jahre 1990/91 mit 2011/12 wurde zwar ersichtlich, dass die Theater inflationsbereinigt rund zehn Prozent mehr Geld zur Verfügung haben. Dabei ist das festangestellte Personal um 20 Prozent reduziert worden. Das Realeinkommen habe sich im Falle der Schauspieler sogar halbiert. Mit dem Brutto-Durchschnittseinkommen von 2500 Euro wurde der gesellschaftliche Konsens über Kulturförderung in Frage gestellt. Simone Wagner repräsentierte als Schauspielerin und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Schauspiel auch die Kino- und Fernsehszene. Sie beschrieb die fehlende Planungssicherheit selbst bei Filmstars wie Hannelore Hoger, die sich nach eigenen Angaben ein Rentendasein gar nicht leisten könne. Ein ähnlich düsteres Bild zeichnete die Kaiserslauterer Schauspielerin und (Bühnen)autorin Madeleine Giese, die für die rund 3200 bei der Künstlersozialkasse gemeldeten Autoren ein jährliches Durchschnittseinkommen von 13.500 Euro für Männer und rund 10.000 Euro bei Frauen nannte. Sie führte weiter aus, dass 95 Prozent der Autoren von ihrer Tätigkeit nicht leben könnten. Auch differenzierte sie zwischen Lohn-Schreiberei und eigentlicher Kunst. Nur durch Vielschreiberei könne man/frau überleben. Mehrere Standbeine zur Existenzabsicherung prägen das Berufsbild des Künstlers. Dies gilt auch für den in Rothselberg lebenden Bildenden Künstler Reiner Mährlein, da er noch eine Lehrtätigkeit in begrenztem Umfang ausübt. Künstlerisch ist er idealistisch genug, um allein durch die bevorzugte Werkstoffwahl mit Stahl und Granit kostenintensiv und nach künstlerischen und nicht wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu gestalten. Mährlein gab einen Zweidrittel- (Lehrtätigkeit) zu Eindrittelmix (Verkäufe) an, wobei die Aufträge aus Kunst am Bau einen hohen Stellenwert einnähmen. Christian Sist, der aus Klagenfurt stammende Bass-Bariton mit vielfachen Bühnenverpflichtungen und außerdem studierte Wirtschaftswissenschaftler, betonte die positiven Auswirkungen von Kulturarbeit: Untersuchungen zeigten, dass mehr Menschen Theateraufführungen besuchten als Bundesligaspiele. Dem hielt der die Organisation „Art but fair“ vertretende Österreicher eine Internet-Plattform entgegen: „ Die traurigsten und unverschämtesten Künstler-Gagen“. Eine Investition im Kulturbereich – etwa durch Theaterneubauten – sei dagegen über den Return of Investment eine überaus lohnende Sache, wie er auch mit Beispielen aus Linz und Wien belegte. Alle Diskutanten sahen in der Präsenz sowie der Berater- und Vermittlerfunktion von Verbänden und der Veröffentlichung von schockierenden Gagen am Rande des Existenzminimums den Beginn eines Bewusstseinswandels. Simone Wagner hofft dabei auf Zusammenschlüsse zu größeren Verbänden und so auf mehr Effizienz. Aus dem Publikum meldete sich der Kabarettist Wolfgang Marschall zu Wort und führte vor Augen, dass er sich selbst nach schwerer Erkrankung eine anschließende Kur nicht erlauben könne, weil er den Verdienstausfall nicht kompensieren könne. Seinen hochgerechneten Stundenlohn ermittelte er mit fünf Euro und nannte unternehmerisches Risiko und Zusatzkosten wie Saalmieten als weitere Belastungen. Michael Krauss, Vorsitzender des Theater-Fördervereins, beklagte einmal mehr das Fehlen eines Kulturfördergesetzes und so von Planungssicherheit in Rheinland-Pfalz, das auch Schlusslicht in der kulturellen Pro-Kopf-Förderung sei.

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