Kaiserslautern Packender Spielwitz und ergreifende Stimmungsbilder

Natürlich hatte das dritte Ensemblekonzert der Deutschen Radio Philharmonie (DRP) am Sonntag im SWR-Studio vor allem kompositorisch und interpretatorisch viel Potenzial. Gleichzeitig unterwarfen die Ausführenden diese Kammermusiken für Streicherbesetzung einer ausgeklügelten Konzeption. Und so entdeckte man auch biographische und werkimmanente Zusammenhänge oder Unterschiede.

Wer kennt nicht das volkstümliche Lied über die „zehn kleinen Negerlein“, die immer weniger werden? Umgekehrt, wie beim Hinzuziehen von Orgelregistern, war das Konzert aufgebaut: Es wurden immer mehr Spieler, über Quartett zum Quintett und Sextett verdichtete sich der Klang. Besonderheiten fand man aber auch biographisch bei den ausgewählten Komponisten, wobei SR-Moderatorin Gabi Szarvas manches im Interview mit dem mitwirkenden Geiger Christoph Mentzel herauskitzelte. So äußerte sich der erste Komponist, Mauricio Kagel (1931 bis 2008): „Eigentlich fühle ich mich überall fremd.“ Kagel wuchs in Buenos Aires auf und lebte dann lange in Köln. Das „Fremdeln“ und die offenbar fehlende Identifikation mit „Land und Leuten“ hatte – zumindest beim aufgeführten – Streichquartett kompositorische Auswirkungen. Während Komponisten von Brahms über Bartok sich auch folkloristischer Idiome ihrer Heimat oder Wahlheimat bedienten, wirkt dieses Quartett akademisch. Will sagen: Die Violinen von Ulrike Hein-Hesse und Christoph Mentzel, die Bratsche von Jessica Sommer und der Cellopart von Claudia Limperg bringen als thematischen Gedanken eben keine bearbeiteten oder paraphrasierten Weisen und Tänze im Volkston. Sondern eine Art von Drehfiguren, die scheinbar um sich selbst kreisen und den Gedanken an ein Perpetuum Mobile aufkommen lassen. Das sich zunehmende Verdichten und Verändern im Klang kam hier gut zum Ausdruck. Die Gattung Streichquintett bringt meist eine Verdopplung des Celloparts mit sich, seltener – wie hier beim Beethoven-Quintett – eine zweite Viola ( mit Irmelin Thomsen). Zudem übernahm hier Elisabeth Woll den Cellopart, was sich alles interpretatorisch ohne Nahtstellen vollzog. Beethoven reizte am erweiterten Quintett mehr die klangliche Seite, das registerhafte Hinzuziehen und Verändern von Klangfarben. Weniger als bei den Streichquartetten, zeigte er seine geniale Meisterschaft in der Bearbeitung und Gegenüberstellung sowie Auflösung oder Umkehrung von Themen. Mit der intervallischen Drehbewegung des Hauptthemas im Kopfsatz zeigte sich eine Analogie zu Kagel. Das Adagio gelang in dieser beseelten Aufführung in klanglicher Ausgewogenheit und subtiler Ausbalancierung als ergreifendes Stimmungsbild. Und das Scherzo lebt von einem Urmotiv der Dreiklangsbrechung, das einem auch bei Sinfonien zu Beginn (Nr. 3 und 5 etwa) begegnet und das zur Keimzelle des hier organisch entwickelten Satzes wird. Die Kunst der Charakterisierung und Stilisierung aller Sätze ist die eine Seite der Medaille dieser Aufführung. Hinsichtlich Spielwitz, packendem Zugriff und Virtuosität bedurfte es nicht nur des rauschenden Finalsatzes, diese Attribute wurden schon zuvor ausgespielt. Dennoch war das finale Presto in seinem Spielwitz und seiner auftrumpfenden Brillanz unübertroffen. Nach der Pause dann das Streichsextett von Rimskij-Korsakow mit zwei Celli, das wiederum einige Besonderheiten beinhaltet: Der zweite Satz ist eine kompliziert verwobene sechsstimmige Fuge, was allein schon nur von solch überlegen analysierenden und technisch versierten Instrumentalisten in dieser hohen Qualität bewältigt werden kann. Das Verschmelzen satztechnischer Finessen mit Tanzrhythmen (etwa Saltarello) oder Rondoformen machen diese Kammermusik zu einer Entdeckung, wenn auch das Werk bei einem Wettbewerb damals und heute in den Spielplänen sich nicht durchsetzte. Schade. Die schwelgerisch ausgekostete Melodik erschließt sich allerdings auch erst bei diesem überaus hohen interpretatorischen Standard.

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