Kaiserslautern Pfalztheater spielt im Seniorenheim

Schauspieldebütantin Karola Ludwig und Tänzer Evan Macrae Williams als „Erträumter Besuch“: Szene aus dem Pfalztheater-Projekt i
Schauspieldebütantin Karola Ludwig und Tänzer Evan Macrae Williams als »Erträumter Besuch«: Szene aus dem Pfalztheater-Projekt im Seniorenhaus in Kaiserslautern.

Ein berührendes und anregendes Theater-Experiment, das nachdenklich macht und auf magische Weise freudig stimmt. Das Pfalztheater spielt im Seniorenheim ein Stück übers Alter und Altern. Mit Alten und für Alte, aber auch für Zuschauer diesseits des Renteneintritts. Ein Stück über Würde und Liebe und auf gar keinen Fall über Endstationen.

Das am Samstag im Kaiserslauterer Alex-Müller-Seniorenhaus uraufgeführte Stück heißt „Am Fenster dazwischen“. Es handelt sich um „ein spartenübergreifendes Stationen-Theater“ – ein Projekt also, das dem aktuellen Trend von „Immersion“, „Partizipation“ und „Interaktion“ folgt. Aber derlei aufgeblasene Wichtigtuer-Vokabeln aus dem akademischen (Fremd-) Wörterbuch hat dieses beflügelnd beflügelte Gemeinschaftswerk von Profis und Laien überhaupt nicht nötig. Es spricht für sich und wirkt für sich.

Hinter dem Projekt steht die Berliner Schauspielerin und Regisseurin Franziska Geyer, die vor einem Jahr als „Vermittlerin“ ans Pfalztheater gekommen ist. Gemeinsam mit Bewohner(inne)n des Seniorenheims hat sie kleine Geschichten aus deren Alltag zusammengetragen und vom Drehbuchautor Arne Dechow in Form bringen lassen. Herausgekommen ist ein Werk der Fülle und Hingabe, der Hoffnung und Lebensfreude. Ein Werk übers Leben.

Fernab vom Klischee

In den realen Räumlichkeiten des Wohn- und Pflegeheims agieren professionelle Schauspieler, das Ballettkorps sowie Vokal- und Instrumentalmusiker Seit’ an Seit’ mit den Menschen, die hier leben. Und die sind gut. Ihr Spiel kommt gänzlich ohne das Geschrei, die übertriebenen Gesten und falschen Betonungen aus, die Laienaufführungen so nervig machen. Hier ist alles authentisch, ungekünstelt, voller Würde. Fernab von jeder Klischeehaftigkeit.

Nach einem Auftakt mit dem Kinder- und Jugendchor (Leitung: Jacob Bass) im „Garten mit Hinlauftendenz“ geleitet Zeremonienmeister Andreas Neigel (in der Premiere: Philipp Müller) zu den einzelnen Zimmern; die Pfalztheater- und Bayreuth-Bühnenbildnerin Zoë Leutnant hat sie dezent gestaltet. Dort geht es um existenzielle, ohne falsches Pathos aufbereitete Fragen. Ein paar davon zählt das Programm auf: „Wohin richten wir den Blick am Ende unseres Lebens? Was geht uns noch etwas an? Wovon träumen wir noch?“

So dein zu sein auf ewig

Die Nachwuchs-Aktrice Runa Malin Thomas spielt stumm und schlicht eine Putzfrau, die im Zimmer eines soeben Verstorbenen dessen Armbanduhren-Sammlung entdeckt. Dazu erklingt die Stimme des Pfalztheater-Stars Rainer Furch, der Dechows simple und dennoch tiefschürfende Gedanken über Zeit und Vergänglichkeit vorträgt. Seine Kollegin Maria Schubert (die kürzlich in „Arsen und Spitzenhäubchen“ eine der mörderischen Greisinnen gespielt hat) erscheint als Traumgestalt eines Ramsteiner Flugtag-Opfers. Ihr Partner ist der sonore Alex-Müller-Bewohner Horst Schaumlöffel als Ex-Bankier, der ihr seine Liebe zu Lebzeiten nie eingestanden hat.

Sieglinde Steponat und Ulrich Knopke spielen ein Altersheim-Pärchen, das sich im Doppelzimmer behutsam und nicht ohne Hindernisse näherkommt. Dazu singen Valerie Geis und Yuhui Llang das Liebesduett aus Mozarts „Don Giovanni“: „So dein zu sein auf ewig./ Wie glücklich, o wie selig,/ wie selig werd„ ich sein.“

Tanzkönig mit Rollator

Karola Ludwig sitzt wortlos im Rollstuhl und denkt an ihren Sohn, der in Kanada lebt und weder kommen kann noch will. „Erträumter Besuch“ heißt diese eindringliche Szene, dem so ersehnten Abwesenden gibt der Tänzer Evan Macrae Williams ergreifende Kontur. Später führen er und seine Kolleginnen sogar noch etwas vor, was es im Ballett so gut wie nie gibt: Komik und Ironie, etwa bei den „Caprifischern“ im Finale. Dann erscheinen auch noch Hedwig Degen, Gisela Käfer und Hans-Jürgen Westrich als Rollatoren-Tanzkönig.

Aber vorgeführt wird hier niemand. Alles ist eindrucksvoll und aus einem Guss, weder gravitätisch noch albern. Auf die denkbar beiläufigste Art werden Fragen zum Sinn des Lebens und Sterbens aufgeworfen, zu Hoffnung und Einsamkeit, Erinnerungen und Entbehrungen, Vergangenheit und Zukunftsträumen. Abgedroschene Klischees von komischen Alten und unwürdigen Greisinnen gibt es nicht. Es gibt nur Beseeltheit.

Großartig. Unbedingt hingehen. Und bitte mehr davon.

Info

Weitere Aufführungen am Sonntag, 6. Oktober, 15 Uhr, sowie am 12. und 18. Oktober, jeweils 18 Uhr, im Awo-Seniorenhaus „Alex Müller“, Donnersbergstraße, Kaiserslautern.
Karten und Infos über die Internetseite www.pfalztheater.de

P. S.

Zurzeit fahre ich tagtäglich fast 40 Kilometer in ein Seniorenheim. Nicht in Kaiserslautern, nicht von diesem Träger. Meine 88 Jahre alte Mutter hat sich Ende April daheim den Oberschenkelhals gebrochen. Sie musste operiert werden und dann bis Mitte Juli in die Kurzzeitpflege. Dann erst hatten wir mit viel Mühe einen Reha-Platz erfleht, erbettelt und ergattert.

Anschließend konnte sie endlich in die eigene Wohnung zurückkehren – und brach sich nach zehn Tagen dasselbe Bein noch einmal. Wieder Krankenhaus, wieder OP, wieder Pflegeheim, wieder Suche nach einer freien Reha-Klinik. Sie dauert immer noch an.

Telefoniererei mit diversen Kliniken, Versicherungen, Ärzten. Immer Warteschlangen, Wartezimmer, Wartelisten.

Wegen Überlastung und Personalnot kommt kein Physiotherapeut ins Heim. Das Taxi fährt mal zur falschen Uhrzeit, mal zur falschen Praxis. Im Heim reicht das Personal nicht aus, ist manchmal gestresst und kurz angebunden. Mit meinen Fragen und Wünschen lande ich grundsätzlich bei dem oder der, die nicht zuständig sind. Und/oder jeweils grad keine Ahnung haben. Meine Lieblingsantwort: „Ich geb’s weiter.“

Bis auf Weiteres muss meine Mutter bleiben. Gehübungen macht sie mit mir. Ich suche weiter nach einer Reha-Klinik und hänge in Warteschleifen. Auch eine passende Pflegekraft für daheim muss wieder gefunden werden. Nebenbei arbeite ich in meinem Beruf.

Außer mir geht das Millionen weiterer Deutschen so. Was können wir, unsere Eltern und Großeltern bloß tun?

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