Kaiserslautern Schiff und Seele in rauer See

Mit einer musikalisch packenden und in allen Teilen hochkarätigen, szenisch dagegen nicht ganz unproblematischen Produktion von Wagners „Tristan und Isolde“ wurden die vierten Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker im Festspielhaus Baden-Baden eröffnet.

Nicht zum ersten Mal dirigierte Sir Simon Rattle Wagners „Tristan“-Musik im Festspielhaus. 2010 hatte er hier den zweiten Akt in historischer Aufführungspraxis und mit einem Ensemble auf alten Instrumenten konzertant aufgeführt. Das war eine spannende Sache und klangliche Entdeckung. Damals war übrigens wie jetzt Sarah Connolly die Brangäne. Und Stephen Milling, der Marke, hatte diese Rolle schon 2007 bei einem aus Glyndebourne übernommenen „Tristan“ in Baden-Baden gesungen. Diesmal entstand die Inszenierung, die später in Warschau, an der Met in New York und in Peking laufen wird, im Festspielhaus. Und in dieser Besetzung und mit den Berliner Philharmonikern ist sie nur an der Oos zu erleben. Das Orchester unter seinem in zwei Jahren scheidenden Chefdirigenten ist denn auch – wie nicht anders zu erwarten – das große Ereignis der Produktion. Zwar lief bei der Premiere im Vorspiel noch nicht alles ganz rund, aber rasch entstand im ersten Akt ein zwingender dynamischer Sog und eine bewegende Leidenschaft, die bis zum Liebestod trug. Sir Simon legt freilich nicht nur auf Ausdruck und Spannung großen Wert. Er durchleuchtet die Partitur sehr genau. Ein vielfarbiger und luftiger Klang ist ihm wichtig. Das lässt viele meist überhörte Details spürbar werden. Ein Faszinosum ist einmal mehr die immense dynamische Spannweite der Elite-Orchesters aus der Hauptstadt. Auch in seiner Disposition der Zeit ist Rattle sehr differenziert. Er treibt in erregten Momenten sein Orchester an, lässt sich in elegische Partien – zum Beispiel bei Markes Monolog – aber auch mal viel Zeit. Wahrscheinlich werden die beiden konzertanten Aufführungen in der Berliner Philharmonie in der Woche nach Ostern die Vorzüge dieser ebenso glutvollen wie durchdachten Wagner-Interpretation noch besser zur Wirkung bringen. Im Festspielhaus gab es nämlich zu den Klangwogen aus dem Orchestergraben viele, manchmal vielleicht zu viele optische Reize. Schon zum Vorspiel wurden in einem Videofilm die Grundlinien der Inszenierung vorgestellt. Die Handlung spielt auf einem Kriegsschiff, das in rauer See unterwegs ist – was realistisch und psychologisch gedeutet werden kann. Zu sehen ist schon hier auch der Vater von Tristan, der seinen Sohn in Wirklichkeit nie gekannt hat, weil er schon vor dessen Geburt starb. Im dritten Akt, bei dem offen bleibt, ob er nur der Imagination des kranken Helden entspringt, treten Tristan als Kind und sein Vater wieder auf. Isolde gibt sich hier den Drogentod. Mariucz Trelinski bietet mit Boris Kudlicka (Bühne), Marek Adamski (Kostüme), Marc Heinz (Licht) und Bartek Macias (Video) einen aufwendiges und dramaturgisch gewiss nicht unschlüssigen „Tristan“. Vieles von der Konzeption ist freilich mehr zu erahnen als zu sehen (oder steht, wie häufig in solchen Fällen, im Programmheft). Außer den heute üblichen Gewalttätigkeiten ist die Personenführung – besonders in den zentralen Liebesszenen – sehr schwach und konventionell. Nicht zufällig wird der Liebesakt durch aufwallende und fast abstrakte Videosequenzen illustriert. Das Theater hat hier Pause. Als Isolde überzeugt Eva-Maria Westbroek durch ihr nie nachlassendes jugendliches Feuer in Spiel und Gesang sowie ihren sicher geführten, wandlungsfähigen und in allen Lagen tragfähigen Sopran. Stuart Skelton bietet als Tristan viel deutschen Belcanto und gestaltet auch im mörderischen dritten Akt seine Partie vor allem mit nachdrücklich eingesetzten sängerischen Mitteln und nicht mit schierer Lautstärke. Sehr klar in Tongebung und Diktion singt Sarah Connolly die Brangäne. Michael Nagy ist ein energischer Kurwenal, der aber auch mit sehr viel Feinschliff und Stimmkultur singt. Würdevoll und wohlklingend gibt Stephen Milling einen anrührenden „General“ Marke. Vorzüglich sind die kleinen Partien besetzt und klangvoll singen die Herren des Philharmonia Chors Wien. Info Vorstellungen am 22., 25. und 28. März immer um 18 Uhr. Karten unter www.osterfestspiele.de, Telefon 07221 3013-101.

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