Kaiserslautern Theater, das zu den Menschen kommt

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Da sitzt man nun im Musiktheater, was im Grunde doch fester Bestandteil des Kritikeralltags ist, und wähnt sich in einem Paralleluniversum. Alles ist ein wenig anders, wirkt, als sei es aus der Zeit gestürzt. Theater – in diesem Fall Operette – zum Mitnehmen quasi. Im Reiseformat. Theater auf Tour. Tourneetheater eben. Eine ganz eigene Welt. Nachdenken über ein Phänomen, das schon Goethe begeistert hat.

Auf der Bühne spielen sie „Wiener Blut“, und nicht nur die Kostüme erinnern ein wenig an eine Schultheateraufführung. Hübsch bemalte Kulissen werden von Hand verschoben. Alles sieht so aus, wie es vielleicht auch in den Regieanweisungen des Komponisten steht. Völlig unverdorben jedenfalls auch nur durch den kleinsten Anflug einer Regie-Idee schwelgen die Sänger im Dreiviertel-Takt der Strauß-Walzer. Man hat ja der Operette schon immer den Vorwurf des Eskapismus gemacht. Die Menschen tanzten und sangen sich in einer bessere, eine andere Welt. Auch wenn es – wie um die Jahrhundertwende, als die Blütezeit der Operette zu Ende ging – ein Tanz auf dem Vulkan war, der in den Ersten Weltkrieg münden sollte. Doch wer denkt schon an so etwas, wenn er Operetten-Schlager wie „Wiener Blut“, „Heut geh’ ich ins Maxim“ (aus der „Lustigen Witwe“ von Franz Lehár) oder „Brüderlein und Schwesterlein“ (aus der „Fledermaus“ von Johann Strauß) hört? Vor allem: Wer will schon an so etwas denken? Doch irgendwann hat auch das Regietheater die Operette entdeckt. Geradezu legendär sind Inszenierungen der „Fledermaus“ durch Hans Neuenfels in Salzburg und Kálmáns „Csárdásfürstin“ durch Peter Konwitschny in Dresden. In beiden Fällen hatten die empörten Operettenliebhaber fast schon tollwutähnlich Schaum vor dem Mund. In Österreich wurde Neuenfels zum Staatsfeind deklariert. Die zum Teil sehr deftige, jedenfalls drastisch-realistische Regie hatte den rosaroten Operettentraum mit Lust und Wonne zertrümmert. So was tut das Wiener Operettentheater, das mit „Wiener Blut“ durch Deutschland tingelt, nicht. Natürlich nicht. Den Leuten gefällt es genau deshalb. Und auch tourende Schauspielproduktionen von wandernden Theatertruppen, die es in Deutschland – man denke nur an Goethes „Wilhelm Meister“-Romane – seit dem 18. Jahrhundert gibt, sind nicht gerade dafür bekannt, dass sie die Sprechtheater-Regie neu erfinden würden. Wie sollte es auch anders sein? Die Produktionen müssen kompatibel sein mit möglichst vielen auch als Kulturstätten genutzten Mehrzweckhallen. Oftmals verdienen deren Bühnentechniken kaum ihren Namen, was dann eben die Kulissenschieberei erklärt. Und auch der Publikumsgeschmack darf nicht enttäuscht werden. Menschen, die in eine Tournee-Operette gehen, erwarten die heile Welt. Wer sie verschreckt, riskiert als Theaterunternehmen, das ohne Subventionen auskommen muss, seine Existenz. Dementsprechend sind auch die Eintrittspreise. So zahlt man für besagtes „Wiener Blut“ im Mannheimer Rosengarten bis zu 70 Euro. Da wäre eine Karte im Nationaltheater Mannheim oder erst Recht im Pfalztheater günstiger zu haben. Doch dort finanziert der Steuerzahler die Produktionen mit. Das tut er bei den Tourneetheatern nur indirekt. Denn wenn Städte wie Neustadt oder Landau für ihr kommunales Kulturprogramm Tourneetheaterproduktionen einkaufen, die dann in Saalbau oder Jugendstilfesthalle gezeigt werden, dann kommen natürlich auch Steuergelder ins Spiel. Und auch hier muss der für das Programm Verantwortliche genau überlegen: Geht er mit einer zumindest andeutungsweise avancierten Produktion ein Risiko ein, oder setzt er mit Komödie oder eben Operette, womöglich besetzt mit einem Hauptdarsteller, der zumindest eine Fernsehvergangenheit, wenn vielleicht auch keine TV-Gegenwart mehr hat, ganz auf Sicherheit. Klar ist: Der Spardruck in den Kommunen macht auch den Tourneetheatern zu schaffen. Und wenn die Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen, kurz Inthega, dieses Jahr im Oktober wieder zum Theatermarkt nach Bielefeld lädt, wird das für die tourenden Theaterunternehmen zum knallharten Konkurrenzkampf. Sie müssen ihre Produktionen verkaufen, sonst bleiben die Einnahmen aus. Ein öffentliches Theater wird auch dann subventioniert, wenn eine Produktion beim Zuschauer floppt. Deshalb darf und muss das subventionierte Theater auch Risiken eingehen; dem Privattheater wird man nicht vorwerfen dürfen, dass es diese scheut. Organisiert sind diese in der Interessengemeinschaft deutschsprachiger Tournee- und Privattheater. Auf deren Homepage erfährt man zumindest einige wenige Zahlen (schriftliche Anfragen bleiben dagegen unbeantwortet): 2007/08 kamen 2,3 Millionen Besucher zu etwa 5.600 Vorstellungen der Theaterreisetruppen. Zum Vergleich: Die jüngste Statistik des Deutschen Bühnenvereins weist für die öffentlichen Theater in der Spielzeit 2013/14 folgende Zahlen aus: knapp vier Millionen Menschen gingen in die Oper, ins Schauspiel kamen 5,3 Millionen, ins Ballett 1,6 Millionen und ins Musical 1,5 Millionen. Dabei reden wir jedoch über bundesweit 129 öffentliche Theaterunternehmen; in der Interessengemeinschaft der Tourneetheater sind gerade einmal 13 Unternehmen organisiert. Das heißt für die Schauspieler und Sänger: spielen und nochmals spielen, Abend für Abend. Das Rad dreht sich immer weiter, heute hier und morgen da. Ein Leben aus dem Schminkkoffer. Immer eine andere Bühne, immer andere Bedingungen, immer ein anderes Publikum. Da haben es die Kollegen an den Theaterhäusern schon viel, viel einfacher, und umso höher muss mann dann vielleicht auch die Leistung eines tourenden Operettentenors schätzen, auch wenn der leicht zum Knödeln neigt. Und auch aus Sicht des Publikums sollte man das Angebot der Tourneetheater nicht unterschätzen. Schließlich ist es Theater, das zu den Menschen kommt, in die Städte, die über kein eigenes Ensemble verfügen, sei es in Neustadt oder in Landau oder Frankenthal oder in Zweibrücken. Letztlich kann man ja froh sein, wenn Menschen überhaupt ins Theater gehen, auch wenn es vielleicht ein wenig kitschig geraten ist. So lange sie dabei nicht vergessen, dass in erreichbarer Nähe ein Theater steht, das Produktionen anbieten kann und muss, die eben mehr als nur gefallen wollen.

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