Kaiserslautern Umgraben, säen, ernten

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Es war der erste Auftritt von Karl-Heinz Steffens am Pult der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen, nachdem er Ende vergangenen Jahres angekündigt hatte, seinen 2018 auslaufenden Vertrag nicht mehr zu verlängern. Das Programm mit Werken von Richard Strauss – neben dem Spätwerk „Metamorphosen“ noch die Tondichtung „Ein Heldenleben“ – macht bewusst, was wir vermissen werden, wenn Steffens seinen Chefposten in Ludwigshafen geräumt haben wird.

Angefangen hatte Karl-Heinz Steffens 2009 mit einem Konzert im Ludwigshafener Feierabendhaus der BASF. Auf dem Programm: Werke von Mozart, Schönberg und Brahms. Ein irgendwie typisches Programm für ihn, mehrere Jahrhunderte umspannend. Mit den drei großen Bs, die sonst so gerne von den Konzertorchestern bedient werden, also mit Beethoven, Brahms und Bruckner alleine hat er sich eh nie zufriedengegeben. Da war immer eine viel zu große Neugierde, auf neue Musik ebenso wie auf alte. Dennoch gab es einen Bruckner-Zyklus in den vergangenen Jahren ebenso wie großartige Interpretationen der Sinfonien Schumanns, Schuberts und natürlich Brahms’ und Beethovens. Die Staatsphilharmonie hat unter Steffens das eine getan, ohne das andere zu lassen. Sie hat mit Konzertreihen und Festivals wie „Modern Times“ oder „Rebellion im Quadrat“ musikalisches Neuland ebenso betreten, wie sie das klassisch-romantische Repertoire bedient hat. Geht ja auch gar nicht anders bei einem Sinfonieorchester, das vom Land als seinem Träger und Geldgeber auch dezidiert den Auftrag hat, so etwas wie die musikalische Grundversorgung in seiner Heimat zu gewährleisten. Dennoch zeigt sich an dem Selbstbewusstsein, mit dem Intendant Michael Kaufmann heutzutage auch eher sperrige, avancierte Programme durchsetzen kann, wie sich das Ansehen der Staatsphilharmonie in der Ära von Karl-Heinz Steffens verändert hat. Früher bestimmten die Veranstalter vor Ort das Programm. Man war eine Art Bestell- oder Gebrauchsorchester. Die Zeiten sind zum Glück vorbei. Mit Projekten wie Wagners „Ring des Nibelungen“ in Halle und Ludwigshafen oder auch einem Auftritt im berühmten Wiener Musikvereinssaal – um nur zwei Beispiele zu nennen – hat Steffens dafür gesorgt, dass das Orchester ganz anders wahrgenommen wird. Was einst, lange vor Steffens, als Pfalzorchester begann, darf heute tatsächlich als das Orchesterflaggschiff des Landes bezeichnet werden. Er selbst umschreibt das so: „Wir haben das Orchester wieder auf die Landkarte gesetzt.“ Wenn er solche Sätze sagt, dann wirkt das keineswegs arrogant. Selbstbewusst, das schon. Mit jener natürlichen Autorität, mit der er auch am Pult steht. Hierbei hilft ihm natürlich seine immense Erfahrung als Solo-Klarinettist in den besten deutschen Orchestern, von Frankfurt über München bis Berlin. Steffens weiß, was er hören will, und er fordert dabei auch seine Musiker. Kritiker, auch im Orchester, sprechen dann auch schon mal von Überforderung. Solche – nennen wir es mal so – Reibungsverluste sind normal. Bequem kann es sich niemand machen im Orchester, wenn vorne ein Chef steht, der ambitionierte Ziele hat und diese auch konsequent verfolgt. Steffens formulierte das in einem RHEINPFALZ-Interview folgendermaßen: „Ich grabe das Feld um, bevor ich aussäe. Und ich grabe es bis zur letzten Ecke um.“ Das liegt bereits hinter der Staatsphilharmonie, das Umgraben und Aussäen. Im Moment kann geerntet werden. Das Orchester hat in der jüngeren Vergangenheit eine Flexibilität in Bezug auf das Repertoire erreicht, welche die Staatsphilharmonie zuvor nie besessen hatte. Noch einmal in seinen eigenen Worten: „Man muss immer auf die Musik schauen, auf die Musik hören. Und dann werden Sie erkennen: Die musikalischen Grundgesetze sind bei Bartók die gleichen wie bei Brahms oder Beethoven.“ Auch Hierarchien hat Steffens zum Teil durcheinander gewirbelt und gerade bei den Streichern in Stein gemeißelte Sitzordnungen aufgebrochen. Der Erfolg gab und gibt solchen Maßnahmen recht. In bester Kapellmeister-Tradition hat er so ein homogenes, gut abgemischtes Klangideal verwirklicht, bei dem gerade den mittleren und tiefen Streichern eine große Bedeutung zukommt. Besonders deutlich wird dies, wenn man wie am Mittwoch den Orchesterfarben-Zauberer Richard Strauss spielt. Der zeigt zwei ganz unterschiedliche Gesichter an diesem Abend. Vor der Pause zunächst die „Metamorphosen“ für 23 Solostreicher. Ein intonatorisch tückisches Werk, das jeden einzelnen Musiker fordert. Kein Verstecken möglich, wie von einem Scheinwerfer wird jede Stimme ausgeleuchtet, herausgestellt, ins Rampenlicht gezerrt. Die Partitur verzeiht nichts. Auch wenn sie inhaltlich als eine einzige Abbitte zu verstehen ist. Das Weltabschiedswerk eines Mannes, der am Lebensende zwar immer noch nicht bereit ist für die musikalische Moderne, aber wohl doch auch eigene Fehler einsieht. Ein Klagegesang, ohne Worte, angestimmt 1945 angesichts eines in Trümmern liegenden Deutschlands. Wie anders dagegen die geradezu größenwahnsinnige Biografie in Tönen vor der Pause: „Ein Heldenleben“. Strauss meinte das 1898 völlig ironiefrei. Auf der Bühne ist es nun sehr eng geworden. Die Staatsphilharmonie in Größtbesetzung. Man braucht in dem Ludwigshafener Konzertsaal wieder eine Weile, bis man sich in der übermächtigen Klanggewalt zurechtfindet. Dann aber ist man begeistert vom scheidenden Konzertmeister (sein Probejahr läuft aus) Sebastian Casleanu, der auf der Violine „Des Helden Gefährtin“, also die Strauss-Gattin Pauline, verkörpert. „Des Helden Walstatt“ gerät dann zum eruptiven Klanggewitter, aus dem mit großer Emphase das Heldenthema als Sieger hervorgeht. Großartig schließlich, wie Steffens die leicht verschattete, weil immer melancholisch angehauchte Schönheit im Schlussabschnitt „Des Helden Weltflucht und Vollendung“ gestaltet. Da war fast ein Hauch von Abschiedsstimmung im Saal spürbar. Noch können wir uns aber auf mehr als eine Spielzeit mit Karl-Heinz Steffens freuen. Und, ja, natürlich, es gibt auch ein Leben danach. Eines, in dem er als Gastdirigent zurückkehren wird; eines aber auch, in dem ein anderer oder eine andere seine Position einnehmen wird. Und hoffentlich eine neue Ära begründen wird. Die nächsten Monate sind für das Orchester eine Chance, nicht zuletzt, um zu zeigen, dass man auch mit einem Chefdirigenten, dessen Abschied bereits feststeht, intensiv zusammenarbeiten kann. Jene Art von Abschiedsscharmützel, wie man sie leider immer mal wieder in Orchestern in ähnlicher Situation beobachten kann, sollte man sich jedenfalls sparen. Die Nachfolge für Steffens wird sicherlich die wichtigste Personalentscheidung, die Intendant Michael Kaufmann in Ludwigshafen je treffen wird – auch wenn es da ja auch noch eine vom Ministerium eingerichtete Findungskommission gibt. Im Gespräch mit der RHEINPFALZ hat Kaufmann ganz nach oben im Regal gegriffen und bereits Namen wie Ingo Metzmacher ins Spiel gebracht. Wenn ein Dirigent dieser Kategorie tatsächlich nach Ludwigshafen kommen würde, dann wäre das ein weiterer Beweis dafür, wie sehr sich das Renommee des Orchesters verändert hat. Allerdings müsste auch das Land bereit sein, diesen Weg der Staatsphilharmonie weiter mitzugehen. Hier kann man ja durchaus auch die Befürchtung haben, dass so mancher in Mainz sich gerne mit viel weniger zufriedengeben würde. Ein erfolgreiches Orchester nervt und stresst halt, weil der Erfolg auch seinen Preis hat. Allerdings wäre jeder Rückschritt jetzt fatal. Die Zeiten des Pfalzorchesters sind eben doch zum Glück vorbei.

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