Kaiserslautern Unglückliche Zwangsheirat

Mit der Auftragskomposition „Tre Volti – Drei Blicke auf Liebe und Krieg“ wurden am Freitagabend die 66. Schwetzinger Festspiele eröffnet. Die Auftragskomposition von Annette Schlünz auf ein Libretto von Ulrike Draesner hat sich Claudio Monteverdis „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ quasi einverleibt – und sich dabei ziemlich verschluckt. Irgendwie wird zusammengezwungen, was nicht so ganz zusammengehören will.

Mutig ist es ja schon von Heike Hoffmann, der neuen künstlerischen Leiterin, ihre ersten Festspiele gleich mit einer Uraufführung zu beginnen. Obwohl ja die zeitgenössische Musik schon immer einen festen Platz hat in der Dramaturgie der Schwetzinger Festspiele: „Altes wiederentdecken, Neues wagen, dem Nachwuchs eine Chance.“ Ein bisschen wollte dieser Abend aber zu viel, indem er zwei Komponenten zugleich gerecht werden sollte: Altes von Monteverdi wiederentdecken (wobei der Urvater der Oper nun eigentlich nicht mehr als Entdeckung taugt), Neues – von Annette Schlünz – wagen. In „Tre Volti“ werden Neue Musik und Monteverdis Madrigal „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ miteinander verknüpft. Mehr noch als das. Sie werden zusammengezwungen, verbeißen sich geradezu ineinander, was ja immerhin der Handlung der Monteverdi-Vorlage entsprechen würde. In dieser begegnen sich die beiden Liebenden Tancredi und Clorinda auf dem Schlachtfeld, und am Ende einer in höchster Ekstase ebenso wie in unüberwindbarem Hass verbrachten Nacht empfängt die von ihm erschlagene Clorinda sterbend die Taufe aus den Händen Tancredis. Eros und Thanatos, mit Freud also Geschlechts- und Todestrieb, als komplementäre Kräfte. Zum Verwechseln ähnlich. Da muss man gar nicht erst Wagners „Tristan“ bemühen. Bei der Zwangsheirat von Monteverdi und Annette Schlünz bleiben allerdings irgendwo beide auf der Strecke. Die zeitgenössische Musik nimmt dem Madrigal quasi die Luft zum Atmen; Monteverdis „Combattimento“ macht mit jedem einzelnen Ton die ungeheure Fallhöhe zwischen dem Gestern und dem Heute deutlich. Ein sich zur Vergangenheit hin öffnendes Fenster jedenfalls, wie es die Komponistin im Programmheft beschreibt, lässt sich nicht erkennen. Die beiden Werke prallen mit Wucht aufeinander, und es zerschlägt sie gleichsam in Stücke. Wie anders hätte diese Konfrontation wohl ausgehen können, wenn aus der Gleichzeitigkeit ein Nacheinander geworden wäre? Ulrike Draesners Libretto erzählt die uralte Geschichte von Liebe und Krieg, vom Liebeskampf mit tödlichem Ausgang einerseits sehr ab-strakt, andererseits fast schon banal alltäglich ins Heute transferiert. Die Verhältnisse haben sich im Unterschied zu Monteverdi nur verschoben. Clorinda ist die Kriegerin, die mit ihrem Joystick Drohnen auf feindliche Ziele lenkt; Tancredi ist ein Handyverkäufer, dessen Produkte, entsprechend präpariert, zu tödlichen Waffen werden können. Die beiden waren lange zusammen, doch eine in der Waschmaschine verlorene, ihm gleichsam heilige Socke führt zum Bruch. Man muss sich also wenigstens nicht mehr töten, wenn es mit der Liebe vorbei ist. Und, ja, so profan ist die Welt seit Torquato Tasso, der die Vorlage für Monteverdi geschrieben hat, geworden: Heute scheitert alles an einer Socke. Gesangslinien, emphatische Aufschwünge oder rhythmisch prägnante Passagen sucht man vergebens. Es gibt Klangflächen, noch mehr Sprechgesang, verteilt nicht nur auf die von Petra Hoffmann und Dietrich Henschel gesungenen Hauptpartien, sondern auch auf ein Frauen-Quartett, das wie eine Art antiker Chor fungiert. Henschel hat kleinere intonatorische Wackler in den Monteverdi-Passagen, wobei hier wohl auch in die Madrigal-Partitur eingegriffen wurde. Darstellerisch ist ihm dagegen nichts vorzuwerfen, ganz im Gegenteil. Sein Spiel wie auch das von Petra Hoffmann ist von bestechender Intensität. Das gilt auch für die beiden Tänzer, die das zentrale Liebespaar quasi doppeln, sowie für das Frauenquartett. Das Geschehen spielt in der Regie von Ingrid von Wantoch in einem riesigen Gittergerüst (Bühne: Fred Pommerehn). Das wirkt wie eine dieser Käfigarenen, in denen die brutalen Ultimate-Fight-Kämpfe ausgetragen werden. Auch die Musiker – neben Concerto Köln noch fünf Solisten – sitzen mit auf der Bühne. Und alle – bis auf das zentrale Sängerpaar – tragen Helme, die aber irgendwie vielmehr wie Duschhauben aussehen. Ansonsten wechseln sich in den Kostümen von José Luna Pseudomittelalter und Gegenwart ab. Auch hier prallen die Epochen aufeinander. Allerdings nicht ganz so unversöhnlich wie auf der musikalischen Ebene.

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