Kaiserslautern Versuche über das Träumen

Viel Aufregung um etwas, das nicht zu sehen war. Zensurrufe. Der Regisseur aufgebrachter als das Publikum. Wenn Festival-Oper mehr sein soll als Sommerkulinarik, können Martin Kusej und sein Dramaturg Albert Ostermaier mit der „Entführung aus dem Serail“ einen Erfolg verbuchen. Dass die mit Spannung erwartete Mozart-Premiere von Aix eher flaue Gefühle hinterließ, hatte andere Gründe als den Schauplatz-Transfer vom türkischen Palast in ein Beduinenzelt und nicht rollende Köpfe. Für Desillusionierte gab es schließlich doch noch einen Sommernachtstraum.

„Erst geköpft, dann gehangen,/ Dann gespießt auf heiße Stangen;/ Dann verbrannt,/ dann gebunden,/ Und getaucht;/ zuletzt geschunden“: Liest sich wie eine Aufzählung von Gräueltaten islamischer Terroristen, ist aber die Liste dessen, was sich Serailwächter Osmin in Mozarts Oper 1782 so an Strafen für seine europäischen Geiseln vorstellt, unterlegt mit „Janitscharenmusik“: Tschingderassabumm mit großer Trommel, Becken, Triangel und Piccoloflöte. Regisseur Martin Kusej wollte sie am Ende zeigen, die blutigen Köpfe von Belmonte, Konstanze, Pedrillo und Blonde. Festivaldirektor Bernard Foccroulle wollte das nicht, ebenso wenig wie die arabischen Schriftzüge auf einer nun nur noch schwarzen Fahne. Angesichts der jüngsten Anschläge wie jenem von Lyon – ein geköpfter Firmenchef, IS-Fahne und die Verbindung des Attentäters zur islamistischen Terrormiliz -, keine Zensur, sondern ein „Zeichen von Reife“ argumentiert er. Kusej lässt verbreiten, die „vorab zensierte Aufführung“ sei „nurmehr eingeschränkt als die seine“ zu bezeichnen. Es geht also um zwei „entschärfte“ Bilder, eines davon ganz zum Schluss, nach sich dahinschleppenden dreieinhalb Stunden einer Oper, von der schon Kaiser Joseph II. gesagt haben soll: „Zu viele Noten, lieber Mozart.“ Diese sind bei Jérémie Rhorer und dem Freiburger Barockorchester bestens aufgehoben, bis ins kleinste Detail dynamisch abgestuft und fein ziseliert – und so gar nicht passend zum eher groben Pinselstrich auf der Bühne. Der beschränkt sich leider wirklich auf einige wenige starke, manchmal nur platte Bilder, wie sie aus den Schwarz-Weiß-Fotoalben zu Beginn des 20. Jahrhunderts stammen könnten, aus der Zeit des zerfallenden Osmanischen Reiches, als sich die Europäer den Kuchen im Nahen Osten untereinander aufteilten und mit ihrer Interessenpolitik den Grundstock legten für die aktuellen Konflikte. Soweit die Theorie mit den klugen Ideen des Regisseurs und seines Dramaturgen Albert Ostermaier, der sich hier schon mal auf sein nächstes „Gemetzel“ bei den Wormser Nibelungen-Festspielen vorbereiten konnte und für Aix die Dialoge von Gottlieb Stephanies Libretto aktualisiert hat - mal deutsch, mal englisch, Abfolge nicht immer logisch. Auf dem Weg vom überzeugenden Konzept zur Praxis des packenden Schauspiels ist Kusej dann aber im die Bühne dominierenden Wüstensand steckengeblieben und hat dort sein Sängerensemble im Stich gelassen: Daniel Behle (Belmonte), ein wie Dirigent Rhorer feiner musikalischer Gestalter, und David Portillo als Pedrillo, dann die beiden mitunter schrill klingenden Soprane Jane Archibald (Konstanze) und Rachel Gilmore (Blonde) ebenso wie Franz Josef Selig, der den eindimensional gezeichneten „Oberdschihadisten“ Osmin darstellt. Allenfalls Tobias Moretti, der erfahrene Schauspieler, zeigte Facetten von Schauspielkunst. Nein, Herr Kusej: Auch ohne das, was nicht zu sehen war, ist das Publikum klug genug zu merken, dass hier die Utopie der Aufklärung - und mit ihr alles, was unsere Kultur des Miteinanders ausmacht – ausgelöscht werden soll: endgültig zerstörte Träume? Nein, wichtiger Anstoß zur Debatte. Wie unzerstörbar Träume sind, zeigt in Aix dann aber Robert Carsen mit seiner Version von Benjamin Brittens „Midsummer Night’s Dream“: eine Inszenierung von 1991, die nichts von ihrer Frische und ihrem Zauber verloren hat: ein kleines Theaterwunder.

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