Kaiserslautern „Was bleibt, ist die Einsamkeit“

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Marlene Dietrich, die Filmschauspielerin und Diseuse, Künstlermuse und Männerkonsumentin, in Paris beheimatete Preußin mit Hollywood-Aureole, ist am Nachmittag des 6. Mai 1992, einem Mittwoch, mit 90 Jahren gestorben. Was ist 25 Jahre später noch zu sagen über jene Frau, die von sich behauptete, sie sei „zu Tode fotografiert“ worden?

Es bleiben die Bilder, Posen, Fremd- und Selbstinszenierungen einer auf „überirdisch“ zurechtgemachten und damit gänzlich entrückten, schönen bis wunderschönen Frau, die nach Worten des Kritikers Kenneth Tynan „sex, but no particular gender“ – Sex, aber kein Geschlecht – besaß: sich als „Der blaue Engel“ (1930) des griesgrämigen Professors Emil Jannings annehmend; barfuß dem geliebten Gary Cooper in die Wüste von „Marokko“ (1930) folgend; sich im Wilden Westen um James Stewart prügelnd („Der große Bluff“, 1939); in den Kriegstrümmern von Berlin die unerfüllten Illusionen besingend („Eine auswärtige Affäre“, 1948); als Märchenbild aus Tausendundeiner Nacht lasziv sich räkelnd („Der Garten Allahs“, 1936; „Kismet“, 1944). Zum Bilderkanon gehören auch die Aufnahmen, wie sie mit Dwight Eisenhower und Charles de Gaulle die Truppen besucht, im Film „Im Zeichen des Bösen“ (1958) eine Puffmutter spielt und schließlich mit rauchig umdüstertem Alt in Chansons von „Lili Marleen“ bis „Sag’ mir, wo die Blumen sind“ die trotzig einem widrigen Schicksal entgegen schnoddernde Weltenweise gibt, die sich zuletzt noch per Tonband einem Song von Udo Lindenberg beimischen ließ. All diese in unbewegter Grazie geronnenen Erinnerungen machen Marlene Dietrich zu einem sehr wesentlichen Bestandteil der Ikonografie des 20. Jahrhunderts, zum monumentalen und dauerhaften Denkmal eines Göttinnenkults, der typisch ist für Hollywood und zugleich ihren Nimbus rund um den Globus festigt. Wer Marlene Dietrich sagt, meint damit nicht die Berliner Offizierstochter, auch nicht den weltweit angehimmelten, bestenfalls in der Heimat zeitweise geschmähten Jahrhundert-Star. Vielmehr steht ihr Name für einen Mythos, undefinierbar und doch ohne langes Nachdenken glasklar umrissen als Verkörperung reiner Verführung. Weil sie und ihr pygmaliongleicher Schöpfer, der Regisseur Josef von Sternberg, eine diffuse Bi- und Metrosexualität, ja Panerotik stilisierten, war sie Sammelpunkt sämtlicher männlicher Wunschprojektionen und zugleich aufgrund ihrer glamourösen Selbstbestimmtheit die ideale Identifikationsfigur des weiblichen Publikums. Insofern ist sie kein Vamp, sondern die Apotheose einer idealisierten Weiblichkeit, deren Attribute und Bedürfnisse weit über das rein Geschlechtliche hinausgehen. In der Welt der kunststoffunterstützten Schönheitschirurgie und der hypertrophen Brüste scheint die Erinnerung ans Dekolleté der Marlene Dietrich verblasst. Ihre Unsterblichkeit fußt auf dem ephebenhaften Gesicht, den per Punktscheinwerfer akzentuierten Augen, den durch (häufig zu kurz bemessene) Netzstrümpfe noch länger wirkenden Beinen. Marlene Dietrich, das zeitlos schöne „Gesamtkunstwerk aus Strass und Stimme“, wie der Kritiker Klaus Geitel formulierte, war auch eine kluge und belesene Frau. Sie wusste um die Unwirklichkeit dieses Mythos, der sie gänzlich hinter die eigene Legende verdrängte. Am Ende ihrer Memoiren steht die bittere Erkenntnis: „Wichtig ist, einen Kokon um sein Herz zu spinnen, den Einfluss der Vergangenheit zurückzudrängen. Bauen Sie nicht auf die Anteilnahme anderer. Man kann sehr gut ohne sie auskommen, das weiß ich. Was bleibt, ist die Einsamkeit.“ Lesezeichen Im Beck-Verlag erscheint kommende Woche das Buch „Einsame Klasse. Das Leben der Marlene Dietrich“ von Eva Gesine Baur; 576 Seiten; 24,95 Euro.

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