Kaiserslautern Wenn die Glocke zweimal läutet

Schillertage im Schlusssprint: Ein Balladen-Abend, zwei dramatische Schwergewichte, Schauspielerprominenz. Im Nationaltheater musste man auch an den letzten Festivaltagen auf Überraschungen gefasst sein und brauchte viel Sitzfleisch. Nach neun Tagen nicht nur mit Schiller ging das Festival zu Ende. 21.000 Besucher waren dabei.

Das Deutsche Theater Berlin sollte also das krönende Finale bilden mit „Don Carlos“, der verzweigt-verzwickten Geschichte um absolutistische Macht und irdische Liebe am spanischen Königshof. Aber jetzt saß die von Ulrich Matthes angeführte Schar der Edelmimen auf acht Stühlen brav an der Rampe, während sich hinten das leere Bühnenbild drehte. Andreas Döhler, der Darsteller des Posa, war auf Grund einer akuten Mandelentzündung im Mannheimer Klinikum gelandet, und die Resttruppe, verstärkt durch Regisseur Stephan Kimmig, hatte sich entschlossen, den Abend nicht abzusagen, auch keinen Rettungsversuch mit einem Einspringer zu unternehmen, sondern Schillers Stück in einer Art halbszenischen Darstellung zu probieren. Der Mut der in Kostüm und Maske erschienen Schauspieler und ihres mitdilettierenden Regisseurs wurde ebenso belohnt wie die Geduld des Publikums, von dem nur eine Handvoll auf das Angebot lieber verzichten wollte. Obwohl nur Sprache, Mimik und ein paar angedeutete Gesten zur Verfügung standen, brachte das Ensemble nicht nur den Text, sondern das ganze Stück vor das Auge der Betrachter. Man entdeckte acht Figuren im Netz eines auf Unabänderlichkeit gründenden Staatssystems, von den Repräsentanten der Macht bis zu ihren jugendlichen Herausforderern hat jeder seinen festgefügten Platz. Selbst das Aufbegehren, ob aus Liebe oder Rebellion, ist hier ein unabänderliches Ritual, an dessen Ende die Katastrophe steht. Man hätte schon gern die komplette Inszenierung gesehen, die spartanische Sitzung immerhin gab davon eine Ahnung. Ein spannendes Experiment. Wie man selbst einem ziemlich abgenudelten Text neues Leben einflößt, das hatte Ulrich Matthes zwei Abende zuvor schon mit seinem Balladen-Abend demonstriert. In einem Schiller-Best-of präsentierte der Schauspieler die großen Balladen-Hits wie „Der Ring des Polykrates“, „Der Handschuh“, „Der Taucher“ oder „Die Bürgschaft“. „Die Glocke“ gab’s gleich zweimal, weil Matthes zwischendurch die Schillerfestigkeit des Mannheimer Publikums erkundet hatte und dabei auf einen Herrn getroffen war, der die weitläufig um Gott und die Welt mäandernde Ballade vom gelungenen Glockenguss komplett und (fast) auswendig aufsagen konnte. Natürlich Riesenapplaus und bei der späteren Wiederholung durch Mattes wurde auch noch anschaulich bewiesen, dass sich solch ein Versemonster nicht nur schön aufsagen, sondern auch zu bildhafter Anschaulichkeit bringen lässt. Matthes stellte sich dabei ganz in den Dienst des Dichters, versagte sich selbst bei biedermeierlichsten Gesellschaftsentwürfen jegliche Ironie. Aus altem Text wurde Kopfkino für heute.Zwischen den beiden Matthes-Auftritten lag ein „Wallenstein“ aus Weimar. Hasko Weber, seit zwei Jahren Intendant am dortigen Nationaltheater, hatte alle drei Teile in einen knapp fünfstündigen Theaterabend gewuchtet, aus dem Geschichtsdrama aus dem Dreißigjährigen Krieg einen allerdings nur zu Beginn so richtig spannenden Politthriller gemacht. Weber vertraut ganz auf die Brisanz des Textes, verzichtet weitgehend auf aktuelle Anspielungen, bringt das Intrigenspiel um Macht und Loyalität in oftmals sehr statischen Arrangements auf die Bühne, die von einem riesigen, auf Kriegsschutt lagernden Kreuz dominiert wird. Dass dieser „Wallenstein“ so früh entschieden schien, dass sich alles so unabänderlich auf das tödliche Ende hinwälzte, das lag auch an seinem prominenten Hauptdarsteller. Bei Dominique Horwitz wirkt dieser Kriegsunternehmer und Machtstratege von Beginn an müde und resigniert wie ein US-Präsident zum Ende der zweiten Amtszeit. Dieser Wallenstein ist eine Lame Duck, ein Herrscher, dem der Glaube an den Erfolg abhandengekommen ist, der zögert, taktiert, auf Chancen wartet und dabei letzte Optionen verpasst. Die Ängste des Emporkömmlings, alles wieder verlieren zu können, haben von ihm Besitz ergriffen. Wie Bleigewichte hat sich diese alte Angst wieder auf seine Schultern gelegt. Der Mut des kühnen Welteroberers hat den Mann schon verlassen, als Schillers Stück beginnt. Gleich in dem ebenfalls von Horwitz gesprochenen Prolog schlägt dieser einen feierlichen Deklamationston an, den er bis zum bitteren Ende nicht mehr los wird. Immer scheint dieser Wallenstein letzte Reden zu halten, seine Gesprächspartner auf der Bühne nimmt er kaum wahr, Blick und Worte zielen nicht aufs Gegenüber, sondern auf ein imaginäres Publikum weiter weg. In dunklem Anzug und weißem Hemd wirkt er im Kreise seiner ebenfalls edles Zivil tragenden Generäle wie der Vorstandschef einer Bank, der die Zockereien seiner koksenden Truppe nicht mehr im Griff hat. Am Ende schlurft er im langen Wehrmachtsmantel umher, als wäre die Festung Eger in Böhmen der Führerbunker in Berlin. Auch sein Ende ist wenig glorreich, im Bett erwürgt wird er von seinen Mördern. Und Besseres kommt bestimmt nicht nach, ist die Botschaft dieses langen Abends. Die Mörder klappen ihr Laptops zu und ziehen ihre Rollkoffer zum nächsten Einsatz, und Octavio Piccolomini, der neue starke Mann, lauscht vergnügt einem Schlager von Adriano Celentano. Er ist schließlich Italiener.

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