Kaiserslautern Wie zu Kaisers Zeiten

Mit einem feierlichen Gottesdienst wird morgen, am Erntedankfest, nach vier Jahren Sanierung die Schlosskirche zu Wittenberg wieder eingeweiht. Jene Kirche, an deren Tür Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel geschlagen haben soll. Bundespräsident Joachim Gauck hat sein Kommen zugesagt, ebenso die dänische Königin Margarethe als Repräsentantin der lutherischen Kirchen in Europa. Die Predigt hält der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad als Vorsitzender der Union Evangelischer Kirchen in Deutschland (UEK).

Anlässlich der im kommenden Jahr anstehenden Feierlichkeiten zum 500. Jubiläum der Reformation ist die Wittenberger Schlosskirche einer Komplettsanierung unterzogen worden. Die vorhandene Bausubstanz wurde gereinigt und gefestigt, Verlorenes nach alten Befunden rekonstruiert. Die Bausubstanz, das ist zum großen Teil jene des Umbaus zu einem „Denkmal der Reformation“ 1858 bis 1892, im neogotischen Stil. Nicht allen gefällt das. Auch Friedrich Schorlemmer, einer der prominentesten Regimekritiker der DDR und in Wittenberg 1979 bis 1992 Leiter des Predigerseminars, äußert sich noch heute kritisch über den „steingewordenen Machtanspruch“ der Architektur. Die Kirche, seit 1996 Unesco-Weltkulturerbe, ist Teil des noch nicht vollständig neu hergerichteten Schlossensembles. Das gesamte Bauvorhaben hat ein Investitionsvolumen von rund 33 Millionen Euro und wird vom Land Sachsen-Anhalt, dem Bund und der Europäischen Union gefördert. Für die Herrichtung der Schlosskirche wurden inklusive Spenden 8,216 Millionen Euro aufgebracht. Noch ist das Land Sachsen-Anhalt Eigentümer der Kirche. Demnächst wird sie vom staatlichen in den Besitz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) übergehen, die hier nicht nur die 200-jährige Geschichte des Predigerseminars fortschreiben wird, sondern auch Kirchenführerinnen und Kirchenführer ausbildet. Zu erklären ist nicht nur die wechselvolle Baugeschichte, sondern auch der damit verbundene „geistliche Inhalt“. Erbaut wurde die Schlosskirche auf Geheiß des sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen. Der römische Kardinal Raimund Peraudi weihte das seinerzeit der direkten Aufsicht des Heiligen Stuhls unterstellte Gotteshaus 1503 zur Kirche Aller Heiligen. Alljährlich stellte Friedrich der Weise in ihr an Misericordias, dem 2. Sonntag nach Ostern, und zu Allerheiligen seine in kostbaren Behältnissen aufbewahrte Reliquiensammlung zu gläubiger Verehrung aus, darunter Stroh aus der Krippe von Bethlehem und ein Stück von der Windel Jesu. Der Papst hatte Ablassprivilegien gewährt, die den reuigen Sündern die Minderung ihrer im Fegefeuer zu verbringenden Zeit verhießen. Martin Luther missbilligte die Reliquienverehrung als falsches Vertrauen auf „tote Dinge“. Der weithin berühmte Reliquienschatz wurde 1522 letztmals ausgestellt. Nach Friedrichs Tod gab sein Bruder und Nachfolger Johann der Beständige die silbernen und goldenen Reliquiare zum Einschmelzen in die Münze. Nur wenige blieben erhalten. In der Schlosskirche wird seit 1525 evangelischer Gottesdienst gefeiert. Sie ist – aller Wahrscheinlichkeit nach – die letzte Ruhestätte der Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon, aber auch der Kurfürsten Friedrich und Johann. Wertvolle Kunstwerke dienen der Erinnerung an die beiden vor dem Altar bestatteten Beschützer der Reformation. Zwei lebensgroße Figuren zeigen sie als kniend ins Gebet versunkene Ritter. Für deren Farbfassung soll ihr Hofmaler Lucas Cranach der Ältere gesorgt haben. An der Kirchenwand sind ihre 1527 und 1534 gegossenen Bronze-Epitaphe aufgerichtet, auf denen sie als lebensgroße Relieffiguren im kurfürstlichen Ornat dargestellt sind. Eher schlicht wirken die Grabstätten der beiden Reformatoren. Die recht kleinen Bronzeplatten für Luther (1483-1546) nahe der Kanzel und Melanchthon (1497-1560) neben der Thesentür begnügen sich mit einer Inschrift. Die Platten ruhen auf niedrigen Sandsteinsockeln, unter denen sich in zwei Metern Tiefe die Särge befinden. Weltberühmt ist die Schlosskirche vor allem, weil Luther an eine ihrer Türen seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel angeschlagen haben soll. Diese waren ursprünglich als Grundlage für eine wissenschaftliche Erörterung der Frage gedacht, „was die Lehre vom Ablass wäre“, gerieten jedoch zum auf den 31. Oktober 1517 datierten Ausgangspunkt der Reformation. Der Bericht über den Thesenanschlag und sein Datum gehen auf Melanchthon zurück. Manche Kirchenhistoriker bezweifeln, dass der Thesenanschlag an der Schlosskirche überhaupt stattgefunden hat. 2007 fand dann der Wittenberger Historiker Martin Treu eine den Thesenanschlag bestätigende Notiz von Luthers Mitarbeiter Georg Rörer. Die Debatte geht jedoch weiter. Die Holztür, an die Luther seine Thesen angeschlagen haben soll, verbrannte mit einem großen Teil der Innenausstattung 1760 im Siebenjährigen Krieg. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen beschloss, für die zerstörte Thesentür eine neue zu stiften. Sie sollte ein künstlerisches Denkmal für Luthers kühne Tat sein. Die beiden von Ferdinand von Quast entworfenen Türflügel mit den 95 lateinischen Thesen wurden 1855 in Bronze gegossen. Über dem Portal sind die Sandsteinfiguren der Kurfürsten Friedrich und Johann postiert. Im Bogenfeld oberhalb der Türflügel befindet sich ein 1850 geschaffenes Bild des Malers August von Klöber. Luther mit seiner deutschen Bibelübersetzung in den Händen und der das Augsburger Bekenntnis präsentierende Melanchthon knien links und rechts unter dem Gekreuzigten. Der Kronprinz und spätere kurzzeitige Kaiser Friedrich besichtigte 1880 die Schlosskirche. Über ihre Verwahrlosung entsetzt, beauftragte er den Geheimen Oberbaurat Friedrich Adler mit Entwürfen zu ihrer Neugestaltung. Das Innere sollte eine „möglichst reiche und imposante Ausstattung“ erhalten. Mit dem Umbau wurde 1885 begonnen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Adler dem Kirchturm. Dessen Kuppeldach erinnert durchaus an eine Kaiserkrone, aus der eine Pickelhaube ragt. Die Einweihung der Kirche wurde am Reformationstag 1892 in Anwesenheit Kaiser Wilhelms II. gefeiert. Für ihn wurde der noch heute an seinem Platz stehende „Kaiserstuhl“ geschaffen. Unter preußischer Regie ist das Gotteshaus zum triumphalen Denkmal der Reformation geworden. Der Wiederherstellung dieses Zustands von 1892 diente nun die Sanierung. Den Weg vom Eingang zum Altar säumen beidseitig die auf hohen Postamenten platzierten steinernen Standbilder der Reformatoren. Luther und Melanchthon stehen dem Altar am nächsten, der die Figuren Jesu und der Apostel aufgenommen hat. In den Zwickeln der Emporenbögen zeigen 22 Bronzemedaillons wichtige Vorkämpfer, Prediger, Märtyrer, Förderer und Künstler der Reformation. An der Emporenbrüstung sind die Wappen von 52 Adligen angebracht, welche die Durchführung der Reformation unterstützten. Auch die Bürgerschaft wird geehrt: Die hohen Seitenfenster sind mit den Wappen von 144 Städten geschmückt, die sich früh zur Reformation bekannten. Ein Bildprogramm, das durchaus auch an ein anderes „Denkmal der Reformation“ erinnert, an die aus thüringischem Sandstein 1890 bis 1904 erbaute „Gedächtniskirche der Protestation“ in Speyer.

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