Kaiserslautern Witzel macht Sachen

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Eh klar, dass es so viele Frankfurter Buchmessen gibt wie Besucher. Hier ist eine Messe davon. Ein Stimmenbericht.

Der Zweibrücker Berliner Norman Ohler sitzt drahtig, braungebrannt am Stand von Kiepenheuer & Witsch. Spricht mit italienischen Verlegern über sein Buch. Titel: „Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich“. „Heidi und Hitler gehen immer“, sagt eine Verlagsfrau, die daneben steht. „Die Nazis sind an allem schuld“ schreibt Frank Witzel in seinem Roman, der am Montag den Deutschen Buchpreises gewann. „Das Beste, was Matthias Politycki nie geschrieben hat“, urteilt Literaturkritikerguru Denis Scheck („Druckfrisch“) am Mittwoch beim Live-Plausch des Deutschlandradios am Messe-Stand darüber. „Ich weiß gar nicht, was ich in den vergangenen Tagen gemacht habe. Ich werde das später anhand von Fotos und Interviews rekonstruieren“, meint Witzel selbst auf der Spiegel-Bühne. „Ist der klein“, kommentiert jemand von der Tribüne des Cafés im Korridor zwischen Halle drei und vier, als der Autor vorbeiwuselt. „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“, lautet Witzels Buchtitel. „Eine Tussi wird Mama“ hat Daniela Katzenberger (Ludwigshafen) ihr Werk überschrieben. Es ist im vielleicht krassesten Realismus der Nichtliteraturgeschichte gehalten. Es liegt beim Plassen-Verlag aus. Sie gerade nicht. „Endlich! Aus der griechischen Cannelloni kommt ja doch was Gutes raus“, lautet ein gastronomisch fragwürdiger Kommentar wie er in Katzenbergers Buch steht. Mama Iris soll sich so zum Schwangerschaftsgeständnis und dem mutmaßlich am Anlass beteiligten Sohn von Schlagerikone Costa Cordalis geäußert haben. Beim Suhrkamp-Kritiker-Empfang in der verblassenden Frankfurter Westend-Villa von Verleger-Heros Siegfried Unseld (1924 bis 2002) belehrt Philosoph Peter Sloterdijk das Publikum stilsicherer: die Missionarsstellung habe dazu beigetragen, den Mann zu zähmen. Sei der es doch gewohnt gewesen, die Frau als das „von hinten zu nehmende Tier“ anzusehen. Der sprachmächtige Großdenker liest aus einem Manuskript. Noch. Gedruckt wird sein erotischer Roman, der das „a tergo“ thematisiert, erst 2016 erscheinen. Draußen vor der Tür giftet einer, Roman könne man ja über alles schreiben. Und raucht. Autor Andreas Maier flieht. „Erotik ist die Überwindung von Hindernissen“ steht am nächsten Tag auf der Titelseite der „Zeit“, die auf der Messe ausliegt. Der frisch gekürte Raabe-Literaturpreisträger Clemens Setz erzählt auf einem Podium vom Verehrungsspiel, dessen Anhänger er und sein Romanpersonal seien. Es bestehe darin, jemandem nachzugehen, als sei sie (er) das Tollste auf der Welt. Derweil ist auf einem Banner, der in Halle vier lappt, verewigt: „Sei dein größter Fan“. Am Stand des Mainzer Gutenberg-Museums steht ein Mann mit Mütze vom Mittelaltermarkt an einer historischen Druckerpresse. Unweit wird über „Literatur und Quote“ diskutiert. E-Books und so was. Elektronische Bücher hätten in Deutschland einen Marktanteil von 5,3 Prozent, wirft der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, in die Diskussion. Bei Amazon verdiene ein Autor 0,006 Cent pro gelesener Kindle-Seite , sagt Skipis. Wie jeder wisse (?), sagt er, überwache ja die Firma ihre Kunden ganz genau. „Null Cent für den Autor von ,Über allen Gipfeln ist Ruh’“, schließt die Vorsitzende des Schriftstellerverbandes VS, Eva Leiprand, daraus scharf. „Wer weiß, ob auf die Vergänglichkeit / wirklich Verlass ist“, steht in einem Gedichtband von Hans Magnus Enzensberger. An einem Esoterikverlagsstand erklärt ein „Gesichtsleser“ mit Ponyfrisur seinem überwiegend weiblichen Publikum, warum Deutschlands Top-Manager, wenn nicht ohnehin glatzköpfig, keine Ponys tragen. Weil? Sie wollten, doziert der Visagenrezensent, der Welt auch symbolisch die Stirn bieten. Wir ziehen mal zwischendurch zwecks Erbauung aus dem Messeregal das Buch des aktuellen Preisträgers des Ludwigshafener Bloch-Preises, Axel Honneth. Titel: „Die Idee des Sozialismus“. „Warum also sollte der Bankrott des kommunistischen Machtblocks mit einem Mal dazu geführt haben, dass diese anscheinend tiefsitzende Fähigkeit zur utopischen Überschreitung verkümmert ist?“, schreibt er darin. Malu Dreyers Buch zum gleichen Thema, die Ministerpräsidentin bewirbt es eisern lächelnd am Stand von Bastei Lübbe, heißt: „Die Zukunft ist meine Freundin“. So kann man es ja auch sagen. (Mehr dazu siehe unten stehenden Bericht). Am Stand von S. Fischer buchstabiert Tilman Allert, Autor des Werks „Die Soziologie der kleinen Dinge“, die Handbewegungen von Angela Merkel durch. „Die Hände, während der Tage ihrer Kindheit zum Gebet gefaltet, suchen demütig Halt in der schwebenden Balance; die Raute wird in einer Welt hinter der Gott unsichtbar geworden ist, das Sinnbild ihrer Mission. Kanzlerin Angela Merkel, eine Pressesprecherin der Möglichkeiten“, sagt Tilman Allert. „Das Buch geht gerade durch die Decke“ renommiert der Autor später vor einer Dame mit Pelzkragen. „Es gibt 24 Pferdezeitschriften, mehr als es über das Thema Eheschließungen, Hochzeitskleider uns so weiter gibt. Das heißt, Pferde sind entschieden wichtiger“, ist sich Ulrich Raulff im Gespräch auf der ARD-Bühne sicher. Warum sonst auch hätte der Direktor des Literaturarchivs Marbach ein Buch über „Das letzte Jahrhundert der Pferde“ schreiben sollen? Literaturkritiker Hajo Steinert liest auf offener Bühne den ersten Satz des Tussi-Buches der Katzenberger vor. Ein Quiz. Sein Kollege Hubert Winkels glaubt auch, er sei von Charlotte Roche. „59 Prozent der deutschen Bevölkerung gehören aktuell zu den Buchkäufern, 83 Prozent zu den Buchlesern. Die Frauen schlagen die Männer dabei klar: 54 Prozent der Männer, aber knapp zwei Drittel der Frauen (63 Prozent) haben im letzten Jahr mindestens ein Buch gekauft. (Daten zum Kaufverhalten stammen aus einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung GFK) „Dass ich ihn Arschloch genannt habe, war gar nicht persönlich gemeint“, im Messerestaurant „Spice it up“ bezirzt ein österreichischer Autor eine junge Frau bei einem Salat. „ Ich finde es immer toll auf der Leipziger Buchmesse zu sein“, drückt Spaßmacher Helge Schneider seine große Freude ungeschminkt aus. Raus hier. Im Hotel Frankfurter Hof sollen ja angeblich die eigentlichen Geschäfte bei der Frankfurter Buchmesse gemacht werden. An der Bar. In den schweren Ledersesseln. Von Männern und Frauen mit ins Gesicht getackertem Haifischlächeln. Drinnen rückt ihr deutscher Literaturagent Bestsellerautorin Isabel Allende den Stuhl zurecht. Asiatische Pärchen sitzen beim Tee. Kaschmiranzugträger vor aufgeklappten Laptops. Einer erklärt seiner Sitznachbarin voller Ernst: „Diese U-Bahn-Station gibt es, glaube ich, nur in Speyer“. Ach, noch was: „Ohne Bücher wollte ich nicht leben“, in der schon zitierten GFK-Umfrage stimmte jede(r) zweite Befragte dieser Aussage zu. Info Die Frankfurter Buchmesse ist heute von 9 bis 18.30 Uhr und morgen von 9 bis 17.30 Uhr geöffnet. Tagesticket: 18 Euro. buchmesse.de

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