KARLSRUHE Handarbeiten bei Karlsruher Messe im Blickpunkt

Trendig: Handarbeiten wie Stricken haben sich als Hobby etabliert.
Trendig: Handarbeiten wie Stricken haben sich als Hobby etabliert.

Nur was für Omas? Ach was. Stricken ist Trend – und nicht erst seit Corona. Das Spiel mit der Nadel bedeutet für viele einfach nur Entspannung. Doch manch rechte Masche birgt auch Zündstoff. Das und anderes steht vom 3. bis 5. Mai bei der Karlsruher Messe „Nadelwelt“ im Mittelpunkt.

Supermodel Heidi Klum fühlt sich dafür zu jung, Ex-US-Präsidentengattin Michelle Obama entspannt sich dabei, und Spitzenköchin Cornelia Poletto tut es, wenn sie gerade nicht den Löffel schwingt: Stricken. Vom 3. bis 5. Mai lässt die Messe „Nadelwelt“ in Karlsruhe diese uralte Kunst hochleben – zusammen mit anderen traditionellen Handarbeiten wie Nähen, Sticken, Häkeln, Filzen, Patchworken und Spinnen.

Während der Corona-Zeit von vielen erst als Freizeitbeschäftigung entdeckt, erlebt das Stricken ein Revival. Es sei ein Gegentrend zur Digitalisierung und Virtualisierung, sagt der Heidelberger Trendforscher Eike Wenzel. „Stricken ist Entschleunigung und Ent-Automatisierung.“ Statt ständigem zur Schau stellen auf Tiktok oder Instagram tue man etwas, bei dem man „bei sich selbst bleibt“. Stricken habe etwas Kontemplatives, sei aber auch kommunikativ.

„Gegenwelt zur Digitalisierung“

Schon vor 20 Jahren gab es Stricken als Retro-Trend: „Damals war zu erkennen, dass eine erste Digitalisierungsphase stattfindet und die Menschen nach einer Gegenwelt zur kalten Digitalisierung suchten“, berichtet der Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung in Heidelberg. Stricken passe zudem in die Zeit, weil Selbermachen etwas Nachhaltiges habe, sagt Wenzel. „Das genaue Gegenteil von Fast Fashion.“ Für Textildesignerin Anne-Susanne Gueler ist es „ein wunderbares Vehikel“, um eigene Ideen zu verwirklichen und ein individuelles Kleidungsstück herzustellen.

Die Zahl der Handarbeitenden nimmt laut Branchenverband Initiative Handarbeit zu. „Handarbeit wird von immer mehr Frauen als entspannendes und zugleich sinnstiftendes Hobby entdeckt.“ Mit einem Umsatz von 370 Millionen Euro war der Bereich der Häkel- und Strickgarne im vergangenen Jahr das größte Einzelsegment der Branche. Auch wenn keine Ausnahme-Umsätze wie in den Corona-Jahren 2020 und 2021 zu verzeichnen sind, zeigen die Zahlen dem Verband zufolge, dass Handarbeiten sich dauerhaft als Hobby etabliert hat.

Neuheiten auf 10.000 Quadratmetern

Messen wie die „Nadelwelt“ nutzen das Potenzial. Von Freitag bis Sonntag werden in Karlsruhe auf rund 10.000 Quadratmetern Produktneuheiten vorgestellt sowie bei Kreativkursen und Workshops Inspirationen gegeben. Die Handarbeitsbranche hat von der Corona-Zeit profitiert, als die Menschen mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen mussten. „Nach dem Ende der Pandemie sind dann viele Veränderungen beibehalten worden, weil sie sich als angenehm und gut herausgestellt haben“, sagt „Nadelwelt“-Sprecher Peter Pfeiffer. So wie Homeoffice etwa.

Im Gegensatz zu den 1980er-Jahren, als grün-alternative Männer demonstrativ zur Nadel griffen, scheint Stricken hierzulande ein weibliches Hobby zu sein. Rund elf Millionen Frauen begeistern sich der Messe zufolge bundesweit dafür. „In Deutschland sind strickende Männer die Ausnahme“, notiert Pfeiffer.

Junge Zielgruppe enorm wichtig

Auffallend ist, dass die Handarbeitsszene jünger wird. Dass sich 18- bis 29-Jährige dafür begeistern könnten, sei eine erfreuliche Entwicklung. Die Zielgruppe sei für die Zukunft der Branche enorm wichtig, sagt die Geschäftsführerin der Initiative Handarbeit, Hedi Ehlen. Dass Stricken wieder schick ist, zeigt sich bei Instagram und Co. Das Internet habe sich zudem zur wichtigsten Inspirationsquelle entwickelt, betont die Initiative Handarbeit.

Einige beobachten den Hype jedoch mit gemischten Gefühlen: So befürchtet die Amadeu Antonio Stiftung, dass rechtsextreme Influencerinnen, die sich als koch- oder strickbegeisterte „Wifeys“ (Ehefrauen) präsentierten, junge Frauen im Sinne einer Heim-und-Herd-Ideologie beeinflussen könnten. Die Initiative Handarbeit hat solche Unterwanderungsversuche bislang nicht beobachtet. „Uns ist es wichtig, dass Stricken ein Hobby für alle ist – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Ausrichtung.“ Ob rechte oder linke Masche: Politik wurde im Laufe der Zeit immer mal wieder verstrickt. So machten während der Französischen Revolution Tricoteusen mit Strickzeug auf sich aufmerksam. Im Ersten Weltkrieg sollen Agentinnen per Strickmuster Botschaften übermittelt haben. Und die Grünen nutzten das Stricken aus Sicht von Trendforscher Wenzel als Provokation mit Feminisierungsaspekt: „Als Move gegen die Apparatschiks und Beamtenköpfe.“

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