Neupotz Daumenkino pfälzisch-elsässischer Geschichte: Kauderwelsch-Theater mit neuem Stück

Einblick in die Probe: Jüdische Bürger und politisch Verfolgte vor der Deportation.
Einblick in die Probe: Jüdische Bürger und politisch Verfolgte vor der Deportation.

Ein halbes Jahrtausend deutsch-französische Geschichte im Zeitraffer: Das Kauderwelsch-Theater hangelt sich in seinem neuen Stück nicht an stupiden Jahreszahlen entlang, sondern bringt wahre und berührende Lebens- und Liebesgeschichten auf die Bühne. „Driwwe und Hiwwe“ versteht sich als Weckruf für Demokratie und Freiheit.

Die Theatergruppe greift diesmal tief hinein in ein Pulverfass der Geschichte: In schnellem Szenenwechsel geht es durch 500 Jahre deutsch-französische Vergangenheit, in der die Pfalz und das Elsass eine tragische Hauptrolle haben. 23 blutige Kriege haben die beiden Länder ausgefochten, bevor die deutsch-französische Freundschaft mit dem Elysée-Vertrag besiegelt wurde. Ein schwermütiges Historiendrama müssen die Zuschauer aber nicht fürchten. Sie erwartet ein Daumenkino der Geschichte, voller lebendiger Erzählungen über Menschen „driwwe un hiwwe“.

Das Stück geht sparsam mit Requistiten um. Das Spiel der Darsteller
Das Stück geht sparsam mit Requistiten um. Das Spiel der Darsteller

Lebendig heißt nicht unbedingt heiter. Ein Fokus liegt auf der Zeit der beiden Weltkriege und der Nazi-Herrschaft. Da ist das junge Liebespaar, dem Auschwitz die Zukunft raubt. Da sind die jüdischen Weinhändler, die erst ihre Arbeit und dann ihr Leben verlieren. Da ist NS-Gauleiter Josef Bürckel, der im Propaganda-Rausch die Deutsche Weinstraße eröffnet und damit eine touristische Attraktion etabliert, die bis heute nichts von ihrer Beliebtheit eingebüßt hat. Nicht von ungefähr findet die Premiere des Stücks in Schweigen-Rechtenbach statt: Hier, am monumentalen Weintor, das die Nazis gebaut haben, endet die 85 Kilometer lange Strecke, die in Bockenheim beginnt.

Menschen in Grenzsituationen

An die braune Vergangenheit des Bauwerks an der französischen Grenze erinnert indes nichts, das Hakenkreuz hat der Meißel getilgt. Es geht auf der Bühne also auch um Erinnerungskultur. „Ein Zeichen muss sein“, rufen die Darsteller dem Zuschauer zu. Aufwendige Recherchen liegen hinter der Theaterpädagogin Marianne Stein, die das Stück geschrieben hat und Regie führt. Sie hat mit Historikern gesprochen und Kontakt zur Winzergenossenschaft aufgenommen, der das Weintor gehört. Mittlerweile wurde ein Prozess wieder aufgenommen, dort Erinnerungsarbeit zu leisten.

Protestzug der Weinprinzessinnen .
Protestzug der Weinprinzessinnen .

„Driwwe und Hiwwe“, so heißt das neue Kauderwelsch-Stück, ist trotz seines ernsten Untertons kein Trauerspiel. Slapstick, Humor und Ironie nehmen Raum ein – nicht nur bei einem Protestzug der Weinprinzessinnen auf Stöckelschuhen. „Wir hüpfen von einer Emotion in die andere“, sagt die Theaterpädagogin. Es ist „ein bunter Bilderreigen, der berührende Zeitepochen streift“. Erzählt werden wahre Geschichten über Menschen an der Grenze und in Grenzsituationen. Musik, Gesang und Tanz untermalen die Szenen. Die Gitarristen Michel Weigel und Peter Broschart, Musiker der XanXGrubb sowie der Klarinettist Jörg Schloß sind mit im Boot.

Nonstop auf der Bühne

Die Darsteller sind nonstop auf der Bühne, Umbauten gibt es keine. Requisiten, die sie für ihre Verwandlung benötigen, passen in eine schwarze Umhängetasche. „Wir wollen nur mit unserem Spiel und unseren Aussagen ein Statement abgeben“, erklärt die Regisseurin.

Hinschauen, nicht Schweigen: Das Stück versteht sich akls Weckruf für die Demokratie.
Hinschauen, nicht Schweigen: Das Stück versteht sich akls Weckruf für die Demokratie.

Poesie spielt dabei eine wichtige Rolle. In die Szenen eingewoben sind Gedichte von Mascha Kaléko und Selma Meerbaum-Eisinger. Kaléko, deren Schriften die Nazis verboten, emigrierte 1938 in die USA. „Man hat ihr die Heimat genommen. Sie hat ihr Leben lang über die Entwurzelung geschrieben“, erzählt Marianne Stein. Selma Meerbaum-Eisinger hat nur 57 Gedichte hinterlassen – sie starb mit 18 Jahren in einem Arbeitslager der Nationalsozialisten.

Finale auf der Stammbühne

Ausgrenzung und Grenzen überwinden, Heimatlosigkeit, Entwurzelung und Wegschauen – diese Schlagwörter ziehen sich durch das gesamte Bühnenstück. „Wir wollen die Zuschauer auf eine kritische Reise durch unsere Vergangenheit mitnehmen und damit den Wert unserer Demokratie bewusst machen“, so die Regisseurin. Die Zuschauer sind aufgefordert sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Der Untertitel ist eindeutig: „Nie wieder, steht auf!“

Das Kauderwelsch-Ensemble ist in Neupotz beheimatet und bringt seit mehr als 20 Jahren selbstinszenierte Stücke auf die Bühne. Zum ersten Mal finden die Aufführungen auch in anderen Gemeinden statt. „Es ist herausfordernd an verschiedenen Orten zu spielen“, sagt Marianne Stein. Die Tour beginnt am kommenden Sonntag in Schweigen-Rechtenbach und endet im November mit zwei Vorstellungen auf der Stammbühne im Neupotzer Kultur- und Freizeithaus.

Termine

Premiere von „Driwwe un Hiwwe – Nie wieder, steht auf!“ am Sonntag, 29. September, als Matinee um 11 Uhr, protestantische Kirche in Schweigen-Rechtenbach; Karten-Vorverkauf beim Tourismusverein Wein & Kultur, Telefon 0157 3925 5157
Samstag, 26. Oktober, 18 Uhr, protestantische Kirche, Klingenmünster; Karten sind über die Pfarrgemeinde erhältlich, Telefon 06349 929276 oder E-Mail an fammoser@t-online
Sonntag, 27. Oktober, 18 Uhr, Alte Synagoge Rülzheim; Tickets bei der Verbandsgemeindeverwaltung, Pforte, Telefon 07272 70020
Sonntag, 10. November, 18 Uhr, Kulturzentrum Haus am Westbahnhof, Landau (Online-Vorverkauf über die Homepage des Kulturzentrums)
Finale am Samstag, 16. November, 19 Uhr sowie Sonntag, 17. November, 18 Uhr, Kultur- und Freizeithaus Neupotz, Karten in der Glöckel Apotheke, Telefon 07272 7 000185
Weitere Infos auf www.kauderwelsch-theater.de/driwwe-un-hiwwe

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