Kreis Germersheim Ein ganzes Dorf auf der Bühne

Während die Jockgrimer schon die ersten Jubiläums-Höhepunkte des 750. Geburtstags der Gemeinde feiern und erleben durften, arbeiten hinter den Kulissen fast 200 Personen schon am nächsten großen Jubiläums-Meilenstein. Dabei geht es eher ruhig und konzentriert zu, denn die Proben für die sieben Stationen des Geburtstags-Theaterstücks haben begonnen. In der Nähstube laufen die Nähmaschinen heiß und es wird regelmäßig am Theater-Equipment gearbeitet.

Am Samstag des ersten Probe-Wochenendes sitzen zehn Frauen und Männer im weitläufigen Saal des Bürgerhauses an zwei zusammengeschobenen Tischen. Vor ihnen liegen die Texte, die von den Autoren Felix S. Felix und Walter Menzlaw vom Chawwerusch-Theater Herxheim geschrieben wurden. Den historischen Stoff dazu trugen zahlreiche Interviewer zusammen, die alte Jockgrimer und Zeitzeugen besonders zur Ära Ludowici in Jockgrim befragten. Die erste Station des Stückes mit dem Titel „Käpplerin und Kalkmännel“ trägt sich im Jahr 1914, direkt in der Ziegelfabrik, zu. Mitten in der lauten, staubigen Fabrikhalle treffen der Firmengründer Wilhelm Ludowici und seine Arbeiter aufeinander. In den Dialogen wird aber auch deutlich, dass der Einfluss des Firmen-Patriarchen weit über die Fabriktore hinaus reicht. Dies missfällt dem katholischen Pfarrer der kleinen Gemeinde genauso wie den Männern, die gerade den Gesangverein „Humanität“ gegründet haben. Die Ansprache des von fast allen seinen Arbeitern hoch verehrte Geheimrates verfolgen auch drei Frauen der Familie Metz, Mutter, Tochter und Enkeltochter, deren Schicksal sich durch alle Stationen ziehen wird. Beim ersten Probedurchgang, der von Walter Menzlaw, einem von zwei Regisseuren, genau verfolgt wird, fallen immer wieder die Blicke auf die Textvorlage. „Ihr seid so gut“, lobt Menzlaw, „ich glaube, das können wir jetzt auch schon mal frei probieren!“ Und tatsächlich: alle Akteure sind schon erstaunlich textsicher, egal ob es der strenge Werkmeister, der kritische Ortsgeistliche oder der spitzbübische „Rote Berdel“ ist. Neben Walter Menzlaw führt auch Marianne Stein Regie, daneben haben die beiden Theaterleiter noch pro Station zwei Assistenten, die sie unterstützen oder schnell in Rollen schlüpfen, wenn gerade ein Schauspieler fehlen sollte. Darüber hinaus arbeiten sie auch selbstständig mit den Schauspielern. „Wir haben 130 Rollen vergeben, deutlich mehr, als ursprünglich geplant waren“, erzählt der Regisseur in einer Probenpause. Die Resonanz auf den Aufruf, sich am Theaterprojekt zu beteiligen, war so riesig, dass sogar noch neue Rollen in das Stück geschrieben werden mussten. Den Einzelproben im April ging ein Einführungs-Wochenende voraus. „Alle Schauspieler wurden in zwei große Gruppen eingeteilt, davon hatte immerhin gut die Hälfte noch nie Theater gespielt.“ Schon beim Blick in die Runde der ersten Station sind aber auch sehr erfahrene Laien-Schauspieler, wie auch in den anderen Stationen, zu entdecken. Am ersten Theater-Wochenende bekamen die Akteure Basisübungen vermittelt, sie konnten sich ihren Texten annähern, sich untereinander kennenlernen und schließlich wurden die Rollen verteilt. „Wenn der Text bei allen sitzt, arbeiten wir im nächsten Schritt an den Gesten und der Mimik!“, beschreibt der Regisseur die weiteren Probe-Etappen. Keiner der Schauspieler müsse sich jedoch Wort für Wort an den Text halten, es komme auf den Inhalt, die Aussage an und nicht auf eine krampfhafte, wortwörtliche Wiedergabe. Nach der geglückten „freien“ Runde am Tisch wagen die Mitwirkenden mit Sprechrollen den nächsten Schritt. Die drei Frauen, die die Familie Metz spielen, und „Dr. Wilhelm Ludowici“ treten vor die Arbeiterschaft. Schon etwas verloren wirken die vier in dem großen, leeren Saal, die Schauspielerin in der Rolle der Barbara Metz hat zum Festhalten zum Glück den legendären Ziegel „Z1“ in den Armen. Noch trägt sie ihre normale Kleidung, aber vor wenigen Minuten stand sie ganz im Fokus von Marlene Korbstein. Die Schneiderin hat genau Maß bei ihr genommen, um an ihrem Kostüm für eine Ziegeleiarbeiterin weiterarbeiten zu können. Die Schuhgröße wurde von ihr notiert, bei Schauspielern mit Brille prüfte sie, ob das Gestell zur Atmosphäre und zum Zeitalter der jeweiligen Station passt. Gut sechs Stunden Probezeit sind für jede Station erst einmal vorgesehen, damit das grobe Gerüst des siebenteiligen Stückes bis zum Sommer steht. Dann erst kommen die Statisten, die Schauspieler ohne Text dazu. (bic)

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