Kreis Germersheim „Einstieg in die Freiheit und ins Wirtshaus“

WÖRTH. „Die wöchentlichen Proben im Bayerischen Hof gehören zu unserem Leben, und besonders schön sind die Stunden danach.“ Nicht nur in diesem Punkt einig sind sich vier Sängerinnen, die für über 50-jährige Treue geehrt wurden: So lange singen Waltraud Beck und Liesel Geißer im protestantischen Kirchenchor Christuskirche, Luitgard Becker und Judith Wünschel im katholischen Kirchenchor Sankt Ägidius. Was sie sonst noch verbindet – oder gar trennt? Die RHEINPFALZ hat sich mit ihnen getroffen.

Zum Plausch ausgesucht haben sie das Pfarrheim St. Ägidius. „Neutraler Ort, und keine muss sich um die Getränke kümmern.“ Die Tür zur katholischen Einrichtung öffnet die Protestantin Waltraud Beck. „Im evangelischen Gemeindehaus ist derzeit der Kindergarten untergebracht, und unsere Frauenkreise dürfen die Räume hier nutzen.“ Klingt so ökumenisch wie der folgende Austausch der vier kirchlich engagierten Damen. Luitgard Becker hat ihre Kirchenchorkarriere als 14-Jährige in Neupotz gestartet, 1972 „nach Wörth geheiratet“ und sich schon nach wenigen Wochen anwerben lassen. „Thekla Sitter, mit meinen Schwiegereltern bekannt, hat mich zur ersten Probe sogar am Haus abgeholt“, weiß sie noch heute. Einmal die Woche daheim fortkommen, stellt Judith Wünschel fest, sei damals für viele im Teeniealter der Reiz zum Singen im Chor gewesen. Die Burschen zog es in einen weltlichen Gesangverein. Alle vier in Wörth waren reine Männerchöre. „Unser Einstieg in die Freiheit und ins Wirtshaus war der Kirchenchor“, scherzt Wünschel. Fortan hieß es dann aber: Mittwochs ist Singstunde! Die Eltern hätten streng darauf geachtet, dass nicht geschwänzt wurde. Noch kaum und vor allem nie unentschuldigt in der Singstunde gefehlt haben Liesel Geißer und Waltraud Beck. Sie proben donnerstags mit viel Freude. „Nach der Probe ist der Abend dann am schönsten“, sind sie sich mit den katholischen Sangesschwestern einig. Sie pflegen ihren Stammtisch, plaudern in geselliger Runde, werfen einen Euro in den Münzbeutel und freuen sich auf das nächste gemeinsame Essen oder den Ausflug. „Wie lange ist unser Chor noch am Leben? Wie lange können wir noch mitsingen?“ Die Vier sorgen sich um ihr Hobby. Wünschel singt im Alt, die drei anderen im Sopran. Freuen würden sie sich über „Nachwuchs“ bei den Männern. „Wenn da mal einer ausfällt, fehlt hörbar – oder eben nicht – eine Stimme.“ Zum Glück, finden Geißer und Beck, „singt Pfarrer Pfautsch bei jeder Gelegenheit mit.“ Im Kirchenchor St. Ägidius treffe dies auf Gemeindereferent Hans-Werner Schottmüller ebenso zu, ergänzen Becker und Wünschel. „Schreib rein: Wir suchen Männer!“, bitten sie. Protestantischer und katholischer Kirchenchor, Christuskirche und Ägidiuskirche: Bei allen Unterschieden haben die Menschen in Wörth vieles gemeinsam. Die Sängerinnen können jedenfalls miteinander. Wünschel macht das gegenseitige Verstehen an einem Beispiel fest. „Erstmals dirigiert uns eine Frau, eine Polin, die kein Wort Deutsch spricht“, ging die Runde, als sich Hanna Blasczok als Nachfolgerin des langjährigen Chorleiters Winfried Quarz vorstellte. Die neue Dirigentin hatte als Dolmetscher ihren Mann zur ersten Probe mitgebracht und wollte „höchstens fünf Jahre“ zur Verfügung stehen. „Das war vor 25 Jahren, und heute verstehen wir uns alle prächtig.“ Was sich in Verein und Kirche geändert hat in 50 Jahren? „Jede Zeit hat ihren Reiz, sonst wären wir nicht so lange dabei geblieben“, zieht Geißer das Fazit.

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