Kreis Germersheim Frauen bevorzugen katholische Parteien

Die SPD wurde in der Region nur von relativ wenig Frauen gewählt.
Die SPD wurde in der Region nur von relativ wenig Frauen gewählt.

Deutschlands Frauen dürfen wählen – ohne Vorbedingung und Einschränkung! Diese konsequente Anwendung des modernen Gleichheitsprinzips gilt seit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Damals lösten Demokratie und Republik das abgewirtschaftete Kaiserreich ab. Die politische Gezeitenwende hatte schlagartig auch Wahlrecht und Wahlsystem verändert.

Bis dahin waren die Abgeordneten in den Reichstags- und Landtagswahlkreisen durch absolute Mehrheitswahl bestimmt worden. Fehlte die absolute Mehrheit, so entschied eine Stichwahl zwischen den Erstplatzierten. Seit dem 30. November 1918 existierte eine neue Norm: die allgemeine, gleiche, direkte und geheime Verhältniswahl mit gebundener Liste und überregionalem Stimmenausgleich. Zugleich wurde das Frauenwahlrecht eingeführt und das Wahlalter von 25 auf 20 Jahre gesenkt. Dadurch stieg die Zahl der Wahlberechtigten von 14,4 (1912) auf 36,3 Millionen (1919). Bereits am 19. Januar und 2. Februar 1919 zeigten die Wahlen zur Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und zum Bayerischen Landtag, wie die Wählerinnen im Amtsbezirk Germersheim ihr neues Recht handhabten. Obwohl die Beteiligung binnen 14 Tagen um gut vier Prozent gefallen war, unterschieden sich die Ergebnisse nur geringfügig. Daher erlaubt die nach Geschlecht dokumentierte Landtagswahl den Rückschluss auf die vorherige unspezifizierte Wahl zur Nationalversammlung. Der ländliche, überwiegend katholische Bezirk umfasste 37 Gemeinden. Die Bevölkerung lebte zur Hälfte von der Kleinland- und Forstwirtschaft. Ein knappes Drittel ging einer dorfhandwerklich-gewerblichen Tätigkeit nach, arbeitete in einer der wenigen Fabriken oder pendelte aus. Ehefrauen waren fast immer berufslose Hausfrauen oder Mithelfende, vorzugsweise in den kleinbäuerlichen Betrieben. Im Januar 1919 hatte die französische Besatzungsmacht den Ablauf der Landtagswahl um fast zwei Wochen verzögert. Zwischenzeitlich dienstentlassene Soldaten kehrten in ihre südpfälzischen Wohnorte zurück. Folglich waren dort Anfang Februar durchschnittlich zwei bis drei, einmal sogar 6,3 Prozent mehr Wahlberechtigte verzeichnet als noch am 19. Januar. Ihre Zahl reichte von 110 (Vollmersweiler) bis 2008 Personen (Germersheim, Kandel). Aufgrund der kriegsbedingt abwesenden und gefallenen Männer überwog der Frauenanteil mehr als demografisch üblich: Sein niedrigster Wert betrug 49,9 (Kuhardt), der höchste 60,7 Prozent (Germersheim). Meist bewegte er sich aber zwischen 53 und 55 Prozent. Zwei Kriterien belegen den lokalen Mobilisierungsgrad: Zum einen der Prozentsatz der Wählerinnen. Mit 43,2 Prozent rangierten diese in Neuburg weit hinter den Männern, wogegen sie in Germersheim mit 60 Prozent klar führten. In neun Kommunen (Hagenbach, Kandel, Kuhardt, Maximiliansau, Minfeld, Neuburg, Scheibenhardt, Westheim, Winden) waren weniger als 50 Prozent der Wähler weiblich. Parität bestand in Bellheim und Freisbach. Einen beachtlichen Vorsprung besaßen die Wählerinnen jedoch in den übrigen 26 Gemeinden, vor allem in Hayna, Sondernheim, Wörth und Germersheim, wo sie die 54 Prozent-Marke überschritten. Zwei Drittel der Gemeinden des Bezirks hatten 1919 eine mehrheitlich weibliche Wählerschaft. Genauso signifikant ist die Quote derjenigen wahlberechtigten Frauen, die tatsächlich wählten, also politisch partizipieren wollten. Hier überrascht die Bandbreite: In Scheibenhardt stimmten lediglich 51,4 Prozent der Frauen ab, in Kuhardt dagegen 91,9 Prozent. Unter 60 Prozent Beteiligung lagen drei Orte (Scheibenhardt, Neuburg, Berg), unter 70 Prozent vier, unter 80 Prozent zehn, unter 90 Prozent 15. Vier Dörfer (Sondernheim, Schaidt, Vollmersweiler und Kuhardt) kamen über 90 Prozent. Dem Wahlverhalten der Frauen lagen gesellschaftlich-konfessionell bedingte Verhaltens- und Motivationsmuster zugrunde. Entscheidend war die Einbettung in die kirchlich und agrarisch geprägten Milieus vor Ort. Dort erfolgte die weltanschaulich-politische Basisorientierung. Darum bevorzugte das Gros der weiblichen Erstwähler den politischen Katholizismus (Bayerische Volkspartei, Zentrum); daneben die in den protestantischen Gemeinden anfangs starke rechtsliberale Deutsche Volkspartei, das Sammelbecken der protestantischen Landwirte. 1919 errangen beide Lager zusammen nahezu dreiviertel der Stimmen. Zur Sozialdemokratie und später zur KPD tendierte allenfalls ein recht kleines Segment der Wählerinnen. Bis 1932 schrumpfte die Wahlbeteiligung im Bezirk vornehmlich deshalb, weil die Frauen seltener votierten. Erst 1932/33 folgten weibliche Wähler vermehrt der zuvor weit überwiegend von Männern favorisierten NSDAP. Im protestantisch-agrarischen Milieu holten sie besonders schnell auf, um die männlichen Wähler schließlich zu übertreffen. Damit beschleunigten sie maßgeblich den Aufstieg der NSDAP zur dominierenden Massenpartei – auf volksgemeinschaftlicher Augenhöhe mit ihren männlichen Gesinnungs- und Wählergenossen. Lesezeichen —Der Autor hat die Wahlergebnisse jeder Gemeinde im Kreis dargestellt: „Politik und Wahlverhalten in den Gemeinden des Bezirksamts Germersheim. Die Landtags-, Reichstags-, Reichspräsidentenwahlen und Volksentscheide von 1919 bis 1933“, in: Schriftenreihe zur Geschichte des Landkreises Germersheim, Bd. 4 (N.F.), Germersheim 2016, 276 Seiten. —Bestellung: VHS Germersheim, 07274 53-319, k.traeber@kreis-germersheim.de

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