Hagenbach / Wörth Güterzüge machen nicht nur Lärm: Das ganze Haus vibriert

Die Idylle trügt: Nur wenige Meter hinter dem Garten fahren die Güterzüge vorbei.
Die Idylle trügt: Nur wenige Meter hinter dem Garten fahren die Güterzüge vorbei.

Wegen einer Sperrung im Badischen werden Güterzüge durch den Kreis Germersheim umgeleitet. Ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt? Anwohner wehren sich mit einer Petition.

Es ist nicht nur der Lärm. Wenn am Haus von Heike Kromer in Hagenbach schwere Güterzüge vorbeifahren, wackelt das Geschirr auf dem Tisch, die Erschütterungen sind auch nachts im Bett deutlich zu spüren. „Trotz Ohrenstopfen liege ich wach“, schildert Kromer, was sie und ihre Nachbarn erleben, seit die Bahn Güterzüge über Lauterbourg/Wörth umleitet. Grund ist eine Sperrung der badischen Rheintalstrecke zwischen Baden-Baden und Karlsruhe. Sie begann am 9. August und soll noch bis Ende des Monats dauern.

Zehn, 15 Meter Abstand zu den Gleisen

Als Familie Kromer das Haus 2020 gekauft hat, wusste sie natürlich, dass das Haus an der Bahnlinie liegt. Bis 22 Uhr alle halbe Stunde ein Regionalzug – damit kommen die Kromers klar, waren sie sich sicher, nachdem sie mit den Vorbesitzern auf der Terrasse fast direkt an den Gleisen gesessen sind. Vielleicht zehn, 15 Meter – viel größer ist der Abstand wie bei vielen Häusern an der Trasse durch den Landkreis nicht. Und grundsätzliche Probleme mit der Bahn hat Kromer auch nicht: „Der Bahnhof ist nicht weit, ich bin froh, dass meine Kinder mit der Bahn fahren können.“

Von Güterzügen war aber nie die Rede. „Seit 9. August fahren schätzungsweise fünf Züge, tagsüber mal zwei, dann wieder drei.“ Abends werden es dann mehr und in der Nacht geht es erst richtig los: „Manchmal von 22.30 Uhr bis in den frühen Morgen beinahe im Halbstundentakt.“ Wie viele es genau sind, weiß Kromer nicht. Tagsüber arbeitet sie und nachts sei sie froh, wenn sie doch mal für ein, zwei Stunden einschläft.

Dazu komme die Angst um das Haus, so Kromer. Die Erschütterungen seien so stark, dass sie auch die Bausubstanz schädigen könnten, befürchtet sie. Die Vibrationen beginnen, bevor der Zug vorbeifährt und dauern noch an, wenn er schon wieder weg ist. Das Foto einer Anwohnerin aus Neuburg illustriert ihre Heftigkeit anschaulich: Ein schwerer, langer tönerner Blumentopf ist nachts von der Fensterbank gefallen.

„Züge fahren mit einem Affenzahn“

Auch Karl Burkart aus Rheinzabern beschäftigen vor allem die Erschütterungen, die von den Güterzügen ausgehen. Das Thema sei nicht die Stadtbahn. Aber die Güterzüge „fahren mit einem Affenzahn durch die Dörfer“, kritisiert er. Die Züge fahren unregelmäßig, mal alle halbe, mal alle ganze Stunde, ist sein Eindruck. Die Geschwindigkeit hält er für unverantwortlich. „Die Frage ist: Was macht das mit der Bausubstanz?“ Sein Haus Baujahr 1927 stehe schließlich nur etwa 20 Meter von den Gleisen entfernt.

Petition gestartet

Klagen kommen mittlerweile aber auch von Menschen, die nicht direkt an der Bahnlinie wohnen, sondern zum Teil hunderte Meter entfernt, berichtet Kromer aus Hagenbach. Vor allem heißt es, dass die Kinder nicht schlafen könnten. Das erleben auch Dieter Oelsner (Jockgrim) und Ulrike Newill (Wörth) in ihren Orten so. Zusammen mit Kromer haben sie eine Online-Petition gestartet. Dort haben bis heute rund 400 Menschen unterschrieben. „In der Begründung schreiben viele, dass die Kinder nicht schlafen können“, sagt Newill.

„Schleichende Zunahme“

Anlass für die Petition seien nicht die drei Wochen Umleitung jetzt im August, sagt Newill: „Da müssen wir durch. Aber die schleichende Zunahme des Güterverkehrs, die wollen wir nicht hinnehmen.“ Diese Zunahme speise sich aus vielen Quellen und werde weiter gehen: „Ausbau des Wörther Hafens, Palm, Daimler“, zählt Newill auf: „Wo wollen die alle mit ihren Gütern hin?“ In Richtung Karlsruhe sind die Gleiskapazitäten weitgehend ausgeschöpft. So bleibe nur der Weg nach Norden, durch den ganzen Landkreis zum Güterbahnhof Mannheim.

Staus an Schranken befürchtet

Betroffen seien davon nicht nur die Menschen, die direkt an den Gleisen wohnen. Die Lärmglocke reiche weiter und an den geschlossenen Schranken staue sich der Verkehr, führt Newill an: Da könne dann auch schon mal ein Krankenwagen oder ein Feuerwehrauto darunter sein.

Aber auch aus dem Süden können möglicherweise künftig Güterzüge in Richtung Wörth rollen – davon wären dann zuerst die Orte der Verbandsgemeinde Hagenbach betroffen. Der Hafen Lauterbourg möchte nämlich gerne über Wörth und nicht mehr über das viel weiter entfernte Strasbourg an die Schiene angebunden werden, so Werner Schreiner, Bahnexperte und Beauftragter des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Freie Kapazitäten im Schienennetz

Und dann hängt immer noch wie ein Damokles-Schwert der Wunsch der Schweiz nach einem Ausbau der Strecke Strasbourg-Lauterbourg für den Güterverkehr über dem Landkreis. Denn die Züge würden nicht in Lauterbourg enden, sondern weiter Richtung Mannheim fahren – vorzugsweise durch die Pfalz, weil hier im Schienennetz noch entsprechende Kapazitäten frei sind. Die Schweiz, die mögliche Engpässe auf dem Weg zum Gotthard-Tunnel beseitigen will, hat Frankreich angeboten, einen Teil der Kosten zu übernehmen. In Deutschland wäre dafür nur ein Ausbau zwischen Lauterbourg und Wörth notwendig. Trinationale Gespräche darüber haben bereits stattgefunden, über ihren Verlauf wurde nichts verraten.

Ausbau Strasbourg-Wörth weiter offen

„Die Sache ist weiter völlig offen“, lautet auch die Einschätzung von Schreiner zu diesem Thema, zumal auch im Elsass die Fragen der Zukunft diskutiert werden. Einerseits fürchtet die französische Bahn SNCF bei einem Ausbau von Strasbourg/Lauterbourg um die Auslastung der Vogesenstrecke nach Metz, deren Ausbau sie gerade in Angriff nimmt. Andererseits gebe es aus Paris Signale, dass die Regierung sich einen Ausbau von Strasbourg/Lauterbourg vorstellen könne.

Verkompliziert werde das ganze dadurch, dass die Strecke Strasbourg/Lauterbourg nach den Plänen der Pariser Regierung künftig von einem von Région Grand Est benannten Unternehmen betrieben werden soll. Besitzer bleibt aber immer noch der Staat. „Die Région muss einen privaten Infrastrukturbetreiber suchen, hat wenig Geld und kein Interesse an einem Ausbau für den Güterverkehr“, so Schreiner.

Im Elsass brodelt es

„Gleichzeitig steht die Région aber durch das Projekt REME (Réseau Express Métropolitain Européen) unter dem Druck der nordelsässischen Bürgermeister und Gemeinden, die einen Halbstunden-Takt im Personenverkehr fordern“, sagt Schreiner. Der Takt wurde ihnen bisher mit dem Hinweis verweigert, die Gleisanlagen seien nicht belastbar genug. „Aber jetzt müssen sie sehen, dass dort wegen der Umleitung schwere Güterzüge fahren“, sagt Schreiner: „Es brodelt.“

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat als rheinland-pfälzischer Verkehrsminister (2016 bis 2021) eine Prüfung des Ausbaus Lauterbourg-Wörth auf den Weg gebracht, da Brüssel für die französische Seite einen Planungszuschuss avisiert hatte, erinnert sich Schreiner. Die Angelegenheit sei aber vom damaligen Bundesverkehrsminister nicht nach Brüssel weitergeleitet worden.

„Mögliche Alternativroute“

Heute weist das Bundesverkehrsministerium auf einschlägige Anfragen von Bürgern darauf hin, dass ein Ausbau im Bundesverkehrswegeplan 2030 nicht vorgesehen sei. In der Antwort auf eine CDU-Anfrage im Bundestag vom Februar wird die Strasbourg-Lauterbourg-Wörth allerdings als „mögliche Alternativroute“ für den Fall von Störungen auf der badischen Rheinseite bezeichnet: „Frankreich und Deutschland sind sich einig, dass die Voraussetzungen für eine Wirtschaftlichkeit des linksrheinischen Ausbaus der Bahnstrecke Wörth–Lauterbourg–Strasbourg für den Schienengüterverkehr derzeit noch geschaffen werden müssen. Dazu fand zuletzt am 28. September 2023 eine trilaterale Abstimmung zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz statt.“

Auch in Hagenbach fahren die Züge knapp an den Häusern vorbei.
Auch in Hagenbach fahren die Züge knapp an den Häusern vorbei.
Die Containerzüge bestehen zum Teil aus 50 Wagen.
Die Containerzüge bestehen zum Teil aus 50 Wagen.
Stau: Güterzüge warten im Wörther Bahnhof auf die Weiterfahrt.
Stau: Güterzüge warten im Wörther Bahnhof auf die Weiterfahrt.
Güterwaggons soweit das Auge reicht.
Güterwaggons soweit das Auge reicht.
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