KUSEL Über die Entnazifizierung im Kreis Kusel

Titelbild der Westricher Heimatblätter, Heft 4, Dezember 2020.
Titelbild der Westricher Heimatblätter, Heft 4, Dezember 2020.

Einem sensiblen Kapitel der frühen Nachkriegsgeschichte widmen sich die Westricher Heimatblätter im jüngsten Heft: der Entnazifizierung im Kreis Kusel während der französischen Besatzung nach 1945. Für den Landkreis liegt damit erstmals ein Überblick über die Praxis der politischen Überprüfung der NS-Vergangenheit von Einzelpersonen vor.

Der Beitrag über die Entnazifizierung im Kreis Kusel, der keinen systematischen Anspruch erhebt, stammt aus dem Nachlass des 2018 verstorbenen Regionalhistorikers Kurt Zimmer. Als Quellen stützt sich der Verfasser in erster Linie auf Akten der Militärverwaltung und auf Personalakten aus den Archiven Speyer und Koblenz.

Für die Alliierten waren Entnazifizierung, Internierung und Strafverfolgung unterschiedliche Instrumente im Dienst der „Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus“. Auf dem Weg dorthin sollten Mitglieder der NSDAP und deren Vorfeldorganisationen, die „mehr als nur nominell an ihrer Tätigkeit teilgenommen“ hatten, aus dem öffentlichen Dienst und leitenden Positionen in der Wirtschaft entfernt und durch demokratisch zuverlässige Personen ersetzt werden.

Viele „Mitläufer“

Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer, Entlastete – in diese fünf Kategorien stuften eigens gebildete Ausschüsse, Kommissionen und Spruchkammern die Betroffenen ein. Für Rheinland-Pfalz zeigt die Statistik, dass von rund 300000 Entnazifizierungsfällen fünf als Hauptschuldige, 440 als Belastete, 4840 als Minderbelastete und rund 157000 als Mitläufer eingestuft wurden. Zahlreiche Verfahren wurden etwa aufgrund von Amnestien eingestellt.

Wie Zimmer darlegt, übertrug die französische Besatzungsmacht im Oktober 1945 die Entnazifizierungsverfahren den Deutschen. Auf Kreisebene wurde ein Untersuchungsausschuss gebildet, dem Vertreter zugelassener Parteien, Gewerkschaften, der Kirchen und Unabhängige angehörten. Als zweite Instanz fungierte die Zentrale Säuberungskommission in Neustadt, deren Entscheidungen von der Militärverwaltung bestätigt werden mussten.

Privatvermögen gesperrt

Im April 1947 wurde das Verfahren stärker an justiziellen Kriterien ausgerichtet, etwa durch Spruchkammern bei Gerichten. Diese ermittelten anhand von Fragebögen, Befragungen und Zeugenaussagen, welcher Gruppe ein Betroffener angehört. Die Bandbreite der Sanktionen umfasste Entlassung, Ausschluss von öffentlichen Ämtern, Kürzung von Renten und Pensionen, Zwangsverwaltung von Vermögen, Verlust des Wahlrechts, Verbot politischer Betätigung, sowie Verpflichtung zu Wiedergutmachungsarbeiten.

Unter Zwangsverwaltung befanden sich Zimmer zufolge im April 1946 sechs Unternehmen, sowie drei Kinos. Zudem wurde auch Privatvermögen von NS-Funktionären gesperrt. Weiter erörtert der Verfasser die Lage der Lichtspielhäuser im Kreis, sowie deren Zwangsverwalter und streift dabei auch den Aspekt der Umerziehung mit Filmen „von Qualität“.

Schwächen im Verfahren

Zentral stehen in dem Beitrag konkrete Fallbeispiele von bekannten Personen, die loyal zum NS-Staat standen und nach der Entnazifizierung beruflich oder politisch Karriere machten. Dabei gehe es nicht darum diese Personen „moralisch abzuqualifizieren“, sondern auf biografische Lücken bei deren Aussagen hinzuweisen, stellt Zimmer klar.

Am Beispiel von Helmut Seyler aus Albessen, der von 1930 bis Kriegsende der NSDAP angehörte, unter anderem Kreisleiter, SA-Mann und Bauernfunktionär war, legt er dar, welche Schwächen das Entnazifizierungsverfahren aufwies. Gegen die belastenden Aussagen eines CDU-Kommunalpolitikers verteidigten KPD- und SPD-Mitglieder den Landwirt. Der Untersuchungsausschuss folgte den Entlastungszeugen, stufte Seyler als minderbelastet ein und verhängte als Sanktionen die Aberkennung der Wählbarkeit und ein Verbot politischer Bestätigung für zwei Jahre. Seiner kommunalpolitischen Karriere tat dies keinen Abbruch. Schon 1952 wurde er Amtsbürgermeister in Konken und gehörte in den 1960er Jahren für die SPD dem Kreistag an.

Als weitere Beispiele, die trotz ihrer NS-Verstrickung auch nach 1945 eine Rolle im öffentlichen Leben des Landkreises und sogar mit Orden dekoriert wurden, führt Zimmer die Lehrer und Heimatforscher Ernst Christmann (1885-1974) und Albert Zink (1899-1969) an, dem in „Persilscheinen“ attestiert wurde, er sei „in keiner Weise nazistisch tätig gewesen“. Anhand von Zitaten aus Zinks Aufsätzen für eine Lehrerzeitschrift weist Zimmer hingegen nach, dass dieser darin NS-Ideologie verbreitet habe.

Abgemilderte Sanktionen

Wie im Verlauf eines Verfahrens Sanktionen gegen NS-Aktivisten abgemildert wurden, dokumentiert der Verfasser am Beispiel des Lehrers Wilhelm Wünsch: Ordnete ihn der Öffentliche Ankläger 1948 in die Gruppe der Belasteten ein, plädierte der Kuseler Untersuchungsausschuss ein Jahr später dafür, Wünsch als minderbelastet einzustufen. Schließlich stufte ihn die Spruchkammer 1950 als Mitläufer ein, so dass Wünsch noch im selben Jahr erneut als Lehrer in Selchenbach unterrichten konnte.

Auch für Julius Gerlach (1905-1989), bis zu seiner Pensionierung 20 Jahre Leiter des Gymnasiums Kusel, versieht der Autor den Entscheid der Spruchkammer, die den Pädagogen als „Mitläufer“ einstufte, mit Fragezeichen. So habe Gerlach, den während des Verfahrens alle zugelassenen Parteien und Kirchenvertreter verteidigten, eine Reihe von Funktionen während der NS-Zeit nicht erwähnt, hält Zimmer fest.

Spärliche Angaben

Nach 1945 setzte der biografisch mit Kusel verbundene Musikwissenschaftler Joseph Müller-Blattau (1895-1976), dem neben Zimmer auch neuere Forschungen ideologische Linientreue bescheinigen, seine Karriere fort. Von 1946 bis 1952 war er Lehrer an der Oberrealschule Kusel und Musikdozent an der Pädagogischen Akademie. 1952 wurde Müller-Blattau zum Direktor des Staatlichen Konservatoriums Saarbrücken und 1958 zum Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität des Saarlandes berufen.

Während Zimmer den linientreuen Veröffentlichungen von Müller-Blattau in der NS-Zeit viel Platz einräumt, sind seine Angaben zum Entnazifizierungsverfahren recht spärlich. Anders als von dem Musikwissenschaftler selbst dargestellt, habe die Zentrale Säuberungskommission ihn nicht als Opfer des Nationalsozialismus eingestuft.

Nur kursorisch erwähnt wird der Entnazifizierungsfall des NS-Rassetheoretikers und Mediziners Hermann Gauch aus Einöllen, der zeitweise Adjutant des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, war.

„Wolfsteiner Clique“

Zimmer widmet sich auch der „Wolfsteiner Clique“ ehemaliger Nazis. Im sogenannten „Klinger-Prozess“, bei dem es um gewaltsame Ausschreitungen von SA-Leuten gegen Mitglieder der Organisation Stahlhelm in Wolfstein im Juni 1933 ging, wurden 1949 vom Oberlandesgericht Neustadt sieben SA-Leute aus der Region Wolfstein zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Der Wolfsteiner Bankier Heinrich Braun wurde „wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, die wegen vorheriger Internierung als verbüßt erklärt wurde. Leider versäumt es der Verfasser, den Begriff Entnazifizierung klar abzugrenzen von Internierung und Strafverfolgung, was zu Unschärfen in den Beispielen führt.

Einen Exkurs widmet Zimmer der antichristlichen „Deutschen Glaubensbewegung“, die im Lautertal viele Anhänger fand. Deren Hauptakteur, Lehrer Walter Lorenz, erhielt von der Spruchkammer 1948 ein Berufsverbot und die Pflicht zu Wiederaufbauarbeiten für fünf Jahre. Nach positiven Zeugnissen, die SPD und KPD für Lorenz ausstellten, hob das Säuberungsgremium 1950 den Beschluss auf. Äußerst aufschlussreich ist ein in den Heimatblättern zitierter Bericht von 1948 des französischen Kreisattaché André Denizet über andauernde „braunen Umtriebe“ in Wolfstein.

Der Aufsatz geht auch auf die reservierte bis ablehnende Haltung ein, mit der die Bevölkerung auf die Entnazifizierung reagierte. Nachdem bereits 1950 der zu überprüfende Personenkreis eingeengt wurde, erfolgte zwei Jahre später mit dem „Dritten Landesgesetz über den Abschluss der politischen Säuberung in Rheinland-Pfalz“ ein Schlussstrich unter die Entnazifizierung. Viele NS-Aktivisten kehrten nun in hohe Positionen zurück, wie jüngere Studien dokumentieren.

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