Kreis Südliche Weinstraße „Ich bin angekommen“

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Herxheim. Das war ein Paukenschlag am Abend des 26. April in der VG Herxheim. Amtsinhaber Franz-Ludwig Trauth (CDU) musste den Sessel im Rathaus räumen. Geschlagen wurde er von einem politischen Neuling, von Hedi Braun (parteilos). Sie holte fast 55 Prozent der Stimmen. Nun ist sie 100 Tage im Amt. Robert Wilhelm hat mit ihr über die erste Zeit gesprochen.

Frau Braun, an der Südlichen Weinstraße gibt es sieben Verbandsgemeinden. In den über vier Jahrzehnten des Bestehens des Landkreises sind Sie die erste Frau an der Spitze einer Verbandsgemeinde. Was bedeutet das für Sie und die Frauen im Kreis?

Dass ich die erste Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde bin, wusste ich. Die erste Frau des gesamten Landkreises – das macht mich natürlich sehr stolz. Mein fantastisches Wahlergebnis lässt unter anderem darauf schließen, dass die Zeit reif war für eine Frau an der Spitze der Verbandsgemeinde. Ich würde mir wünschen, dass mehr Frauen den Mut haben, sich dieser Herausforderung zu stellen oder zumindest erkennen, dass mit Mut, Entschlossenheit und dem Glauben an sich selbst Ziele erreicht werden. Wie gehen Ihr Mann und Ihre Familie damit um, dass Sie nun „Chefin“ sind? Ich bin ausschließlich die Chefin der Verwaltung. Deshalb hat sich für uns beide privat nichts geändert. Aus einem Angestelltenverhältnis in ein hauptamtlich politisches Amt zu wechseln, ist sicher eine gewaltige Umstellung. Haben Sie das nach 100 Tagen schon geschafft? Und: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Als ich an meinem ersten Arbeitstag im September mein neues Büro betrat, war dies für mich, als wäre ich nach Hause gekommen. Mein Gefühl sagte mir: Du bist angekommen. Hier bist du richtig. Seither dachte ich kein einziges Mal an meine bisherige Tätigkeit. Morgens zwischen 7 und 7.30 Uhr komme ich im Rathaus an. Ich trinke eine gute Tasse Bio-Kaffee, genieße die Ruhe und bereite mich so auf die anstehenden Aufgaben vor. Jeder Tag bietet neue Herausforderungen. Das finde ich sehr spannend. An dieser Stelle bedanke ich mich bei meinen Mitarbeitern, ganz besonders bei meinem Büroleiter Walter Blesinger und meiner Sekretärin Bärbel Schmitt für die großartige Unterstützung. Sie alle erleichtern mir den Einstieg in meine neuen Aufgaben sehr. Die Arbeit in der Verwaltung ist das eine. Aber als Verbandsbürgermeisterin von Herxheim, Insheim, Rohrbach und Herxheimweyher müssen Sie auch vor Ort präsent sein, zusätzlich etliche Abendtermine absolvieren. Wie viel Stunden arbeiten Sie in der Woche? Darüber habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht. Ich schätze zirka 60 bis 65 Stunden. Das ist viel. Haben Sie dazu einen Ausgleich, um fit zu bleiben? Bis zu meinem Amtsantritt joggte ich regelmäßig zweimal wöchentlich und war jede Woche zweimal im Rehazentrum in Herxheim, um die Muskeln zu stärken und anschließend bei Zumba die Ausdauer zu trainieren. Davon kann ich zurzeit nur träumen. Einmal die Woche trainiere ich im Rehazentrum. Manchmal gelingt mir ein zweites Training, dann bin ich richtig happy. Als Herxheimer Verbandsbürgermeisterin leiten Sie eine Behörde mit über 80 Mitarbeitern. Kennen Sie mittlerweile alle mit Namen? Ja – allerdings verwechsle ich manchmal noch die Personen. Aber ich werde täglich besser. Die Verbandsgemeinde Herxheim ist ein gut bestelltes Feld. Die Wirtschaft brummt, die Steuerquelle sprudelt, die VG-Umlage ist mit 23 Punkten rekordverdächtig tief. Aber darauf sollte man sich nicht ausruhen. Wie wollen Sie die Zukunft der Verbandsgemeinde gestalten, ist frischer Wind nötig, braucht es neue Ideen? Ausruhen hört sich nach Stillstand an und Stillstand ist Rückschritt. Politisch gestalten lässt sich allerdings viel mehr in den Ortsgemeinden. Als Bürgermeisterin der VG bin ich in erster Linie „Chefin der Verwaltung“ und damit auch Dienstleisterin für die Ortsgemeinden. Gemeinsam mit den Ortsbürgermeistern das Beste für die jeweilige Gemeinde zu erreichen, ist ein wichtiges Anliegen von mir. Die Effizienz der Verwaltung zu überprüfen. Die Arbeitsabläufe und die Organisation auf den Prüfstand zu stellen. Zu überlegen, ob beziehungsweise welche Maßnahmen notwendig und möglich sind, damit wir als Verwaltung unsere Arbeit erfolgreich erledigen können, ist ein weiterer Schwerpunkt von mir. Die Anforderungen an die Verwaltung und meine Mitarbeiter werden immer höher. Hier ist es wichtig, dass alle motiviert sind und mit Freude ihre Aufgaben erledigen. Welche Themen wollen Sie mittelfristig angehen, wo wollen Sie Schwerpunkte setzen? Unser Rathaus ist über 35 Jahre alt. Hier stehen mittelfristig Renovierungsarbeiten an. Ich werde darüber nachdenken müssen, ob der Standort „Bauhof“ in der Ortsmitte von Herxheim noch praktikabel ist. Ansonsten werde ich meine ganze Energie einsetzen, um die einzelnen Ortsgemeinden bei der Umsetzung deren Projekte zu unterstützen. Haben Sie Defizite erkannt, die angegangen werden müssen? Wie Sie selbst bereits erwähnten, konnte ich bei meinem Amtsantritt ein gut bestelltes Feld übernehmen. Hier gilt es dranzubleiben. Wie ist denn das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vorgänger Franz-Ludwig Trauth? Er ist ja noch Ortsbürgermeister Herxheim, eine Gemeinde, ohne die in der VG nichts geht? Das Verhältnis ist ausbaufähig mit viel Luft nach oben. Ich habe Verständnis, dass Herr Trauth seine neue Rolle noch finden muss. Ich bin zu einer guten und konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Die gute Finanzausstattung der Verbandsgemeinde ist das eine. Die Bürger sind zufrieden. Und doch sehr verunsichert: Thema Flüchtlinge. Die Erstaufnahmeeinrichtung, die im Laufe des Dezembers in der Luitpoldstraße eröffnen soll, treibt die Menschen um. Was sagen Sie den Leuten? Schließlich werden zwischen 600 und 800 Flüchtlinge erwartet. Hier kommen Menschen, die Krieg und Verfolgung hautnah erlebt haben. Die so große Not erlebt haben, dass sie sich entschlossen haben, ihre Heimat zu verlassen. Die Menschen, die zu uns kommen, sind keine Verbrecher. Im Gegenteil: Sie fliehen ja gerade vor diesen. Daran sollten wir in erster Linie denken. Wir sollten uns vor Augen führen, dass wir seit 70 Jahren keinen Krieg mehr erleben mussten. Uns geht es doch gut. Da sollte es leicht sein, Mitgefühl für die Geflüchteten aufzubringen. Der Brandanschlag auf die zukünftige Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge hat die Menschen geschockt, sprachlos gemacht. Haben Sie noch Worte? Mir fehlen selten die Worte; aber in diesem Fall war ich sprachlos. Ich verurteile diese Tat aufs Schärfste. Auch wenn noch keine Geflüchteten in der AfA untergebracht sind, handelt es sich trotzdem um einen Angriff auf Menschen, die bei uns Schutz und Sicherheit vor Krieg und Verfolgung suchen. Es ist ein Schlag ins Gesicht von allen, die aus einer mitmenschlichen Haltung heraus viel für diese leidgeprüften Menschen tun. Am Freitag findet um 18 Uhr vor dem Rathaus eine Kundgebung statt. Als sichtbares Zeichen, dass wir in Herxheim menschenfreundlich sind und den Flüchtlingen gerade nicht feindselig gegenüberstehen. Schafft es die Herxheimer Dorfgemeinschaft, mit der Herausforderung umzugehen? Die Stimmung ist überwiegend positiv. Ich wiederhole mich in dieser Beziehung gerne, wenn ich sage, dass wir Herxheimer eine ganz besondere Gemeinschaft sind. Wir sind sehr sozial eingestellt, die christlichen Werte sind uns wichtig und wir engagieren uns gerne im Ehrenamt. Natürlich steht uns eine große Herausforderung bevor und viele Bürger sind verunsichert. Bei manchen bestehen auch Ängste. Aber dies ist ganz normal. Schließlich wissen wir alle nicht, was auf uns zukommt. Zurück zur eigenen Familie: Was machen Sie an Weihnachten? Heiligabend werde ich gemeinsam mit meinem Mann André alleine verbringen. Nach den vielen Terminen in den letzten Wochen freue ich mich darauf ganz besonders. Ansonsten geht es uns wie den meisten Familien an Weihnachten. Ein Feiertag ist für die Familie meines Mannes und der zweite für meine Familie reserviert. Einerseits stressig, andererseits schön. Denn in den letzten Monaten blieb die Familie etwas auf der Strecke. Zu meinem Glück haben alle für mich viel Verständnis und unterstützen mich.

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