Eine Ukrainerin berichtet Eine Reise von Insheim ins Kriegsgebiet

Diana Nakonechna am Zug an der polnisch-ukrainischen Grenze in Przemyśl.
Diana Nakonechna am Zug an der polnisch-ukrainischen Grenze in Przemyśl.

Diana Nakonechna, die seit einem Jahr in Insheim lebt, ging das Risiko ein, in ihre Heimat zu reisen. Sie erzählt von einem langen Weg nach Hause, der Angst vor Luftangriffen und von der Freude der Rückkehr in ihr Heimatdorf.

Zwischen meiner Heimat in Kiew und meinem zu Hause in Insheim liegen 2000 Kilometer. Früher konnte diese Strecke in drei Stunden von Frankfurt aus mit dem Flugzeug zurückgelegt werden. Seit dem ersten Tag des Krieges ist der ukrainische Luftraum jedoch für Passagierflugzeuge gesperrt. Grund hierfür ist die ständige Bedrohung durch russische Raketen, Kampfjets und Drohnen. Es ist nur möglich, die Grenze auf dem Landweg zu überqueren: mit dem Auto, dem Bus, dem Zug oder zu Fuß. Wegen des Krieges durchsuchen die Grenzschützer alle Personen und ihr Gepäck sehr gründlich, sowohl beim Betreten als auch beim Verlassen der Ukraine. Deshalb kann es vorkommen, dass man für zwei Stunden oder sogar zwei Tage in der Schlage stehen muss.

Ich bin alleine in die Ukraine gereist. Meine Tochter blieb mit ihrem Vater in Insheim. In Karlsruhe bin ich in den Bus eingestiegen und erreichte Przemyśl in Polen in 23 Stunden. Ich war noch nie so lange von meiner einjährigen Tochter getrennt, daher habe ich es genossen, auf der Fahrt ein Buch zu lesen. Nach einer dreistündigen Wartezeit auf eine Zugverbindung konnte ich in den ukrainischen Zug „Ukrzaliznytsia“ von Przemyśl nach Kiew einsteigen. Vor dem Einsteigen in den Zug überqueren alle Passagiere die polnische Grenze, daher müssen die Dokumente und das Gepäck überprüft werden. Dieser Vorgang hat eine Stunde gedauert. Schließlich überquerte ich die polnisch-ukrainische Grenze in anderthalb Stunden und bereits am Abend war ich in Kiew. Die Reise in die Heimat hat insgesamt 36 Stunden gedauert. Ist dies eine lange Zeit? Ja, aber die Rückreise nach Insheim hat noch viel länger gedauert.

Am Bahnhof realisiert, dass Krieg herrscht

Der Bahnhof in Kiew wird sehr strikt vom Militär und von der Polizei überwacht. Ich habe noch nie so viele Soldaten auf einem Fleck gesehen. An diesem Punkt realisierte ich, dass ich in einem Land bin, das sich im Krieg befindet. Am Bahnhof muss jeder durch einen Metalldetektor hindurch gehen, daher befinden sich am Ein- und Ausgang lange Menschenschlagen. Der Ehemann meiner Schwester hat mich abgeholt und zusammen sind wir mit dem Auto in das Dorf gefahren, in dem meine Großeltern leben. Wir hatten nur zwei Stunden Zeit, um unser Ziel zu erreichen, da die Ausgangssperre um Mitternacht beginnt. Wir haben es gerade so geschafft.

Ich war seit eineinhalb Jahren nicht mehr in dem Haus meiner Großeltern, und das, obwohl ich dort praktisch aufgewachsen bin. Alle meine Schulferien habe ich in diesem Dorf verbracht. Und tatsächlich ist es schwer, die richtigen Worte zu finden, um deutlich zu machen, wie glücklich man ist, wenn man nach Hause kommt und seine Familie nicht nur über Video sehen, sondern sie umarmen kann. Ich konnte auch meinen Beagle Nico wiedersehen und das Bett mit ihm teilen. Der Krieg lehrt uns auf grausame Art und Weise, das scheinbar Alltägliche wertzuschätzen.

An der polnisch-ukrainischen Grenze in Przemyśl bildet sich eine lange Warteschlange.
An der polnisch-ukrainischen Grenze in Przemyśl bildet sich eine lange Warteschlange.

Luftalarm in vielen Dörfern nicht zu hören

In dem Dorf, in dem meine Großeltern wohnen, 150 Kilometer von Kiew entfernt, lebten die vergangenen zehn bis 15 Jahre nur Rentner. Junge Menschen gingen in die Städte, um nach Arbeit zu suchen. Aber während des Krieges sind viele Familien in das Dorf zurückgekehrt, da es hier sicherer zu sein scheint als in den großen Städten. Obwohl viele Männer in die Arme eintreten mussten. Mein Großvater Leonid, 74 Jahre alt, ist ebenfalls ein ehemaliger Soldat. Und genau deswegen ist alles, was er im Fernsehen über den Krieg sieht, sehr schmerzhaft für ihn. Es gibt im Dorf keine Lautsprecher. Wenn also ein Luftalarm in der ganzen Ukraine ertönt, ist er hier nicht zu hören. Die Dorfbewohner wissen daher oftmals nichts von dem drohenden Raketenangriff. Und dies ist leider ein Problem, welches mehrere Dörfer in der Ukraine betrifft.

Die Sirenen in Kiew sind sehr laut. Ich war in meiner Wohnung als der Luftalarm aktiviert wurde. Der von dort aus nächstgelegene Kellerraum befindet sich in der Schule. Dies ist aber kein Luftschutzbunker, wie er es eigentlich sein sollte, es ist nur ein einfacher Kellerraum. Also habe ich mich im Badezimmer versteckt und dabei die in der Ukraine geltende „Zwei-Wand-Regel“ beachtet. Sie besagt, dass einen mindestens zwei Wände von der Gefahr trennen sollten, da eine wahrscheinlich beim Aufprall zusammenbricht und die andere die zerbrochene Wand, das Fensterglas und so weiter abfängt. Eine Stunde lang saß ich im Badezimmer, bis der Luftalarm verstummte. Es ist emotional anstrengend und beängstigend, so herumzusitzen und abzuwarten. Dennoch sind die Menschen in der Ukraine bereits daran gewöhnt.

Zug- und Bustickets doppelt so teuer wie zuvor

Immerhin hat sich die Stromsituation in den Städten verbessert. Stromausfälle kommen nicht mehr vor. Aber die Preise für Zug- und Bustickets sind deutlich gestiegen, sie haben sich verdoppelt. Gleichzeitig werden die Gehälter gekürzt. Mein Großvater erhält zum Beispiel eine monatliche Rente von 160 Euro, mein Schwager arbeitet als Eklektiker, sein Gehalt beträgt 400 Euro pro Monat. Alle meine Freunde, die keine Kinder haben, bleiben in Kiew und leben dort unter Kriegsbedingungen weiter. In den fünf Tagen, in denen ich zu Hause war, habe ich es geschafft praktisch alle meine Freunde zu sehen. Umarmungen und eine Unterhaltung von Angesicht zu Angesicht können nicht durch ein Telefonat oder einen Videoanruf ersetzt werden. Dennoch sind wir derzeit gezwungen, auf diese Art und Weise zu kommunizieren.

Was die Reise von der Ukraine zurück nach Deutschland betrifft: Sie war ein kompletter Alptraum. Ich musste mit dem Bus von Kiew nach Krakau reisen. Von dort aus wollte ich in ein Flugzeug nach Frankfurt steigen. Aber unser Bus und 15 weitere Busse samt den Passagieren, saßen an der Grenze fest. Der Grund für die Verzögerung war, dass in einem der Busse jemand versucht hatte, verbotene Produkte über die Grenze zu schmuggeln – so haben es uns die ukrainischen Grenzkontrolleure erklärt. Daher ging die Durchsuchung weiter. Für die Autos und Lastwagen bestand dieses Problem nicht. Ich hatte nicht das Glück, dass ich die Grenze mit dem Bus überqueren durfte. Daher habe ich meinen Flug nach Frankfurt verpasst. Also musste ich von Krakau mit dem Bus nach Prag fahren und von dort aus nach Stuttgart. Insgesamt war ich 47 Stunden unterwegs.

Waren diese langen Stunden es wert, nur um für ein paar Tage zu Hause zu sein? Ja, definitiv. Werde ich es wagen, mich in naher Zukunft noch einmal auf diesen Weg zu begeben? Wahrscheinlich nicht. Dennoch träume ich von Passagierflugzeugen, die über die Ukraine fliegen anstelle von Raketen.

Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Paul.

Diana Nakonechna
Diana Nakonechna

Die Autorin

Diana Nakonechna ist im März 2022 mit ihrer Tochter vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet und lebt nun in Insheim. Die 28-jährige Journalistin berichtet in unregelmäßigen Abständen für die RHEINPFALZ von Menschen, die im Krieg leben oder in der Südpfalz untergekommen sind.

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