In eigener Sache Fall Edenkoben: Wieso wir den mutmaßlichen Tatort des sexuellen Missbrauchs zeigen

Wir haben unsere Gründe, warum wir nach dem Missbrauchsfall bis heute nicht am Gymasium in Edenkoben waren.
Wir haben unsere Gründe, warum wir nach dem Missbrauchsfall bis heute nicht am Gymasium in Edenkoben waren.

Als am Montagmittag die Polizei die Entführung eines Mädchen vermeldete, schrillten in der Redaktion die Alarmglocken. Auch wenn zunächst nicht allzu viel bekannt war. Kurz zusammengefasst, wussten wir nur, dass eine Gymnasiastin nicht zum Unterricht erschienen war, der Vater sie deshalb als vermisst gemeldet hatte, eine Zeugin die Polizei über ein verdächtiges Auto in Schulnähe informierte und dieses Fahrzeug nach einer Verfolgungsfahrt gestoppt und das Mädchen in Obhut genommen werden konnte. Mitgeteilt wurde, dass es sich beim festgenommenen Fahrer des Autos „um einen in Neustadt wohnenden bereits in Erscheinung getretenen 61-jährigen Sexualstraftäter“ handelt. Der Verdacht lag nahe, dass es um jenen Mann geht, der bereits vor Wochen im Netz identifiziert worden war, vor dem viele Menschen gewarnt hatten. Da stand sofort die Frage im Raum, ob die Tat zu verhindern gewesen wäre, ob der Mann ausreichend beobachtet wurde, ob die Öffentlichkeit hätte gewarnt werden müssen.

Die großangelegte Recherche startete: Während ein Kollege in Dauerschleife mit dem Polizeipräsidium Rheinpfalz in Ludwigshafen, der Staatsanwaltschaft in Landau und der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier als Schulbehörde telefonierte, klopfte ein anderer seine Kontakte vor Ort ab. Das Ziel: Informationen besorgen, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Wie weit gehen wir mit unserer Recherche?

Vor uns lag ein Puzzle, von dem wir nicht genau wussten, aus wie vielen Teilen es besteht. Die Bruchstücke, die wir in den darauffolgenden Stunden finden konnten, waren klein. Erst nach zwei Tagen ergaben sie weitestgehend ein Gesamtbild. Auch dank der Hinweise unserer Kontakte, da gerade in diesem Fall die Informationen seitens der Behörden anfangs sehr spärlich waren.

Am Abend des Vorfalls wurde bekannt, dass das Mädchen entgegen der ersten Mitteilung sexuell missbraucht worden war. Das versetzte alle in einen Schockzustand. So sehr wir darauf bedacht sind, den Fall professionell zu bearbeiten, so emotional aufgewühlt sind auch wir. Auch wir haben Kinder. Und von Beginn an schwang stets eine Frage mit: Wie weit gehen wir bei unserer Recherche, was tun wir und was nicht? Denn so groß unser Wissensdurst auch sein mag, er darf nicht übergriffig sein. Die Grenzen dessen, was moralisch vertretbar ist, dürfen nicht überschritten werden.

Der Gang in die Schule ist tabu

Genau das ist auch der Grund, wieso wir bis heute nicht am Gymnasium in Edenkoben waren. Diese Frage haben sich Leser nämlich gestellt. Sie wiesen darauf hin, dass es andere Medien getan hätten. Die Frage, ob wir am Tag nach der Tat in die Schule gehen sollten, haben wir diskutiert. Wir haben uns einhellig dagegen entschieden. Was sollte der Kollege dort machen? Mit Schülern über das Verbrechen sprechen? Nein, das wäre bedrängend gewesen. Dasselbe gilt für das Lehrerkollegium vor Ort. Ohnehin war und ist nicht zu erwarten, dass es dort Informationen gibt, die einen Mehrwert für die Berichterstattung haben. Erst gar nicht diskutiert wurde darüber, ob wir Kontakt zur Familie des Opfers aufnehmen.

Im Rundfunk war gar eine Umfrage unter Passanten in Neustadt zu hören. Auch das kam für uns nicht infrage. Welchen Nutzen hätte das gehabt? Welche Erkenntnisse wären zu gewinnen gewesen?

Anders entschieden haben wir uns in Sachen Tatort: Am Dienstagabend teilten die Behörden mit, dass der Beschuldigte das Mädchen in ein leerstehendes Gebäude im Landkreis Bad Dürkheim gebracht hatte. Wir konnten relativ schnell herausfinden, dass es sich mutmaßlich um eine alte Papierfabrik in Lindenberg handelt. Dass wir diese Information samt Foto veröffentlichten, brachte uns Kritik von zwei Lesern ein.

Wieso wir den Tatort zeigen

Das sehen wir anders. Erstens ist es wichtig, den zeitlichen und örtlichen Ablauf des Verbrechens zu erhellen, denn das ist elementarer Bestandteil einer umfassenden, sachlichen Berichterstattung. Zweitens verstößt das Foto nicht gegen unsere Richtlinien. Weder zeigt es das Opfer noch Blut oder andere, gewaltverherrlichende oder unangemessene Motive. Im Grunde gilt für Tatorte dasselbe wie für Unfallstellen oder -fahrzeuge.

Die Aufarbeitung des Falles dauert an. Sie bewegt sich jetzt eher auf landespolitischer Ebene, da es um Fragen wie Sicherheitsauflagen und Fußfesseln geht. Vor Ort wird sicherlich unter anderem besprochen werden, ob und welche Präventionsmaßnahmen noch ergriffen werden können, um solche Taten zu verhindern beziehungsweise Tätern es zu erschweren. Wir werden dran bleiben – mit dem nötigen Feingefühl und der Distanz.

Die RHEINPFALZ-Redakteure Christoph Demko (links) und Ali Reza Houshami.
Die RHEINPFALZ-Redakteure Christoph Demko (links) und Ali Reza Houshami.
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