Ludwigshafen Barbie in der Unterwelt

Etwa sieben laufende Meter Tisch, einen Kameramann und eine Leinwand braucht Dagmar Borrmann, um Requisiten und Darsteller ihres „Faust“ im Studio des Pfalzbaus zu präsentieren. Der komplette „zweite Teil von Goethes Drama wird hier von kleinen Plastikfiguren aufgeführt, als Kulisse dienen bemalte Pappkartons. Die Zuschauer können das Geschehen vergrößert auf einer Leinwand verfolgen.

„Playmobilshow – Faust II für Anfänger“ nennt die pfiffige Dramaturgin ihre am Wiesbadener Staatstheater als Ergänzung zu Tilmann Gerschs „Faust I“-Inszenierung entstandene Produktion. „Für die einen ist es der Nanga Parbat der Weltliteratur, für die anderen die längste Schlaftablette der Welt“, eröffnete Dagmar Borrmann den Abend. Den Klassiker präsentiert sie dann trashig, unterhaltsam und zeitgemäß. In nur einer Stunde erleben Plastikritter Faust mit federgeschmücktem Hut und Mephisto als schwarz-weißer Vampir folgende Stationen: die grüne Wiese (Kunstrasen mit Watteblumen), den Kaiserhof (Guckkastenbühne aus Wellpappe mit rot bemaltem Vorhang), die Unterwelt (Kamera verschwindet in die Licht- und Tontechnik und filmt die rotleuchtenden Armaturen der Mischpulte), wieder die Wiese, die Walpurgisnacht auf dem Blocksberg (grauer Modelleisenbahnberg mit Bewohnern aus dem Kulturkreis Überraschungsei), wieder die Unterwelt (Höllenschlund aus Pappe), Fausts Studierzimmer (auf Pappe gemalte Bücherwand mit Lesesessel), eine Liebeslaube (berankter Käfig), Hochgebirge (aus Pappe ausgeschnittene graue Spitzen), Fausts Eiland (leere Tischplatte mit Plastiktraktor zur Landgewinnung und Eliminierung der Urbevölkerung), schließlich der Himmel (die Hände des Publikums, die den Playmobil-Faust von Hand zu Hand schweben lassen). Den Faust verstanden hat dabei sicher niemand, wohl aber die verworrene Absurdität von Goethes Spätwerk erspürt. Irgendwie dreht sich alles um Helena, die Schönheit aus der Antike, dargestellt als winzige Barbiepuppe. Mephisto zaubert dem Kaiser, der Attraktionen für sein Karnevalsfest braucht, ein Abbild von Helena auf die Bühne, in das sich Faust sogleich verliebt. Allerdings zerplatzt Helena bei der ersten Berührung. Mephisto hat alle Hände voll zu tun, um die längst Verstorbene aus der Unterwelt zu holen und von Faust verführen zu lassen. Das gemeinsame Kind heißt Euphorion, entwickelt sich zum Astronauten und verglüht beim Flug in die Sonne. Todtraurig trennen sich die Eltern. Helena kehrt in die Unterwelt zurück, und Faust will im Ozean neues Land gewinnen. Er wird im Alter, jetzt dargestellt durch einen graubärtigen König, machthungrig und kapitalistisch. Ihn interessiert nicht mehr, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern will sie besitzen. Die neue Frau an seiner Seite ist jetzt die Sorge, über die man wie schon über Gretchen und Helena nicht viel erfährt. Es dauert noch, bis Faust die Ureinwohner seines Eilandes ausgerottet und einen Kanal ausgebaut hat, bis er schließlich blind stirbt, ohne je einmal gesagt zu haben: „Augenblick verweile doch, du bist so schön“. Mephisto hat also die Wette verloren und muss ohne Fausts Seele zurück in die Hölle. Faust selbst kommt aus unerklärlichen Gründen in den Himmel, wo er noch schnell das ihm alles verzeihende Gretchen trifft. In dem Gefühl, gut unterhalten worden zu sein mit einer der merkwürdigsten Altherrenfantasie, welche die Weltliteratur zu bieten hat, und dem Verdacht, dass Goethes Frauenbild nicht ganz zeitgemäß ist, verlässt man das Studio. Wären alle dramaturgischen Einführungen so witzig und klug gestaltet, würden die Theater aus allen Nähten platzen.

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