Ludwigshafen Engagierter Medienwächter

Der Termin musste etwas vage ausgemacht werden, weil Johannes Graßl nicht genau wissen konnte, wie lange es beim Amtsgericht dauern würde. So blieb die kurzfristige telefonische Absprache als Alternative – was sich als sinnvoll erwiesen hat, denn Graßl stand früher zur Verfügung als gedacht. Der 59-Jährige war weder Beklagter noch Kläger oder Zeuge in der Wittelsbachstraße. Johannes Graßl ist Schöffe. Laienrichter. Bespricht mit dem Richter und einem weiteren Schöffen Urteile, bevor sie verkündet werden. Hauptberuflich ist Johannes Graßl Abteilungsleiter bei der Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK), ist in dieser Eigenschaft nur der Direktorin und ihrem Stellvertreter unterstellt und zählt somit, könnte man vereinfachen, zu den obersten Medienwächtern in Rheinland-Pfalz. „Das ist übertrieben, denn wir sind hier alle für die Erfüllung dieser Aufgaben da“, wehrt er sich. Diese Aufgaben – das ist die Aufsicht über die Programme privater Hörfunk- und Fernsehanbieter. Das ist aber auch: für ein vielfältiges Medienangebot in Rheinland-Pfalz zu sorgen. Dies und viel mehr leistet die LMK, eine Anstalt des Öffentlichen Rechts mit 41 Planstellen und Sitz in der Turmstraße, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Radio RPR. Graßl steht ein geräumiges Büro in einer der oberen Etagen zur Verfügung. „Ich mag`s kühl“, sagt er mit bairischem Zungenschlag und zeigt auf das gekippte Fenster – bei Außentemperaturen von zwölf Grad. Graßl, der in der Stadt auch weitere Strecken gerne zu Fuß geht, ist ein kühler Kopf. Er tritt leise auf. Spricht nicht laut, wenn er in knappen Worten seine verantwortungsvolle Position schildert, untertreibt. Sagt, er habe eine „Scharnierfunktion“ zwischen Medienanstalt und den Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen, die die LMK-Versammlung bilden und die er betreut: „Die Versammlung ist ein Selbstverwaltungsorgan mit Entscheidungsrecht für die rheinland-pfälzischen Angelegenheiten des Privaten Rundfunks. Die Entscheidungen wiederum werden von Ausschüssen vorbereitet.“ Werbeverstöße, speziell bei kleineren lokalen und regionalen Sendern, gebe es derzeit nach wie vor, versichert er. Über Beschwerden – etwa von Zuschauern über „unsittliche Szenen“ zu unpassender Sendezeit – sagt der Medienfachmann: „Bei Sat.1, das in unsere Zuständigkeit fällt, sind die Jugendschutzverstöße derzeit rückläufig.“ Ohnehin würden Geschmacksfragen „nicht mit den Mitteln des Rundfunkrechts geregelt.“ Um Entscheidungen über eventuelle Verstöße treffen zu können, seien die Sender aber verpflichtet, die Mitschnitte ihrer Programme zwei Monate lang aufzubewahren. Das Sat.1-Programm zeichne die LMK selbst rund um die Uhr auf. Johannes Graßl, schlank und hochgewachsen, hat vor 25 Jahren in Ludwigshafen angefangen und kümmerte sich damals um die Offenen Kanäle, das sogenannte Bürgerfernsehen. „1990 wurde beschlossen, bis zu 25 Offene Kanäle in Rheinland-Pfalz aufzubauen, und es wurde jemand gesucht, der das organisieren kann“, erzählt der gebürtige Oberbayer, der in München Sozialpädagogik studiert hat, in der Jugendbildung tätig war, in Düsseldorf beim Deutschen Gewerkschaftsbund als Bundesjugendsekretär arbeitete und schließlich an der Düsseldorfer Fachhochschule über Neonazismus und Rechtsextremismus lehrte. Die Lehrtätigkeit „war aber nicht ganz das Meine“, sagt er jetzt. Deshalb habe er zugesagt, als ihn die Anfrage erreichte, neben den Offenen Kanälen in Ludwigshafen, Schifferstadt, Neustadt, Koblenz und Trier weitere einzurichten. Mitte der Woche ist der Ludwigshafener mit Kollegen zu den Medientagen nach München gefahren zum jährlichen Kongress der Kommunikationsbranche. Wenn er wieder zu Hause ist, bereitet er mit seiner Frau, der Grünen-Stadträtin Monika Kleinschnitger, die Stolpersteine-Verlegung vor, die für März geplant ist. Graßl gehört zu den fünf Gründungsmitgliedern des Vereins „Ludwigshafen setzt Stolpersteine“. Im November steht wieder ein Termin beim Amtsgericht an, wo Johannes Graßl seit drei Jahren als Schöffe arbeitet. Für acht Verhandlungen im Jahr wird er eingeplant. „Heute ging es um Körperverletzung“, sagt der Sozialpädagoge. Das Urteil steht noch aus. Er habe als Schöffe neue Einblicke in die Brennpunkte der Stadt bekommen. „Seither sehe ich Ludwigshafen mit anderen Augen.“

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