Ludwigshafen Erna und die Kunst der knappen Kassen

Einen weiteren schmerzlichen Verlust hat das Wilhelm-Hack-Museum im zurückliegenden Jahr 2016 abwenden können. Das Jahr davor nämlich war ein pechschwarzes für das Ludwigshafener Museum. Mit Malewitschs „Schwarzes Rechteck, rotes Quadrat“ und Kandinskys „Bild mit weißen Linien“ verlor es zwei seiner Glanzstücke. Die Erbin des Kölner Kunstsammlers, Marlene Hack, wollte die Dauerleihgaben fortan in der Kunstsammlung des Landes Nordrhein-Westfalen sehen. Die Abgabe von Ernst Ludwig Kirchners Gemälde „Das Urteil des Paris“ drohte eine weitere Lücke in die Sammlung zu schlagen. Weil das Bild jedoch nicht eindeutig als NS-Raubkunst auszumachen ist, konnte sich die Stadt nach langen Verhandlungen mit der Erbin auf eine Kaufsumme einigen. Der ausgehandelte Preis für die beidseitig bemalte Leinwand – die andere Seite zeigt eine Badeszene auf Fehmarn – liegt weit unter dem Marktwert. Über den Kaufpreis vereinbarten die Vertragspartner Stillschweigen. Er soll aber nach unbestätigten Angaben sechs Millionen Euro betragen. Die Stadt Ludwigshafen leistete einen Eigenanteil von 300.000 Euro, das Museum erhielt Geld unter anderem von der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, Großspenden von Unternehmen und rief die Bürgerschaft zu Spenden auf. Bis Jahresende trommelte es so knapp 90 Prozent der Kaufsumme zusammen. Die Spendenkampagne bekam den Namen „Erna soll bleiben“ nach Kirchners Geliebter Erna Schilling, die der Maler mit ihrer Schwester Gerda und sich selbst auf dem Bild dargestellt hat. Die Rettungsaktion für „Erna“ kann inzwischen als bezeichnend für die Ludwigshafener Kulturszene gelten. Denn eine blühende Zukunft haben die städtischen Kultureinrichtungen angesichts der Finanzsituation allesamt nicht zu erwarten. Die Ludwigshafener Kulturdezernentin Cornelia Reifenberg richtete deshalb mit ihren Kollegen in Trier und Kaiserslautern im Spätsommer einen Brandbrief an das Kulturministerium in Mainz. Darin erklären die Politiker die kulturelle Grundversorgung in ihren Städten für gefährdet. Reifenberg malte gar das Menetekel drohender Schließungen an die Wand. Die Auswirkungen der strukturellen Unterfinanzierung für das Theater im Pfalzbau hat Intendant Tilman Gersch dem Kulturausschuss in dessen Novembersitzung drastisch vor Augen geführt. Durch gestiegene Sach- und Personalkosten bei einem gleichbleibenden Jahreszuschuss von vier Millionen Euro stünden dem Theater über 600.000 Euro weniger für Vorstellungen zur Verfügung. Weniger Aufführungen bedeuten weniger Einnahmen: eine nur durch höhere Zuschüsse zu bremsende Talfahrt. Dass das Theater im Pfalzbau den Gürtel immer enger schnallen muss, zeigte sich etwa am Festival Offene Welt. In kleinerem Format war es im Herbst in die Festspiele Ludwigshafen einbezogen und kein eigenständiges Festival mehr. Trotz knapper Kasse hat Tilman Gersch jedoch für die Festspiele wieder ein sehr attraktives Programm auf die Beine gestellt, das auch Zuschauer aus der weiteren Umgebung in den Pfalzbau geführt hat. Die Werkschau war diesmal dem Thalia Theater gewidmet, das mit großartigen Schauspielern und großartigen Inszenierungen nach Ludwigshafen kam. Außerdem wird das Wiener Burgtheater mit Ibsens „John Gabriel Borkman“ in der Regie Simon Stones in Erinnerung bleiben – allein schon wegen der Dauerberieselung der Bühne mit Schnee. Die unter anderen mit Martin Wuttke in der Titelrolle ebenfalls prominent besetzte Aufführung war erst im Frühjahr als eine herausragende Produktion zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Das Tanzprogramm der Festspiele kuratierte erstmals Honne Dohrmann vom Mainzer Staatstheater. Er holte bewährte Compagnien wie das Aterballetto, aber auch etwa die Experimental-Choreographin Vera Tussing oder die Dancing Grandmothers aus Südkorea nach Ludwigshafen. In der freien Theaterszene machte das Mannheimer TiG 7 im zurückliegenden Jahr von sich reden. Hier übernahm das Duo Inka Neubert und Bernd Mand die Leitung. Seitdem professionalisiert sich das auch mit baden-württembergischen Landesmitteln unterstützte Theater, öffnet sich stärker der freien Szene der Region und nennt sich Theaterhaus in G 7. Die Kooperation mit dem Ludwigshafener Haus bei dem Theaterprojekt „Schumacher und Adenauer“ setzte außerdem ein Zeichen der Öffnung über den Rhein hinweg. Ländergrenzen spielen bei etablierten Festivals wie Enjoy Jazz ohnehin keine Rolle. Hier fanden einige der aufregendsten Konzerte diesmal in Ludwigshafen statt. Der amerikanische Schlagzeuger Jack DeJohnette holte sich in sein neues Trio Ravi Coltrane und Matthew Garrison, die Söhne der Jazz-Ikonen John Coltrane und Jimmy Garrison, und hatte im Kulturzentrum Das Haus einen großartigen Auftritt. Und im BASF-Feierabendhaus begeisterten das Charles Lloyd Quartett und das Duo Brad Mehldau und Joshua Redman das Publikum. Auch das Straßentheaterfestival Ende Juli, alljährlich zuverlässiger Höhepunkt des Ludwigshafener Kultursommers, zieht gewöhnlich zahlreiche rechtsrheinische Besucher an. Nach vielen Jahren mit Bilderbuchwetter brach nun 2016 gleich am Abend des ersten Tages ein so heftiges Unwetter über die Stadt herein, dass mehrere Auftritte abgesagt werden mussten. Von Hochwasser bedroht war auch wieder das Ludwigshafener Filmfestival, nachdem es vor drei Jahren deswegen sogar verlegt werden musste. Mit 112.000 Besuchern stieß die Parkinsel außerdem an die Grenze der Aufnahmefähigkeit.

x