Interview Flüchtlinge: Kapazitäten in LU sind erschöpft

Rund 140 Flüchtlinge aus der Ukraine, vor allem Frauen, Kinder und Senioren, sind derzeit in der Stadt untergebracht. Andere hab
Rund 140 Flüchtlinge aus der Ukraine, vor allem Frauen, Kinder und Senioren, sind derzeit in der Stadt untergebracht. Andere haben privat bei Verwandten, Freunden oder Bekannten Unterschlupf gefunden.

Wie Mannheim schlägt nun auch Ludwigshafen Alarm bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Anfang kommenden Jahres soll deshalb eine Halle für rund 100 Zuwanderer eingerichtet werden. Warum es nicht anders geht, was das kostet und was sie vom Land fordert, hat Steffen Gierescher Sozialdezernentin Beate Steeg gefragt.

Frau Steeg, im Oktober haben Sie davor gewarnt, dass Flüchtlinge ab Februar auch in Hallen untergebracht werden müssen, wenn es beim Schnitt von 80 Zugewiesenen pro Monat bleibt – weil die Stadt bei der Unterbringung an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. Wird es so kommen?
Wir wollten das vermeiden, aber das wird so kommen. Es gab zwar zuletzt einen leichten Rückgang. Aber für Januar hat das Land bereits angekündigt, dass die Zuweisungszahlen wieder steigen werden. Insofern hatten wir nur eine minimale Verschnaufpause. Voraussichtlich zu Beginn nächsten Jahres werden wir daher die erste Halle öffnen.

Welche Halle wird das sein?
Die Halle in der Mundenheimer Wattstraße. Da kriegen wir zirka 100 Menschen unter. Der Standort hat mehrere Gebäude, darunter eine Halle. Dort gibt es eine Küchenzeile, abschließbare Kühlschränke und die üblichen Stellwände, die einzelne Parzellen mit entsprechender Grundausstattung begrenzen.

Es wird vermutlich nicht die einzige Halle bleiben, oder?
Im Rheingönheimer Rampenweg laufen Bauarbeiten zur Sanierung einer Unterkunft, die sich wegen der Krise und fehlendem Material verzögert haben. Dort können wir auch Familien unterbringen. Ich hoffe, damit noch Ende des Jahres an den Start gehen zu können. Die Ausstattung ist da und muss nur aufgebaut werden. Ansonsten haben wir über die ganze Stadt verteilt nur noch wenige Möglichkeiten zur Unterbringung, etwa in der Mannheimer Straße, in Punkthäusern wie am Dammstücker Weg in Edigheim oder in einzelnen Wohnungen.

Seit 2018 Sozialdezernentin: Beate Steeg (64, SPD).
Seit 2018 Sozialdezernentin: Beate Steeg (64, SPD).

Wie viele Flüchtlinge sind aktuell in Ludwigshafen untergebracht?
Knapp 1300 aus aller Herren Länder. Ab Januar rechnen wir mit monatlichen Zuweisungen von mindestens 30 Flüchtlingen aufwärts. Ohne die Halle hätten wird schnell keine Kapazitäten mehr. Das heißt: Sobald das Gebäude im Rampenweg fertig saniert ist, bleiben noch zirka 70 Plätze. Man kann sich schnell ausrechnen, wann diese belegt sind, falls wir die Halle nicht öffnen.

Wer kümmert sich in der Halle um die Flüchtlinge?
Das ist der nächste Punkt. Das werde ich mit eigenem Personal nicht stemmen können. Beim Flüchtlingsstrom 2015/16 sind die Hallen von Security-Leuten gesichert und von einer Betreibergesellschaft betreut worden, wie zum Beispiel dem Roten Kreuz. Das müssen wir jetzt angehen. Erste Preisvergleiche für eine Vergabe wurden schon eingeholt.

Das wird nicht einfach mit Blick auf die chronische Finanznot der Stadt.
Das ist richtig. Wir erhalten zwar Förderungen, Stichwort Integrationspauschale, und können verschiedene Leistungen abrechnen. Aber wir hatten schon im September die Situation, dass das Geld nicht gereicht hat. Die Krux ist: Wir als Stadtverwaltung sind verpflichtet, die Menschen zu versorgen. Und das belastet den Haushalt, weil der finanzielle Ausgleich für unsere Ausgaben nicht ausreicht.

Um wie viel Geld geht es?
Für so eine Halle müssen wir im Monat nur für den Sicherheitsdienst mindestens 30.000 Euro in die Hand nehmen. Da ist die Größenordnung.

Im gleichen Atemzug soll die Stadt bis Ende Januar eine Sparliste vorlegen, damit der Haushalt für 2023 genehmigt wird. Das ist doch grotesk.
Das ist richtig. Wenn wir tatsächlich einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen sollen, müssen wir das Geld dafür woanders einsparen.

In Mannheim sind es vor allem Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die den Verantwortlichen Kopfzerbrechen bereiten. Wie ist die Situation in Ludwigshafen?
Wir haben nach wie vor sehr viele Flüchtlinge aus Syrien, grundsätzlich ist es aber ein ganzes Spektrum von Zuwanderern aus vielen Herkunftsländern, die zu uns kommen, nicht nur aus der Ukraine. Aber weil dort ein Ende des Kriegs nicht absehbar und der Winter längst eingekehrt ist, gehen wir davon aus, dass wir wieder mehr Flüchtlinge aus Osteuropa bekommen. Um die 140 Ukrainer sind derzeit von der Stadt in Ludwigshafen untergebracht, viele andere haben aber auch privat bei Verwandten, Freunden oder Bekannten Unterschlupf gefunden.

Eines der Gebäude in der Wattstraße in Mundenheim. In einer Halle dort sollen Anfang nächsten Jahres 100 Zuwanderer unterkommen.
Eines der Gebäude in der Wattstraße in Mundenheim. In einer Halle dort sollen Anfang nächsten Jahres 100 Zuwanderer unterkommen.

In der Vergangenheit wurden der Stadt häufig Wohnungen mit dem ausdrücklichen Wunsch angeboten, diese nur an Ukrainer zu vermieten. Gibt es weiterhin Flüchtlinge erster und zweiter Klasse?
Bei der Stadt gibt es diese Haltung nicht. Für uns zählt erst mal der Mensch und was er braucht, wenn er vor unserem Schreibtisch steht – unabhängig von seiner Herkunft. Die Gesetzgebung haben wir nicht in der Hand. Dass Ukrainer im Prinzip direkt in den Arbeitsmarkt integriert werden und hier bleiben können ist tatsächlich eine Sonderstellung, während andere erst ihre Asylverfahren durchlaufen müssen. Wie gesagt: Unser Ansatz ist das nicht. Wenn wir keinen Wohnraum haben, müssen Ukrainer genauso wie andere in Hallen einziehen. Da machen wir keinen Unterschied.

Ein wesentlicher Unterschied ist, dass aus der Ukraine vor allem Frauen und Kinder kommen.
Ja. Und ältere Menschen. Das ist nach wie vor so. Wir haben generell die unterschiedlichsten Formen der Zuwanderung mit unterschiedlichen Rechtsstellungen. Dazu zählen beispielsweise auch die Ortskräfte aus Afghanistan, die in großen Familienverbänden kommen. Für die Kinder brauchen wir wiederum ausreichend Kita- und Grundschulplätze. Daran hängt ein ganzer Rattenschwanz von Aufgaben. Es geht eben nicht nur um Wohnraum.

Was fordern Sie von Bund und Land?
Eine bessere Finanzausstauung, einen anderen Verteilungsschlüssel und hin und wieder einen Zuweisungsstopp. Das würde uns helfen, ist aber klar abgelehnt worden.

Wie könnte denn ein besserer Verteilungsschlüssel aussehen?
Ludwigshafen ist ein Oberzentrum mit kurzen Wegen, wenn es um Kitas, Schulen, die ärztliche Versorgung oder Arbeitsplätze geht. Auf dem flachen Land sieht das anders aus. Ein Oberzentrum mit bald 180.000 Einwohnern, wonach sich der Verteilungsschlüssel zum Teil ja richtet, hat da schon ein Stück weit etwas zu leisten.

Aber ...
... irgendwann ist die Infrastruktur erschöpft. An der einen oder anderen Stelle ist sie es bereits. Das Land müsste sich überlegen, welchen Regionen es mehr Flüchtlinge zuweisen könnte, um Städte wie Ludwigshafen zu entlasten. Natürlich wollen wir hier möglichst allen dieser teils sehr stark traumatisierten Menschen helfen. Aber irgendwann ist einfach eine Grenze erreicht, an der wir das nicht mehr leisten können.

 

Zur Person

Beate Steeg, 64, ist seit Januar 2018 Sozialdezernentin in Ludwigshafen, wo die SPD-Politikerin seit vier Jahren auch wohnt (Friesenheim). Die Beigeordnete hat ihr Büro im Stadthaus Nord und ist Mutter zweier erwachsener Kinder. Die Tochter ist 35, der Sohn 34 Jahre alt.

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