Ludwigshafen Grunzgeräusche und andere Klänge

Mit Avantgarde pur hat die Mannheimer Gesellschaft für Neue Musik den Schlusspunkt hinter ihr Konzertjahr 2018 gesetzt. Bestritten hat den Abend in den Reiss-Engelhorn-Museen das Klangforum Heidelberg, eine erste Adresse für zeitgenössische Musik, mit den in ihr integrierten Schola Heidelberg und der Instrumentalgruppe ensemble aisthesis. Walter Nußbaum, Gründer der Schola, hatte die Leitung.

Diesmal ging es vorrangig um den Klang und das mit ihm gleichberechtigten Geräusch, genauer gesagt, um die Ergründung neuer Möglichkeiten der Tonerzeugung, was zu den zentralen Themen der zeitgenössischen Komposition zählt. Unter Walter Nußbaums umsichtiger Leitung wartete das Klangforum Heidelberg mit durchweg vorbildlichen, Aufführungen auf. Am Werk waren Virtuosen der Moderne. Präsentiert wurde ein umfangreiches Repertoire von Verfremdungen des vokalen und instrumentalen Klangs. Dessen Skala reichte von Geschrei, Kopftönen des Bassisten über Flüstern, Atemgeräusche, Hecheln, Haspeln, Röcheln bis zu jaulendem Schleifen des Tons, skurrilen Einlagen und lautmalerischen Wirkungen. Letztere gab es sehr exponiert zu vernehmen im ersten Stück des Programms, Niklas Seidls im Mannheimer Konzert uraufgeführtem Klagegesang „Lieber Jean“. Das Werk reflektiert die Briefe des Komponisten Bernd Alois Zimmermann von der Front an einen Freund, in denen er angewidert von der kriegerischen Barbarei und der Verrohung der Sitten berichtete. Bei der Beschreibung eines weihnachtlichen Saufgelages etwa begleiteten die Posaunen mit tiefen Grunztönen die Stelle, an der Zimmermann von „Schweinen“ schrieb. Am überzeugendsten wirkte an diesem Abend das ebenfalls als Uraufführung vorgestellten Schlussstücks des Programms: Bernhard Langs „Hermetika VII“ für E-Bass und acht Stimmen, der siebte Teil einer Reihe von Chorstücken nach einer Sammlung hermetischer Texte. Der österreichische Komponist, von dem das Mannheimer Nationaltheater in den vergangenen Jahren die Bühnenwerke „Golem“ und „Montezuma Fallender Adler“ herausgebracht hatte, erzielte in diesem Stück intensive, genuin dramatisch anmutende Wirkungen. Vor allem zeigte Langs Komposition eine durchgehend nachvollziehbare Dramaturgie. Der Zuhörer wurde gefesselt durch die obsessive Gewalt der Tonsprache. Allerdings gerieten die vielen Repetitionen hier wie auch in den anderen Stücken des Programms auf die Dauer ausgesprochen ermüdend. Durch sie und durch Längen hatte Lang seine Komposition teilweise um ihre Wirkung gebracht. Langs renommierter österreichischer Landsmann Georg Friedrich Haas erhob in seinem Zyklus „Schweigen“ seine Stimme gegen die Gleichgültigkeit, mit der über die Schicksale in existenzielle Not geratener Menschen hinweggesehen wird. In seinem „Fukushima“ handelt es sich um die Anwohner, die im radioaktiv verseuchten Gebiet um das Kraftwerk leben müssen, in „Lampedusa“ um die Flüchtlinge vor Siziliens Küste und das mitunter uneinsichtige, bürokratische Verhalten der Behörden ihnen gegenüber. Georg Friedrich Haas` kompositorische Sprache beruht auf den oben beschriebenen Modellen, was für „Scriptura antiqua“ des spanischen Tonsetzers José M. Sánchez-Verdú ebenfalls gilt. Die freilich ist nicht mehr neu. Mit den hier geschilderten experimentellen Tonkonstellationen und inzwischen gar nicht mehr so unkonventionellen Verfremdungen, Verzerrungen und Geräuschklängen operiert die Avantgarde-Komposition spätestens seit den 1970er Jahren. Ihre Wirkung hat sich zumindest teilweise abgenutzt.

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