Ludwigshafen Hörspiel als „utopisches Modell herrschaftsfreier Demokratie“
Bei dem aus dem kollektiven Bewusstsein fast völlig verschwundenen Ereignis handelt es sich um den 1929 in Frankfurt am Main abgehaltenen Weltkongress der Liga gegen Imperialismus und koloniale Unterdrückung. Nun ist Kolonialismus nur noch als schwacher Nachhall in den Forderungen nach Rückgabe geraubter Kunstschätze und Kulturgüter gegenwärtig. 1929 dagegen war er noch präsenter. In den 1920er Jahren kam es in China, Indonesien, Marokko, Syrien, Nicaragua und Brasilien zu Befreiungskämpfen. Der zweite Weltkongress der Liga gegen Imperialismus und koloniale Unterdrückung in Frankfurt bestand aus einer öffentlichen Kundgebung im Hippodrom, gefolgt von einem Jugendkongress im weiträumigen Saal des Volksbildungsheims, wo sich Teilnehmer aus aller Herren Länder versammelten.
Auf das wenig bekannte Ereignis hat Oliver Augst der Kunsthistoriker Philippe Pirotte, ehemaliger Rektor der Frankfurter Städel-Schule, aufmerksam gemacht und ihm Dokumente und Material aus dem Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam zur Verfügung gestellt. Der Komponist und Experimentalmusiker Oliver Augst, seit früher Kindheit eng mit Frankfurt und der Rhein-Main-Region verbunden und seit sieben Jahren in Ludwigshafen lebend, nahm sich des Stoffes auf seine Weise an.
Uraufführung am 27. September
Das Ergebnis waren drei Abende im Oktober 2023 im Frankfurter Mousonturm, jeder etwa anderthalb Stunden lang und aufgezeichnet vom Hessischen Rundfunk. Aus dem umfangreichen Tonmaterial hat Augst ein Hörstück mit einer Länge von fast einer Stunde zusammengestellt, das am 27. September während des Ludwigshafener Kultursommers im Wilhelm-Hack-Museum seine Uraufführung erleben soll. „Jeder Abend war anders“, betont er. „Die Ausführenden hatten alle Freiheiten der Improvisation.“
Die Freizügigkeit und bewusste Vermeidung einer Hierarchie steht im Einklang mit der Botschaft des Hörstücks. Die grob festgelegten Formen konnten die auftretenden Künstler, von denen die Hälfte aus kolonisierten Ländern stammte, spontan füllen oder variieren. Augst und seinem Team ging es darum, „ein utopisches Modell herrschaftsfreier Demokratie“ zu erstellen. Dies, so meint der Musiker, sei dann verwirklicht, „wenn sich Individuen eigenverantwortlich zu gesellschaftlicher Gesamtverantwortung bekennen“.
Choral von Hanns Eisler dient als Inspiration
Dieser den Geist von Kants kategorischem Imperativ atmenden Hoffnung auf eine gerechtere Welt steht der pessimistische Titel gegenüber: „Oh Endless Is This Misery“ (O endlos ist dies Elend). Hanns Eislers gleichnamiger, im US-amerikanischen Exil entstandener Choral begleitet Oliver Augst schon sein gesamtes Künstlerleben. Die Komposition nennt er „wunderschön klar und traurig“. Das von Eisler beklagte endlose Elend bringe nicht nur die Tragik in dessen eigenem Leben und seine durch die Emigration gebrochene Biografie zum Ausdruck. Sie bilde eben auch den Kontrapunkt zu den utopischen Erwartungen der Kongressteilnehmer von der Gleichheit aller Menschen. „Eine bessere Welt wollen alle“, weiß Augst. „Bei den drei Veranstaltungen im Mouson-Turm haben wir die Utopie 90 Minuten lang vorgelebt.“
In Vergessenheit geraten ist der Weltkongress, an den der Physiknobelpreisträger und Pazifist Albert Einstein ein Grußwort entrichtete, nicht nur durch ein Verbot seines Berliner Sekretariats durch die Nationalsozialisten. Der Zweite Weltkrieg tat ein Übriges, aber auch die Abkehr von Völkervereinigung und Antiimperialismus, der Kernbotschaft des Sozialismus, in der Sowjetunion während der Stalin-Ära trug dazu bei.
Oliver Augst geht es mit seinen Hörspielkompositionen vorrangig um den Klang und das aufmerksame Zuhören. „Oh Endless Is This Misery“ hat einige Ähnlichkeit mit „Stadt der 1000 Feuer“, das der Komponist vor sechs Jahren im Wilhelm-Hack-Museum veranstaltet und mit dieser Produktion die Tradition der „Arbeiterchöre“ aus der Zeit der Weimarer Republik wiederbelebt hat. Auch schon in „Stadt der 1000 Feuer“ war Eislers Choral eingearbeitet. Die ältere Produktion sei jedoch da capo al fine ein durchkomponiertes Stück gewesen, ohne improvisatorische Freiheiten, nennt der Musiker den Unterschied in Bezug auf die beiden Werke.
Termin
„Oh Endless Is This Misery“. Hörspiel zum Weltkongress gegen Imperialismus und Kolonialismus von 1929 in Frankfurt am Main am Freitag, 27. September, 19 Uhr, im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum, Berliner Straße 23. Informationen unter www.textxtnd.de/oh_endless.