Ludwigshafen Kreuzfidele Groteske

Schrille Figuren: Clemens Dönicke als Gutsbesitzer Klapproth (links) und Klaus Köhler als Pensionsinhaber Schöller.
Schrille Figuren: Clemens Dönicke als Gutsbesitzer Klapproth (links) und Klaus Köhler als Pensionsinhaber Schöller.

Das Staatstheater Mainz hat sich für die Klamotte „Pension Schöller“ enorm ins Zeug gelegt und eine Inszenierung auf die Beine gestellt, die in ihrer schrillen Komik ihresgleichen sucht. Die Aufführung ist auch eine Hommage an die Autoren Carl Laufs und Wilhelm Jacoby, die Aktive in der Mainzer Fastnacht waren. Die Produktion war jetzt im Theater im Pfalzbau zu sehen.

Den populären Schwank, der seit fast 130 Jahren nicht bühnentot zu kriegen ist, ist hier kaum wiederzuerkennen: weg von biederer Unterhaltung, hin zu bissiger Satire. Die Bearbeitung vom Berliner Theatermann Jürgen Wölffer ist eine Mischung aus historisierender Persiflage und brandaktueller Comedy. Der von Henner Momann gespielte Major trägt eine dem Kaiserreich entlehnte Uniform, redet penetrant von einer längst vergangenen Schlacht, aber die Art, wie er das macht, scheint geradewegs aus einem Skandal der Bundeswehr zu kommen. Die Handlung ist ja ziemlich irre, aber wie sie hier daherkommt, ist sie irre im Quadrat. Der Gutsbesitzer Philipp Klapproth will ein Sanatorium für psychisch Kranke einrichten, und ist nach Berlin gereist, um ein Irrenhaus zu studieren. Dazu soll ihm sein Neffe, der auf Zuwendungen für ein geplantes Foto-Atelier angewiesen ist, Zugang verschaffen. Franziska, die in der Pension ihres Vaters Schöller kellnert, kommt auf die schräge Idee, die Pensionsgäste als Abendveranstaltung eines Irrenhauses auszugeben. Denn irgendwie verrückt sind sie alle und durch Kniffe der Regie (Peter Jordan, Leonhard Koppelmann) sind sie es total: der ausgemusterte cholerische Major, der weltreisende Windbeutel, die zickige, geschichtengeile Schriftstellerin, der Klassik deklamierende Möchtergern-Schauspieler mit Sprachfehler. Auch der im Original eigentlich nüchterne Schöller macht einen ziemlich somnambulen Eindruck und Klapproths Schwester hat sich von einer unbedarften Naiven in ein mannstolles Dummchen verwandelt. Nur Franziska (Antonia Labs) ist normal – außer wenn sie verliebt ist oder als Kellner verkleidet, um aus den Gästen deren Marotten herauszukitzeln. Eine Klasse für sich sind Bühnenbild und Kostüme von Katrin Kersten. Wände und Möbel sind aus Pappe, die Umrisse in jugendstiliger Linienführung gezeichnet. Wie die Wände aufgeschoben und die Möbel aufgestellt werden, erinnert an aufklappbare Bilderbücher aus dem Kaiserreich. Die Kostüme sind historisierend und knallbunt bis hin zu den Haaren. Der Neffe ist ein Operettenbeau (Daniel Friedl, der Major ein übellauniger Polterer, bei dem jeder zweite Satz mit „oder was?“ endet. Der Großwildjäger (Matthias Lamp) schwadroniert wie aus Karl May, und die attraktive Schriftstellerin (Anika Baumann) haut alle Männer um. Da gibt’s jede Menge Slapstick und Running Gags. Während die Naive und der Schauspieler im Rahmen des Bühnengewohnten bleiben, ist der Wirt Schöller (Klaus Köhler) ein merkwürdig schillerndes Weichei. Er ist, wie die Mehrzahl des Personals, für die Handlung zu jung besetzt; an körperlichem Einsatz wird ihnen ja auch allerhand abverlangt. Philipp Klapproth (Clemens Dönicke) rückt immer mehr ins Zentrum des Geschehens. Unter den bizarren Figuren erscheint er als der banale Alltagsmensch, an dem allein die fuchsrote Haarpracht hervorsticht. Sein Berlinerisch verstärkt diesen Eindruck von Vernünftigkeit. Im Gegensatz zu den anderen, die schrille Figuren und Sprachrohre für gallige Gesellschaftskritik sind, strahlt er etwas Menschliches aus. Und daraus erklärt sich der verblüffend traurige Schluss der kreuzfidelen Groteske.

x