Ludwigshafen Literaturpreise und Käufermassen

Der Buchpreis ging an Inger-Maria Mahlke mit „Archipel“.
Der Buchpreis ging an Inger-Maria Mahlke mit »Archipel«.

Zwei Thriller bewährter Bestsellerlieferanten beherrschen im Oktober die Listen in der Rhein-Neckar-Region: Charlotte Links „Die Suche“ und Sebastian Fitzeks „Der Insasse“. Neben diesen selbstverständlich auch bundesweit gefragten Titeln behauptet sich in der Region der dritte Teil der humorvollen „Elwenfels“-Krimireihe des Pfälzer Mundart-Comedians Christian Habekost und seiner Frau Britta mit dem Titel „Kräutertee im Dubbeglas“.

Der Oktober ist der Monat der Buchpreise. Einen Literaturnobelpreis gibt es in diesem Jahr zwar nicht. Aber aller Erfahrung nach sprechen die Bücher von Nobelpreisträgern ohnehin nicht gerade Käufermassen an. Das gilt auch für den Büchnerpreis, der in diesem Jahr an Terézia Mora gegangen ist. Erst 2013 wurde ihr für „Das Ungeheuer“ der Deutsche Buchpreis zugesprochen. In diesem Jahr ist zu diesem – nach Ansicht einer Jury – „besten Roman des Jahres“ Inger-Maria Mahlkes „Archipel“ gekürt worden. Er belegt nur einen bescheidenen Platz in der Leseecke Oppau. Dabei ist Mahlkes Roman, der sich über einen Zeitraum von hundert Jahren erstreckt, mit seiner Umkehrung der Zeitfolge und seiner Verkehrung des Ursache-Wirkung-Verhältnisses raffiniert konzipiert und sicherlich ein reizvolles Experiment. Dafür geht bei Bücher Bender in Mannheim ein Roman sehr gut, der zwar auf der Shortlist für den Buchpreis stand, aber von der Jury letztlich nicht als preiswürdig erkannt worden ist: Maria Cecilia Barbettas „Nachtleuchten“. Im Oktober nahm er den ersten Platz auf der von Verkaufszahlen unabhängigen SWR-Bestenliste ein. Die in Argentinien geborene und in Berlin lebende Autorin lässt den Vorabend des Militärputsches in Buenos Aires 1974 gespenstisch lebendig werden und macht den Leser mit dem Einwandererviertel Ballester, wo sie ihre Kindheit verbracht hat, und mit seinen Bewohnern bekannt. Dass Juli Zeh Ende Oktober in Schifferstadt den Ernst-Johann-Literaturpreis entgegengenommen hat und ihr neues Buch „Neujahr“ auf der Bestsellerliste erscheint, dazwischen besteht nicht unbedingt ein Zusammenhang. Der Ernst-Johann-Preis wird für ein Gesamtwerk verliehen und würdigt zugleich das gesellschaftliche Engagement des Geehrten für Demokratie und Freiheit. Beide Voraussetzungen erfüllt Juli Zeh mehr als genügend. Mit fast einem Dutzend Romanen, zahlreichen Essays, einigen Theaterstücken und Hörspielen hat die erst 44-Jährige bereits ein umfangreiches Œuvre vorzuweisen. Außerdem greift die Juristin in politische Debatten ein und ist mit diesem Engagement eine der wenigen Autorinnen ihrer Generation. So hat sie zusammen mit Ilija Trojanow gegen den Überwachungsstaat, die NSA-Abhöraktionen und die Aushöhlung der Bürgerrechte Front gemacht. In „Neujahr“ erzählt Juli Zeh von einer Radtour auf den Vulkangipfel auf Lanzarote und einem modernen Mann und überforderten Vater, den plötzlich Panikattacken überkommen. Ein Kindheitstrauma bricht auf. Zehs Familienroman über Angst ist von der Kritik überwiegend beifällig, aber auch nicht nur beifällig aufgenommen worden. So wurde unter anderem die schlichte Sprache als bieder, der Aufbau des Romans als konventionell kritisiert und wie von der Musterschülerin einer Schreibschule entworfen. Dass der vor bald drei Jahren verstorbene Roger Willemsen posthum einen Bestseller landet, ist seiner Vertrauten und Nachlassverwalterin Insa Wilke zu verdanken. Bereits bei den Vorbereitungen auf das vergangene Mannheimer Literaturfestival „lesen.hören“ deutete sie an, dass sie eine Veröffentlichung von Willemsens Texten zur Musik vorbereite. Schließlich gab es ja die NDR-Sendung „Willemsen legt auf“, und auch in Mannheim hat der Schirmherr und Programmplaner des Literaturfestivals bisweilen einen Abend seinen liebsten Platten gewidmet. Mit den Pianisten Michel Petrucciani und Frank Chastenier war er befreundet. Das Buch mit dem schlichten, aber wie Paukenschläge donnernden Titel „Musik!“ ist nun diese angekündigte Sammlung. Darin sind Texte zum Jazz, aber auch über Klassiker wie Joseph Haydn und über einzelne Musiker versammelt, viele bislang unveröffentlicht. Der letzte Satz in Willemsens Nachruf auf Michel Petrucciani lautete: „Auch das Klavier hatte einen Freund verloren.“ Man muss nur „Klavier“ gegen „Literatur“ austauschen, um zu ermessen, was nicht nur Mannheim mit Roger Willemsen verloren hat. Antje Geis, Inhaberin der Leseecke Oppau, empfiehlt Sofia Lundbergs „Das rote Adressbuch“. Im Mittelpunkt steht die reizende Doris in Stockholm, die auf ein langes, bewegtes Leben zurückblickt. Im Alter von zehn Jahren hat sie von ihrem Vater ein rotes Adressbuch bekommen, das sie im Laufe der Jahre mit Namen von Personen, die ihr begegnet sind, angefüllt hat. Dieses Buch, ihrer Großnichte Jenny hinterlassen, wird eine Art Testament der Erinnerungen. Anhand der eingetragenen Personen begleitet der Leser Doris durch ihr Leben, beginnend in den Dreißigerjahren in Paris, wo sie ihre große Liebe kennenlernt. Er erfährt von den Sorgen und Ängsten während des Weltkriegs und von der einsamen Zeit des Älterwerdens. Das Adressbuch wird zu einer Landkarte ihres Lebens. „Viele Zeilen dieser Geschichte berühren und bleiben in Erinnerung“, sagt Antje Geis.

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