Mannheim Mehr als Maden und Heuschrecken: Versuchslabor der „Parasite Kitchen“ an Kunsthalle

Auch so kann kulturwissenschaftliche Forschung aussehen: Professor Moritz Klenk (links) mit Kunstschaffenden, Studierenden – und
Auch so kann kulturwissenschaftliche Forschung aussehen: Professor Moritz Klenk (links) mit Kunstschaffenden, Studierenden – und wer sonst von den leckeren Gerüchen angelockt worden ist.

Auf dem Skulpturenplatz vor der Mannheimer Kunsthalle hat die Fakultät für Gestaltung zum Essen eingeladen – in ihrer „Parasite Kitchen“. Dass dieses Kochen weniger mit Insekten als mit Philosophie und Gemeinschaft zu tun hat, erklären die Künstler und Wissenschaftler zum Abschluss des Experiments. Auf jeden Fall wärmt sie den Magen. Ein Tisch hat das Versuchslabor jedoch nicht überlebt.

Es gibt Kartoffelstampf mit Ofengemüse. An einem langen Tisch verspeisen Menschen genüsslich, was sie gemeinsam gekocht haben. Was in zahlreichen großen und kleinen Küchen in Deutschland und der ganzen Welt täglich passiert, fand auf dem Skulpturenplatz hinter der Kunsthalle Mannheim zwei Wochen lang im öffentlichen Raum Platz. „Parasite Kitchen: künstlerische Forschung im öffentlichen Raum/Werkbund Foyer #2 Küche“ heißt die Veranstaltung der Kunsthalle Mannheim in Kooperation mit der Fakultät für Gestaltung, Hochschule Mannheim und dem Werkbund Baden-Württemberg. Am Samstag war das Abschluss-Essen.

Wenn sich das Herz öffnet

Eine Küche im Freien bauten Studierende des Fachs Kommunikationsdesign unter Leitung von Moritz Klenk, Professor an der Hochschule Mannheim, gemeinsam mit Nina Rind vom Karlsruher Institut für Technologie und dem Deutschen Werkbund Baden-Württemberg und Künstler Jakob Wirth aus Berlin auf. Hier wurde nicht nur gekocht und gegessen, es gab auch Live-Performances, Vorträge, Interventionen, Gespräche und Podcasts. Etwa 50 bis 70 Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft und Geschichte, von Obdachlosen über afrikanische Migranten, Nachbarn über Schüler und Studierende der benachbarten Schulen und Hochschulen bis hin zu interessierten Ausstellungsbesuchern der Kunsthalle fanden sich – je nach Wetter – zu den gemeinsamen Mahlzeiten ein.

Das Innerste nach Außen gekehrt

„Wir forschen an der Gegenwart: Experimentelle Kulturwissenschaft betreiben wir“, erklärt Klenk bei seinem Vortrag neben der Küche. Studierende aus seinem Seminar, aber auch kunstinteressierte Passanten schreiben zum Teil eifrig mit. Die Küche sei das Innerste, Privatraum, ohne Zugang für Außenstehende. Was geschieht nun, wenn man das Innerste nach außen kehrt, die Küche vor das Haus stellt? Was, wenn die Küche selbst nach außen wandert, wenn sich das Herz öffnet und sich beobachtbar macht? Das sind Fragen, die der Hochschullehrer stellt. Die Auswertung des Versuchs steht noch aus, betont der Professor. In einiger Zeit soll es Antworten auf die Fragen geben: „Welche Bedeutung haben Ästhetik, die Sinne, Kunst und Gestaltung für das Zusammenleben? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Küche, Kochen und Kunst?“

Mitesser an der Tafel

Maden und Heuschrecken gab es nicht bei „Parasite Kitchen“, anders als manchen aufgrund des Titels in den Kopf kam. Das Essen ist vegan, um niemanden auszuschließen. Parasit bedeutet auf Altgriechisch „Mit-Esser“, genauer „nahe dem Essen“ („para“ übersetzt „nahe“ „sitos“ = „dem Essen“). Mit Parasiten waren im antiken Griechenland Tempeldiener gemeint, die zwischen Göttern und Volk vermittelten, die Spenden der gläubigen Menschen für die Gottheiten verwalteten, erklärt Jakob Wirth, der als „Artist in Residence“ zu Gast ist. Bis zum 16./17. Jahrhundert blieb die Bedeutung des Wortes gleich. Mit der Französischen Revolution wandelte sich der Begriff zu dem heutigen Verständnis als Schmarotzer, Schädlingen der Gesellschaft. Erst der Poststrukturalismus, eine geistes- und sozialwissenschaftliche Strömung, die Ende der 1960er-Jahre in Frankreich entstand, griff das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung auf. Mit Parasiten sind Menschen gemeint, die Strukturen aufbrechen, die einen „Unexpected Change of Plot“, einen Perspektivwechsel ermöglichen, erklärt Jakob Wirth.

Einen Perspektivwechsel erlebten bei dem Projekt nicht nur die Studierenden: „Eine Immobilienmaklerin saß am gleichen Tisch mit einer Vertreterin der letzten Generation. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, mit denen ich sonst nie Kontakt gehabt hätte“, berichtet Marie-Luise Pauz, Kommunikationsdesign-Studierende. Für sie, für Marie Hoffmann und Johanna Kühle ist das Projekt Gegenstand ihres Praxis-Semesters und gehören zu den Moderatorinnen.

Geschenk für die Gäste

„Liebe geht durch den Magen“, hat Alex Huhn erfahren. Er wohnt in der Neckarstadt und ist zufällig auf das Projekt gestoßen. Während des Vortrags über die kunsttheoretischen Hintergründe des Projekts schneidet er mit Kumar Rajinder, der um die Ecke wohnt, und Leonardo Elgar, Studierender aus Heidelberg, ganz praktisch Paprika und Zwiebeln, stampft die Kartoffeln und prüft, ob das Gemüse im Ofen schon gar ist.

„Ihr könnt in einer Stunde zum Essen vorbeikommen“, sagt Elgar zu zwei jungen Männern, die der Geruch angelockt hat. Jung und alt finden sich nach dem Vortrag zusammen und genießen bei interessanten Gesprächen das leckere Essen. Aperol Spritz gibt es zur Feier des letzten Tages. Zwar war die Performance am Nachmittag wegen Krankheit ausgefallen. Nach dem Essen griff jedoch MarieLuana Werner, unterstützt von anderen Studierenden, zum Vorschlaghammer und zerlegte einen Tisch, der nicht mehr gebraucht wird, zu Kleinholz. Das verpackte sie anschließend liebevoll in Marmeladengläser als Give-Away für die Gäste. Ein anregender Abend mit viel Power auf dem Skulpturenplatz hinter der Kunsthalle Mannheim.

Marie Luana Werner macht „Marmelade“.
Marie Luana Werner macht »Marmelade«.
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