Ludwigshafen „Meine Vision ist eine Welcome-City“

Herr Fasihi, Sie sind als Flüchtling nach Deutschland gekommen – was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die aktuelle Debatte verfolgen?

Für Menschen, die in Lebensgefahr sind, ist es wichtig, eine Unterkunft zu bekommen. Wenn sie hören, dass eine Gesellschaft nur darüber redet, was diese Leute an Steuern kosten, dann tut ihnen das sehr weh. Warum haben Sie den Iran und Ihre Heimstadt Teheran 1986 verlassen? Ich war politisch aktiv gegen das Mullah-Regime und bin in Lebensgefahr geraten. Ich musste das Land verlassen. Genaueres möchte ich dazu nicht sagen, ich will niemanden in Gefahr bringen. Wie sind Sie rausgekommen? Ich arbeitete damals als Betriebsingenieur in einem Lkw-Montagewerk von Daimler-Benz in Teheran. Das bot mir die Chance, nach Stuttgart zu fliegen und dort Asyl zu beantragen. Sie landeten zunächst in einer Asylbewerberunterkunft in Karlsruhe. Wie war die Zeit in diesem Sammellager? Dort waren Menschen aus der ganzen Welt – aus Afrika oder dem Nahen Osten. Da treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Und niemand fühlt sich für etwas verantwortlich. Da viele Menschen auf engem Raum zusammenlebten, waren die hygienischen Verhältnisse nicht gut gewesen. Wir waren zu acht in einem Raum untergebracht. An die Sammelunterkunft haben Sie also keinen guten Erinnerungen. Das Umfeld prägt die Menschen. Wer in einem solchen Umfeld lange bleibt, wird davon negativ beeinflusst. Ich war nur zehn Tage dort und bin dann nach Heidelberg weitergeleitet worden. Dort war es besser. Wir waren fünf Personen in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Es waren alles junge Leute, die froh waren, dass sie ihr Leben gerettet hatten. Konnten Sie durch Ihre Arbeit ein bisschen Deutsch? Nein, kein Wort. Ich sprach ein wenig Englisch, das hat geholfen. Was waren Ihre ersten Eindrücke von Deutschland? Ich kannte nur den Iran, dort gab es kein internationales Publikum wie in Heidelberg, wo es japanische oder amerikanische Touristen gibt. Und ich erinnere mich noch, dass ich beeindruckt war von der Ordnung und Struktur in Deutschland. In Heidelberg funktionierte der Nahverkehr perfekt, Busse und Bahnen kamen pünktlich, es gab genug Plätze. Das fand ich traumhaft. Im Iran gab es das nicht. Und auch die Gegensätze zwischen Arm und Reich waren dort ganz extrem. Es gab Häuser der Schah-Familie mit goldenen Armaturen im Bad. Und es gab Häuser ohne Fenster von Menschen, die nichts hatten und auf der Straße betteln mussten. Bei Daimler in Teheran hatten Sie aber schon Deutsche kennengelernt? Ja, da gab es viele Deutsche und auch Leute, die in Deutschland studiert hatten. Wir teilten zum Beispiel die Begeisterung für Fußball. Ich hatte ein sehr positives Bild von Deutschland. Wollten Sie deshalb unbedingt nach Deutschland? Nein, das nicht. Ich wäre auch in die Türkei gegangen oder in die USA. In Amerika lebt ein Teil meiner Verwandtschaft, die vor dem Schah-Regime geflüchtet ist. Doch ich bekam kein Visum für die USA, durch die Arbeit aber eines für Deutschland. Wie erlebten Sie den Umgang mit der deutschen Bürokratie? Es dauerte eineinhalb Jahre, bis es nach meinem Asylantrag zu meiner ersten Anhörung kam, bei der es darum ging, ob ich als politischer Flüchtling anerkannt werde. Ich wurde zunächst abgelehnt, weil ich meine Wegbegleiter im Iran nicht in Gefahr bringen wollte und deshalb nicht alle Fragen beantworten konnte. Wie ging’s dann weiter? Ich hatte die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung vorzugehen und habe mir einen Anwalt genommen. Bis zur Gerichtsverhandlung hat es noch mal eineinhalb Jahre gedauert. Es dauerte also insgesamt drei Jahre, bis ich politisches Asyl bekam. Hatten Sie in den drei Jahren schon Deutsch gelernt? Ich habe Kurse bei der Volkshochschule besucht, das Sozialamt hat mir bei der Bezahlung geholfen. Ich bin dann als eine Art blinder Passagier an die Uni Heidelberg gegangen, um zu lernen. Wie lief das ab? Ich ging auf den Campus im Neuenheimer Feld, dort wurde gerade ein modernes Rechenzentrum aufgebaut. Ich habe mich sehr für Computer und Informatik interessiert, habe viele Seminare an der Uni besucht und auch die entsprechenden Scheine gemacht, obwohl ich gar nicht ordentlich eingeschrieben war. (lacht) Stimmt es, dass Sie sich während dieser Zeit auch in der Fußgängerzone in Heidelberg als Porträtzeichner etwas dazuverdient haben? Ja, dabei habe ich sehr viele Menschen kennengelernt. Ich stand mit meiner Staffelei gegenüber einer Kirche in der Fußgängerzone. Ich habe das Geld für Essen und Kleidung gebraucht. Wie viel Geld hatten Sie damals zur Verfügung? Ich bekam als Asylbewerber 320 Mark im Monat. Davon konnte ich mir nichts zusätzlich kaufen. Ich bin während der drei Jahre nie in ein Restaurant gegangen. Das ging nicht. Wie haben Sie Heidelberg erlebt? Das war eine sehr weltoffene Stadt: Es gab viele Studenten, die US-Soldaten, die Touristen. Mir hat das gut gefallen. Wie war es, in diesem Schwebezustand zu leben – kann ich bleiben, werde ich abgeschoben? Die Unsicherheit war groß. Aber ich war überzeugt, dass ich als Flüchtling anerkannt werde. Ansonsten wäre alles aus gewesen. Vom Flüchtling zum Firmenchef – wie schwer war der Weg dahin? Für mich war das ein normaler Weg. Es geht um Entscheidungen, die man trifft. Ich war mit einem Mitarbeiter des Rechenzentrums befreundet. Der hat Leute mit technischen Problemen zu mir geschickt. Ich habe das kostenlos gemacht, damit ich beschäftigt bin und um Kontakt zu bekommen und mein Wissen zu verbessern. Dann habe ich eine Anzeige der BASF für einen Programmierer gesehen und mich als freier Mitarbeiter beworben. Und es hat geklappt? Ich hatte ein Vorstellungsgespräch und musste eine Programmieraufgabe lösen. Das konnte ich schneller als mein Mitbewerber, der als Deutscher besser sprechen konnte. Ich war am Computer besser – das war ausschlaggebend. Sie haben mit 32 Jahren noch einmal ganz von vorne angefangen – aus dem Betriebsingenieur wurde ein Software-Entwickler. Ich durfte nach meiner Anerkennung offiziell studieren. Das habe ich in Mannheim gemacht. Dort belegte ich Wirtschaftsinformatik. Parallel habe ich bei der BASF gearbeitet – ich habe vormittags studiert und nachmittags war ich in der Anilin. Ich habe nur fünf oder sechs Stunden geschlafen. Hat sich die Mühe gelohnt? Ja, ich bekam 1996 das Angebot einer Festanstellung bei der BASF. Aber ich habe mich für die Selbstständigkeit entschieden, weil ich dabei unabhängiger war. Dann habe ich eine Studienkollegin eingestellt. Heute beschäftigen Sie rund 50 Mitarbeiter – hatten Sie auch Glück, weil Ihr Unternehmen im Windschatten des rasanten Aufschwungs schnell gewachsen ist? Das war nicht nur Glück. Viele waren damals skeptisch, was die Internet-Technologie betraf. Aber ich habe den Trend gespürt. Ich hatte das in den USA beobachtet und wusste, das Internet ist die Zukunft. Meine Cousine war an der Universität in Berkeley in Kalifornien. Ich habe sie dort besucht, mir Computergeschäfte angesehen und dort gelernt, wie man Computer baut. Das Wissen konnte ich hier in Deutschland gut einsetzen. Ihr Metier ist mittlerweile auch die Datensicherheit. Seit 2010. Die von Mitarbeitern aus Schweizer Banken verkauften Steuer-CDs haben viele Firmen aufgeschreckt. Die Unternehmen haben sich gefragt, wie sicher ihre Daten sind – und wer Zugriff darauf hat. Die Leute kamen zu uns und fragten: Wie kann ich verhindern, dass Mitarbeiter Zugriff auf streng vertrauliche Daten haben? Wir haben dann Software-Lösungen mit Klassifizierungen und entsprechenden Zugriffs- und Leserechten entwickelt. Dafür sind wir ausgezeichnet worden. Haben Sie mit der Datensicherheit wieder einen Trend erkannt – wie damals mit dem Internet? Theoretisch ja. Die Nachfrage dafür ist da. Ich habe immer marktorientiert gearbeitet. Man muss erkennen, wo ist der Bedarf und was intelligente Lösungen sind. Wenn man Ihre Geschichte hört, erahnt man, wie viel Potenzial Flüchtlinge für die deutsche Gesellschaft haben. Wird das zu wenig erkannt? In der Masse von Menschen, die hierher kommen, ist bestimmt Potenzial. Es hängt aber auch von den Leuten selbst ab, was sie aus ihrem Leben machen wollen. Das Umfeld für diese Menschen ist dabei ganz wichtig. Die Sammellager sehen wie Gefängnisse aus. Da hat sich in den 30 Jahren, die ich mittlerweile hier bin, leider nicht viel geändert. Was halten Sie von dem in Ludwigshafen geplanten Containerdorf, in dem ab September über 200 Flüchtlinge untergebracht werden sollen? Container müssen nichts Negatives sein. Allerdings sollte man eine nachhaltige Strategie haben. Es ist eine kleine Stadt, die dort entsteht. Wichtig ist, dass man die Menschen dort auch etwas arbeiten lässt – außerhalb ist das wegen der Sprache schwierig. Wenn jemand dort eine Qualifikation schafft, dann kann er es auch außerhalb im freien Markt schaffen. Man sollte schrittweise die Integration ermöglichen. Wie könnte das aussehen? Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte, die das Problem unter Einsatz neuester Technologie angeht, wie sie heute schon in den USA benutzt wird. Meine Vision ist eine Art Welcome-City, in der Asylbewerbern Schulen, Straßen, Häuser, Sportplätze oder Restaurants zur Verfügung stehen. Wo so viele Menschen leben, entsteht auch Arbeit. Jeder, der arbeitet, sollte mindestens 8,50 Euro bekommen, die auf einer Chipkarte gutschrieben werden, mit der er bezahlen kann. Die Chipkarte könnte gleichzeitig der Ausweis sein. Die entstehenden Kosten sollten dann jeweils von den Herkunftsländern der Asylbewerber verlangt werden. Was müsste sich sonst ändern? Es fehlt ein langfristiges Konzept der Politik. Man müsste stärker unterscheiden zwischen Flüchtlingen, die einwandern wollen, und politisch Verfolgten, die Asyl wollen. Das ganze Prozedere dauerte sehr lange. Immerhin: Die Bearbeitungszeiten für Asylanträge sollen ja auf drei Monate reduziert werden. Ich finde es auch nicht gut, dass die Debatte immer auf die Kosten für die Unterbringung reduziert wird. Ich habe in Deutschland mittlerweile viel mehr Steuern gezahlt, als das Geld, das ich damals den Staat gekostet habe.

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