Ludwigshafen Mythos Marlene

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Marlene-Dietrich-Abend im Theater im Pfalzbau: Mann am Klavier, Diva am Mikrofon und ein gefälliges Nummernprogramm? Beim Ludwigshafener Gastspiel der Magdeburger Kammerspiele war alles anders: theatraler, dynamischer, komischer. „The Kraut“ wird die Diva in Dirk Heidickes Stück genannt. An ihrer Person kristallisiert sich ein halbes Jahrhundert deutsche Geschichte und Filmgeschichte.

„Kraut“ (von „Krautjunker“) war das amerikanische Schimpfwort für die Deutschen. Ernest Hemingway habe sie liebevoll so genannt, behauptet Marlene Dietrich in ihrer Autobiografie „Nehmt nur mein Leben“. Für sie sei er „Papa Hemingway“ gewesen. Das hört sich kurios an, denn er war nur zwei bis drei Jahre älter. Was die Dietrich gesagt und geschrieben hat, war allein ihrem Mythos verpflichtet. Sie war eine mittelmäßige Schauspielerin und hat dennoch bedeutende Regisseure inspiriert. Als Sängerin war sie noch mittelmäßiger und bezauberte Millionen. Das Einzige, was sie wirklich konnte, war ein Star zu sein. In der Selbstinszenierung, die sie sich hart und zielstrebig erarbeitet hatte, kam ihr keine gleich. Dirk Heidicke versetzt seine Heldin in deren Pariser Wohnung kurz vor ihrem Tod. Sie ist krank und alkoholabhängig, sie bastelt rastlos an ihrem Mythos, angefangen bei ihrer Autobiografie, endend mit der Vorbereitung ihrer Postum-Rückkehr nach Berlin. Indem er ihn vom Ende her aufzieht, dekonstruiert Heidicke den Mythos Marlene. Susanne Bard spielt die in sich selbst verliebte alte Frau schnodderig und erinnerungsselig. Was die Welt betrifft, ist sie desillusioniert. Über sich selbst gibt sie sich weiter der Täuschung hin. Die historischen Fakten sind gründlich recherchiert, der ambivalente Charakter der Dietrich ist geschickt in der Schwebe gehalten. Die Lieder sind, oft nur mit einer einzigen Strophe, in die Handlung verflochten, manche persönliche Aussagen durch einen nüchternen Zusatz relativiert. Sie singt „Surabaya-Johnny“: Kurt Weill habe für sie zahllose Lieder geschrieben, die sie nie gesungen hat. Sie marschiert zu „Lilli Marleen“, dem Lied, das die Welt ihr zu verdanken habe. Dem gleichen Komponisten verdankt sie auch „Bomben auf Engeland“. Das ist so beziehungsreich gesponnen, dass man die zu Grunde liegende Historie studieren möchte, um alle Details zu verstehen. Marlene liegt übelgelaunt auf dem Bett und summt „Schöner Gigolo, armer Gigolo“. Es war nicht ihr Lied, aber ihr letzter Film. Die weiße Decke, auf der sie später achtlos herumtrampelt, wird zum Schluss der weite bodenlange Pelzmantel, in dem sie „als Königin“ mit der US-Army in Berlin einfuhr. Er war das Symbol, an dem sich die Wut der Besiegten entzündete. Ihre Karriere in der Truppenbetreuung verdankte die Dietrich ihrer Nützlichkeit als Propagandistin, wie auch immer sie das schöngeredet hat. Sie wollte ihrem geliebten Deutschland nur helfen, lässt Heidicke sie beteuern. Sie hat das Empire gerettet. Sie hätte die Welt retten können, wenn sie den Mut gehabt hätte, Hitler zu verführen. Und sie legt los im weißen Mantel unter platinblonder Perücke: „Johnny, wenn du Geburtstag hast“; zwischendrin mimt sie grotesk den Führer. Es ist einer der wenigen Augenblicke, in denen Susanne Bard die Ikone spielt, die von den aufwendigen Roben behauptet wird. Gemäß dem Text hat Regisseur Klaus Noack optische Abstinenz verordnet. Über die eigenen schönen Haare hat Susanne Bard den ganzen Abend das hässliche Netz für die Perücke gezurrt. Das maskenhafte Dietrich-Make-up ist schlampig. Vom Schlabberkittel schlüpft sie in ein Unterkleid, das dieselbe Hautfarbe hat wie Dietrichs Glitzerroben. Darüber trägt sie eine Uniformjacke. Aber mimen und parodieren darf Susanne Bard, wie es das Original nie gekonnt hätte, und dabei zieht zwischen Kabarett und Entertainment die Geschichte der Nazi-Ufa vorüber. Termin Weitere Vorstellung im Theater im Pfalzbau am 24. März, 19.30 Uhr.

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