Ludwigshafen „Nazis sind in vielen Bereichen“

Herr Ohlendorf, hat Pegida die öffentliche Wahrnehmung Ihres Films verändert?

Wir sind jetzt drei Jahre mit dem Film unterwegs. Da wird deutlich, wie Pegida die Diskussionen nach den Filmvorführungen beeinflusst. Leute „outen“ sich jetzt schon mal als stille Mitdemonstranten. Man spürt, wie die von verschiedenen Seiten propagierte Angst vor dem Islam hochkommt. Was ich am schlimmsten finde ist, dass man wieder einer Gruppe, einer Religion die Schuld in die Schuhe schiebt. Das erinnert an den Nationalsozialismus, als die Juden zu „den Schuldigen“ erklärt wurden. Damit sind wir dann auch auf einem zweiten Feld, der Neiddebatte: „Die sind schuld, dass wir das oder das nicht haben.“ Vorurteile werden blind übernommen. Davor warne ich. Gott sei Dank gibt es eine klare Gegenbewegung. Neonazis waren früher durch ihr Äußeres klar wahrnehmbar. Wie erkennt man sie heute? Nazis spielen ins gesamte gesellschaftliche Spektrum hinein, ob das zum Beispiel Kampagnen im Tierschutzbereich sind oder Biohöfe und Naturkostläden, die sie übernommen haben. In der extrem gewaltbereiten Nazi-Szene gibt es auch Strömungen wie die Autonomen Nationalisten, die in einem Outfit aufmarschieren, das dem von linken Autonomen sehr ähnelt. Autonome Nationalisten verteilen schon mal CDs, auf denen Hip-Hop-Musik mit rechten Texten drauf ist. Vordergründig scheint es dabei aber um linke Themen zu gehen. Die Verwirrung ist komplett für viele junge Menschen, die dann auf Slogans anspringen können wie „frei, sozial und national“. Was zieht Jugendliche nach rechts? Die Zeiten sind turbulenter geworden, die Jobs wandern um die Welt. Das spürt inzwischen auch der Mittelstand und damit kommt die Verunsicherung immer tiefer in der Gesellschaft an. Sowas überträgt sich von den Eltern auf die Kinder. Die klammern sich dann gerne an Begriffe wie „Stolz, Ehre, Heimat, Nation“. Das bietet scheinbar wieder Nähe, Wärme, Geborgenheit und eine gewisse Identifikation. Und dann wird zum Beispiel das deutsche Fußball-Nationalteam Weltmeister und ein paar Spieler präsentieren bei der großen Feier in Berlin den Gaucho-Tanz. Deutsche Fußballhelden machen sich über ihren argentinischen Gegner lustig, den sie nur mit viel Glück besiegt haben. Da haben sich sehr viele amüsiert und groß gefühlt. Das ist respektlos und geht in die falsche Richtung. Sie geben mit Ihren Diskussionen einen Impuls. Was muss danach stattfinden, um dem entgegenzuwirken? Gerade auch an Schulen muss es mehr Raum geben jenseits der reinen Stoffvermittlung. Diese Möglichkeit bietet zum Beispiel das Label „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Schüler müssen da die Initiative ergreifen. Das ist ein sehr guter Ansatz und er wird auch an vielen Schulen unterstützt. Die Beschäftigung mit dem Motto „Respekt untereinander“ spielt hier eine wichtige Rolle. In Ludwigshafen gibt es mehrere Schulen mit dem Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Kennen Sie Ähnliches? Mir ist nicht bekannt, dass über den Schulbereich hinaus versucht wird, das Label zu erwerben. Wäre sehr gut, zum Beispiel auch im Fußball so etwas einzuführen. Ich bin auf der Tour auch ein Lernender, nehme solche Impulse auf und verbreite sie weiter. Das werde ich in diesem Fall auch machen. Denn wir alle müssen uns mit den Themen Rassismus und Courage viel mehr auseinandersetzen. Haben Sie neue Projekte? Ja, zum Thema Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und da speziell zum „Heilbronn-Komplex“. Bei der Ermordung der Polizistin Michele Kiesewetter stellen sich viele Fragen, die von den Ermittlungsbehörden nicht intensiv verfolgt worden sind. Nach wie vor wird von den beiden Tätern Mundlos und Böhnhardt ausgegangen. Nach einem Jahr Recherche können wir sagen: Das ist zu kurz gegriffen. Es ist erwiesen, dass noch andere am Tatort gewesen sind und es gilt herauszufinden, ob die vielleicht Hand angelegt haben. Klar ist: Der NSU bestand nicht nur aus dem sogenannten „Terror-Trio“.

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