Ludwigshafen „Nicht alle bedeutenden Komponisten sind tot“

Komponiert und dirigiert: HK Gruber bei einer Orchesterprobe mit der Staatsphilharmonie.
Komponiert und dirigiert: HK Gruber bei einer Orchesterprobe mit der Staatsphilharmonie.

Nach Aribert Reimann und Jörg Widmann in den beiden vergangenen Spielzeiten ist das Komponistenporträt der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz diesmal HK Gruber gewidmet. Der 75-jährige Wiener zählt zu den originellsten und unabhängigsten zeitgenössischen Tonschöpfern, der außerdem noch als Dirigent und Chansonnier tätig ist.

Maestro, zur Zeit Ihrer kompositorischen Anfänge soll Ihnen Ihr etwas älterer Kollege und Freund Kurt Schwertsik (dem die Staatsphilharmonie vor vier Jahren ein Porträtprojekt widmete) einen Rat mitgegeben haben, der für Sie von größter Wichtigkeit gewesen sein mochte. Er lautete: „Schreibe die Musik, die Du hören möchtest“. Wie würden Sie diese Musik beschreiben?

Musik, die ich hören möchte: Dabei geht es nicht darum, dass ich mich umhöre, was das Publikum, die Kritik oder die Fachwelt will. Wichtig ist mir vielmehr, in die Musik hineinzuhören und sie, wie einst Schönberg und Hanns Eisler forderten, „auszuhören“, das heißt, mit meinem Gehör kontrollieren, zu können. Wie lässt sich solche Musik einordnen, in die Sie gern „hineinhören“ und die Sie schreiben? Ist sie kompromisslos modern oder sucht sie eher die Kontinuität der Tradition aufrecht zu erhalten? Ob ich modern bin, hängt nicht von der Technik ab, die ich anwende. Entscheidend kommt es auf die musikalische Intelligenz an, die in die Komposition hineinfließt. Bedeutet das zugleich, dass Sie auch Tonalität nicht ausschließen? Tonalität ist für mich kein Tabu. In den 1960er Jahren war ich Kontrabassist des Wiener Avantgarde-Kammerorchesters „Die Reihe“ gewesen, die ich später in Friedrich Cerhas Nachfolge auch leitete. Dort spielte ich die damals neuesten Kompositionen: von Boulez, Stockhausen, Cage und anderen prominenten Vertretern der radikalen Moderne. Stilistische Dogmen akzeptiere ich aber nicht und bediene mich daher beim Komponieren auch tonaler Strukturen. Ebenfalls kein Problem ist für mich, Gattungsgrenzen zu überschreiten. Gegenüber den verschiedenen Musikrichtungen bin ich geradezu militant offen. Ein anderes Thema: worin sehen Sie den Sinn solcher Atelier-Programme wie etwa des Komponistenporträts, das Ihnen die Staatsphilharmonie jetzt bereitet. Solche Initiativen sind gesellschaftlich höchst bedeutend. Gerade vor kurzem wirkte ich in Stockholm beim Composers Festival mit: Es fand bei äußerst regem Interesse statt. Die Initiative von Intendant Michael Kaufmann hier bei der Staatsphilharmonie ist extrem wichtig, weil sie dem Publikum bewusst macht, dass es auch heute noch lebende Komponisten gibt, dass nicht alle bedeutenden Komponisten schon längst tot sind. Wie kann nach Ihrer Meinung Interesse geweckt werden für die Musik lebender Tonschöpfer? Notwendig und eine Pflicht für Theater und Konzertgesellschaften sind edukative Projekte, die die Fantasie aktivieren, Initiativen anregen und als Gegenmodell zur Repräsentationskultur wirken mögen. Jeder Veranstalter, der sich vor der Moderne verschließt und nur dem landläufigen Geschmack folgt, ist mitverantwortlich am Besucherschwund und der Überalterung des Publikums, über die gegenwärtig so oft geklagt wird. Welchem Programmmodell räumen sie da die besten Aussichten ein, dieser Tendenz entgegenzuwirken? Verlangt sind auf jeden Fall die schon von Hanns Eisler reklamierten Vielfalt und Reichtum, ohne stilistische Festlegungen. Gepflegt gehört das „Hässliche“, Aufstörende genauso wie das traditionelle Schöne. Helmut Lachenmanns Musik gebührt ebenso ein Platz im Repertoire wie jener Gottfried von Einems, um die stilistischen Eckpunkte zu bestimmen. Auf jeden Fall wird kaum etwas erreicht mit einem Abonnenten-Bedienungsbetrieb, wie er etwa dem Intendanten der Wiener Festwochen, Tomas Zierhofer-Kin, vorschwebt, für den Oper und Sinfoniekonzert aussterbende Gattungen sind, die er im Programm stark zurückdrängen will. Kommt der Abonnenten-Bedienungsbetrieb, von dem Sie sprechen, letztlich nicht heute verbreiteten Erwartungen entgegen? Zugegeben, es besteht eine gewisse Tendenz in diese Richtung. Klassische Musik verlangt vom Zuhörer Konzentration und dass er ihrem Ablauf gezielt folgt. Heutzutage will man dagegen vor allem zerstreut werden. Deshalb wird von (Musik-) Theaterintendanten und Konzertveranstaltern unter anderem auch Missionsbedürfnis gefordert. Bei Michael Kaufmann beispielsweise ist das in hohem Maß ausgeprägt: Er ist geradezu pathologisch daran interessiert, im Missionarsmodus zu wirken. Freilich können solche Leute mitunter auch ungemütlich werden. Komponisten sind ebenfalls ungemütlich. Zeitigt der erwähnte „Missionarsmodus“ nach Ihrer Erfahrung denn positive Ergebnisse? Einiges lässt sich dabei schon erreichen. Ich zum Beispiel war von 2007 bis 2014 in Manchester Composer-Conductor (Komponist und Dirigent) des BBC Philharmonic Orchestra. Dort haben wir zu Mahlers 100. Todestag ein Musikfest mit seinen sämtlichen Sinfonien veranstaltet und jeder von ihnen eine neue Komposition in Uraufführung gegenübergestellt. Konzerttermine —Freitag, 2. Februar, 19.30 Uhr: Mannheimer Rosengarten. Dirigent und Solist: Albecht Mayer (Oboe). Werke von Gruber, Haydn und Beethoven. —Mittwoch und Donnerstag, 14. und 15. März, 20 Uhr: BASF Feierabendhaus in Ludwigshafen, Dirigentin Elim Chan, Solist Alexej Gerassimez (Schlagzeug). Werke von Brahms und Gruber. —Samstag, 24. März, 19.30 Uhr: Mannheimer Rosengarten. Dirigent Elias Grandy, Solist Jeroen Berwaerts (Trompete). Werke von Beethoven und Gruber.

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