Ludwigshafen „Othello Tango“ im Pfalzbau

Szene aus „Othello Tango“.
Szene aus »Othello Tango«.

Zärtlich, erotisch, zerstörerisch: Mit ihrer choreografischen Shakespeare-Adaption „Othello Tango“ begeisterte die Compagnia Naturalis Labor im Pfalzbau.

Die 1603/04 von Shakespeare verfasste Tragödie „Othello“ dekliniert die Liebe wortreich in all ihren Nuancen. Im Kontrast dazu setzte die italienische Truppe ganz auf die universale Kraft der Körpersprache. Die Inszenierung „Othello Tango“ von Luciano Padovani stellt mit zehn Tänzerinnen und Tänzern Shakespeares Meisterwerk dem Tango gegenüber und erzählt die tragische Geschichte von Liebe, Eifersucht und Tod.

Das 1988 gegründete Ensemble ist seit Sommer 2022 mit seiner vielbeachteten Produktion auf Tour. In Ludwigshafen traf die Truppe auf ein diverses tanzerfahrenes Publikum. In der kollektiven Vorstellung steht der Tango für einen „traurigen Gedanken, den man tanzen kann“, zugleich verkörpert er wie wenige andere Tänze Leidenschaft und Sinnlichkeit.

Ganz persönliche Bewegungssprache

Das Tanztheaterstück von Luciano Padovani entfaltete in 70 durchgespielten Minuten eine ganz persönliche Bewegungssprache zwischen Tango und zeitgenössischem Tanz. Traditionellen Argentinischen Tango gab es nur wenig, dafür umso mehr virtuosen Tango Nuevo der 1950er Jahre und Neotango im Gotan-Stil – und das alles in fließendem Wechsel mit Contemporary. Man genoss in Slow Motion verschlungene Paare, zärtlich dem Zauber des (erotischen) Moments hingegeben, Paare in tangotypisch minutenweise wechselnden Konstellationen, kraftvolle Gruppen-Tableaus aus Solo-Tango in diagonalen Linien und ausdrucksstarke Pas-de-Trois. In Padovanis Bewegungssprache trafen fortwährend Strenge und Geschmeidigkeit aufeinander. Emotionale Verstrickungen gerinnen zu anspielungsreichen Gesten und kulminieren in aussagekräftigen Standbildern.

Okkulter Regisseur

Die Handlung von „Othello“ ist bekannt: Der Fähnrich Jago verstrickt den Offizier Othello in eine Intrige. Daraufhin ermordet Othello aus Eifersucht seine junge Ehefrau Desdemona. Und obwohl Othello der titelgebende Held des Dramas ist, ist sein Gegenspieler Jago die aktivere Figur und der eigentliche Hauptdarsteller. Als Dirigent der Ereignisse zieht er die Fäden im Stück, er intrigiert, spioniert und manipuliert.

Andrea Rizzo gab den Jago als okkulten Regisseur, als dunkel-erotischen Bad Guy im wehenden Mantel und zynischem Macho-Modus. Einer der vielen starken Momente der Inszenierung war eine Milonga-Szene, in der die Tanzpaare in wechselnden Konstellationen dem „Spaltpilz“ Jago die Macht ihres Kollektivs entgegen setzen.

Unheilvoller Kreislauf

Die verhängnisvolle Trias von verzerrter Realitätswahrnehmung, Projektion und Wahn-Dynamik, Argwohn, Hass und Vernichtungs-Fantasien, ausagiert in Demütigung, Verachtung und Tötung bringt die Choreografie von Jessica D’Angelo in einem Dutzend ineinander fließender Tanzszenen vielgestaltig auf den Punkt. Luciano Padovani hat seine Inszenierung zyklisch aufgebaut. Eingebettet war das Geschehen als Circulus vitiosus (unheilvoller Kreislauf) in einen liturgischen Rahmen aus sphärischen Frauenstimmen (Matthieu Saglio, „Les Cathédrales“), untermalt von einer raffinierten Lichtregie (Lichtdesign: Thomas Heuger). Die Musik reichte von Astor Piazzolla und Pablo Garcia über Vivaldi bis zu Johánn Jóhannsson, Machinefabriek, und einem elegisch klagenden Cello mit Bach’schen Bezügen.

Das Bühnenbild von Mauro Zocchetta (mit Gloria Gandini) erinnerte an raue Felswände eines von Dornengittern durchstoßenen Verlieses. Die Kostüme von Chiara Defant waren klassisch feminin/maskulin, von weiß-roter Farbsymbolik in Satin und reichten vom nostalgischen 30er-Jahre-Look über dunkelschimmernde Ganzkörperanzüge bis zu typischer Tanztheater- und Tango-Ästhetik.

Ein atemberaubender Abend

Marco Pericoli tanzte den Othello als einen in seiner Eifersucht Getriebenen zwischen Verzweiflung, Selbstzerfleischung und Gewalt-Eruption. Alice Risi gab eine vielschichtige Desdemona, die weit mehr war als die Unschuld in Weiß. Passiv und aktiv zugleich bot sie Othello Paroli und wusste sich zu wehren. Die Eifersucht, das „grünäugige Scheusal, das alles verschlingt“ (Shakespeare) brachte – schöner Regieeinfall! – in der Inszenierung fünf Avatare hervor: Als schwarze gesichtslose Gestalten geisterten sie durch den Abend, trieben dabei wechselweise latent auf der Hinterbühne und präsent bis virulent in ihrer Umgarnung die drei Hauptakteure um.

Stück zu Ende, Desdemona tot? Der Schluss geriet lyrisch-poetisch, er mündete nahtlos in den Anfang. Können trifft Leidenschaft trifft Ausdruck. Ein atemberaubender Abend.

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