Ludwigshafen Schöne neue Überwachungswelt

Der bonbonfarbene Hochglanzschein in der Multihalle trügt.
Der bonbonfarbene Hochglanzschein in der Multihalle trügt.

Der Spielort ist symbolträchtig. Die unter Denkmalschutz stehende Multihalle, 1975 zur Bundesgartenschau im Mannheimer Herzogenriedpark erbaut, ist nämlich vom Abriss bedroht. Und im Umbruch befinden sich ebenfalls die hochentwickelten Industriegesellschaften. Die alte analoge Welt wird abgebaut, eine schöne neue digitalisierte und durchtechnisierte Welt aufgebaut. Und mit ihr wächst die Möglichkeit der totalen Überwachung.

Das Spiel „Mannheim 2.480 oder die subjektive Sicherheit“ von Clemens Bechtel beginnt bereits auf der Busfahrt vom Nationaltheater zur Multihalle. Über Kopfhörer berichten sanfte Stimmen im Tonfall unbeteiligter Objektivität vom Risiko, Opfer einer Straftat zu werden. Die säuselnden Stimmen verbreiten Angst. Eine Untersuchung habe ergeben, dass die Kriminalitätsfurcht in Mannheim wie andernorts zugenommen habe. Das Projekt „Mannheim 2.0“, Videokameras zur Überwachung der Mannheimer Innenstadt, solle daher „das subjektive Sicherheitsgefühl“ der Bürger stärken. Doch statistisch befindet sich die Straßenkriminalität auf dem niedrigsten Stand seit vielen Jahren. Ist Sicherheit also nur ein vorgeschobenes Argument, das ganz andere Interessen verdecken soll. Welchen Institutionen des Staates vertraust du noch?, fragt die Stimme. In der Multihalle wird der Zuschauer dann ins Jahr 2048 versetzt. Die Busladung Menschen wird in zwei Gruppen geteilt. Die Vorwärtsschreitenden und die in der Riesenhalle Zurückbleibenden sollen sich noch zuwinken, fordert die Stimme auf. Drei Stationen laufen die beiden Gruppen in dieser Zukunftsvision an. Auf der ersten steigt ein Fassadenkletterer auf ein Dach und entpuppt sich als harmloser Graffiti-Sprayer. Über den Kopfhörer wird Partystimmung verbreitet, Schauspieler mit maskenhaft erstarrten Mienen und roboterhaften Bewegungen bieten Getränke an. Als der Fassadenkletterer sich abseilt, fällt ein Schuss und der junge Mann liegt bewegungslos am Boden. „Ich tu’ so, als hätt’ ich nichts gesehen“, sagt eine Schauspielerin, und eine andere singt: „I close my eyes“. Auf der zweiten Station, im Wasch- und Umkleideraum der Halle, soll dem Zuschauer Angst eingejagt werden. Von Bildschirmen herab kläffen ihn Hunde mit spitzen Zähnen und schäumenden Lefzen an. Ein Schauspieler mit Hundekopf und allerlei lichtscheue Gestalten geistern durch die Räume. Auf der letzten Station schließlich löst sich dieser Albtraum in utopisches Wohlgefallen auf. Wie in einem Werbetrailer preist die Stimme die Vorzüge der totalen Transparenz und Vergesellschaftung an: Jeder beobachtet jeden, jeder hat jederzeit Zugriff auf jedermanns Daten. „Die neue Gesellschaft! Du bist Teil von ihr, du verschmilzt.“ Vor zehn Jahren hat der auf dokumentarisches Theater spezialisierte Regisseur Clemens Bechtel im Spiel „Staatssicherheiten“ ehemalige Häftlinge über die Gefängnisse der Stasi berichten lassen. Vermutlich ging das Spiel damals eher unter die Haut, als seine jetzige weichgespülte Vorstellung. Aber andererseits hat er ja recht: Nicht mit der Brutalität von Orwells „1984“, sondern sanft und unmerklich kommt die schöne neue Überwachungswelt der Zukunft daher. Bechtels Spiel arbeitet allerdings mit dem, was es kritisiert: mit technischen Apparaturen in einer Massengesellschaft. Kopfhörer, Film und Projektionen sind ein wesentliches Zubehör seiner Vorstellung. Und die gleichgeschalteten Individuen, die zum Schluss in uniformen Bewegungen in der Multihalle Ballett tanzen, kündigen sich noch vor Beginn des Spiels in den Anweisungen an, die die Begleiterinnen vom Nationaltheater den Zuschauern beim Einsteigen in den Bus mitgeben: „Immer in der Gruppe bleiben. Nicht stehenbleiben, nicht weglaufen!“ Die Masse gibt dem einzelnen eben ein Gefühl der Sicherheit. Termine Weitere Vorstellungen Samstag, 22. Juni, 21 Uhr, Sonntag, 23. Juni, 19.30 Uhr sowie Donnerstag, 27. Juni, 19.30 Uhr und Freitag und Samstag, 28. und 29. Juni, 21 Uhr.

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