Ludwigshafen Völkermord als Dokumentartheater

Maike Wehmeier (rechts) und Sarai Patisson in der Mannheimer Inszenierung von Thomas Escher.
Maike Wehmeier (rechts) und Sarai Patisson in der Mannheimer Inszenierung von Thomas Escher.

Seit sechs Jahren Bürgerkrieg in Syrien, seit 20 Jahren Bürgerkrieg im Kongo. Im Januar 2016 hatte Milo Raus Stück „Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs“ über die Flüchtlingswelle nach Europa und über das Leid in einem fernen afrikanischen Land Premiere an der Berliner Schaubühne. Im Sommer 2016 war diese Inszenierung als Gastspiel am Mannheimer Nationaltheater zu sehen. Jetzt hat der freie Regisseur Rainer Escher das Stück im Mannheimer Theater Felina Areal auf die Bühne gebracht.

Die Spezialität des Schweizer Dramatikers und Regisseur s Milo Rau ist dokumentarisches Theater. Verurteilung und Hinrichtung des rumänischen Diktatorenehepaars Ceausescu und den Moskauer Prozess gegen die Punkrocker von Pussy Riot hat er so schon nachgestellt, Stücke über den rechtsradikalen norwegischen Massenmörder Anders Breivik und über den belgischen Kindermörder Marc Dutroux in Szene gesetzt. Raus besonderes Interesse jedoch gilt dem Völkermord in Ruanda. Vor zwei Jahren reiste er in den Kongo, ganz in die Nähe dieses Schauplatzes des Schreckens, und veranstaltete in dem zentralafrikanischen Land ein „Kongo Tribunal“. Nach dem Vorbild des von Bertrand Russell und Jean-Paul Sartre 1966 einberufenen „Vietnam Tribunals“ über Kriegsverbrechen der USA untersuchte er in fiktiven Prozessen mit Zeugen- und Expertenanhörungen die Ursachen für das Elend des seit 20 Jahren von Bürgerkriegen heimgesuchten Landes. Seine Gerichtsverhandlungen deckten die Wirtschaftsinteressen der Industrienationen an dem an Bodenschätzen wie Gold und Coltan reichen Kongo auf und führten vor Augen, wie Großkonzerne im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen, um das Land auszuplündern. „Ein Menschenleben ist hier im Kongo so viel wert wie ein Scheißdreck“, notierte Milo Rau damals in seinem Tagebuch. Diese bittere Erkenntnis nahm er auch aus seinen Interviews mit NGOs zum Völkermord im Nachbarland Ruanda mit. Binnen kurzer Zeit, vom 6. April bis Mitte Juli 1994, metzelten damals Angehörige der Hutu, die die Bevölkerungsmehrheit bilden, etwa eine Million Tutsi ab. Die Schilderungen von Augenzeugen, die in Milo Raus Stück einfließen, sind an Drastik kaum zu überbieten. In einem Film wären die Bilder von mit Macheten enthaupteten Menschen, von brutal vergewaltigten und gepfählten Frauen unerträglich, aber auch als Schilderungen in einem Theaterstück sind sie harte Kost. In einem Vor- und Nachspiel lässt Rau eine Überlebende zu Wort kommen. Die aus der Karibik stammende Saraï Pattison spricht die Worte dieser Frau im Theater Felina Areal: Sie erzählt, wie ihre Eltern vor ihren Augen mit Maschinengewehren ermordet wurden, wie sie nach Burundi fliehen konnte, von einem belgischen Ehepaar adoptiert und in dem fremden Land wie eine Zooattraktion begafft wurde. „Dies ist eine Welt ohne Mitleid“, schließt ihr Prolog. Wenn Maike Wehmeier dann ihren mitreißenden Monolog hält, erst über die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan auf der Balkanroute, dann über den Völkermord in Ruanda, wechselt Pattison in ihrem roten Kleid und mit ihrem roten Fez auf dem Kopf zwischen mehreren Stühlen. Außerdem belebt Regisseur Rainer Escher den Vortrag, indem er beide Schauspielerinnen schwarze Spielzeugfiguren auf der Bühne verrücken lässt als Sinnbild für den Umgang der großen Politik mit Menschen, als wären sie Figuren in einem Schachspiel. Es mag sich verbieten, das Leid der Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien gegen das Leid der Menschen im Bürgerkriegsland Kongo aufzurechnen. Aber Milo Rau hält die Bezeichnung der Flüchtlingswelle als „humanitäre Katastrophe des Jahrhunderts“ für einen Medienhype. Er weckt auch erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit humanitärer Hilfsaktionen. „So haben wir die Völkermörder durchgefüttert“, heißt es über die Aktionen nach dem Genozid in Ruanda. Und den Zuschauern gibt sein Stück die Erkenntnis mit: „Am Ende der Geschichte kommt es darauf an, wer die Maschinengewehre hat.“ Termine Weitere Vorstellungen am 2., 6. und 7. Juli, jeweils 20 Uhr, sowie am 9. Juli, 11 Uhr. Kartentelefon 0621/3364886 .

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