Ludwigshafen Vom Schattenmann im Musikvideo in den Pfalzbau: Peter Chus „Shift“

Wie Kranich und Krähe: Roger Van der Poel (links) mit Tänzer-Choreograf Peter Chu.
Wie Kranich und Krähe: Roger Van der Poel (links) mit Tänzer-Choreograf Peter Chu.

Er kennt es, vor Tausenden in Las Vegas aufzutreten und war als Liebhaber in Christina Perris Musikvideo zu sehen. Peter Chu hat noch andere Facetten, und die zeigt er bei „Shift“, der Koproduktion der Ludwigshafener Festspiele im Pfalzbau: ein Schattenspiel, das von der Hektik und dem Zusammenprall zweier Menschen ins Gleichgewicht aus Yin und Yang führt.

In einem funkelnden Palast stand Peter Chu neben der Sängerin Celine Dion in ihrer Las-Vegas-Show „A New Day“ täglich vor 4000 Zuschauern als Background-Tänzer auf der Bühne in Las Vegas. Die Zahl lässt sich noch toppen: 430 Millionen Mal haben Menschen das Musikvideo von Christina Perris „Jar of Hearts“ angeklickt und verfolgt, wie er als attraktiver Schattenmann versucht, die Geliebte zurückzuerobern, zu verführen und an sich zu reißen – doch er wird vom Autokühler gestoßen und sinkt machtlos zu Boden. Das war vor 13 Jahren. Diesen Gegensatz aus ruppiger Anziehung und fließendem Zusammenschmelzen bringt Peter Chu allerdings auch zur Deutschlandpremiere seiner zwei Choreografien nach Ludwigshafen auf die Kleine Bühne mit. Der 46-Jährige findet dabei einige starke Bilder, die man intuitiv versteht.

Rastloses Gewimmel am Flughafen

Vom rastlosen Leben und dem Aufeinandertreffen erzählt „take-off“, wenn aus dem Dunkel plötzlich zwei Sessel aus einem Wartesaal auftauchen, während die Geräuschkulisse die Geschäftigkeit eines Flughafens suggeriert. Zwei Wartende – Peter Chu und Roger Van der Poel – blicken synchron auf die Uhr, schlagen die Beine übereinander, einer springt auf die Sitzfläche, sie heben sich mit kopfüber zappelnden Beinen oder schubsen sich weg. Sie ziehen sich an, aber ringen miteinander. Immer wieder spielt der Choreograf mit dem Tempo, beschleunigt die Bewegung rasant, wenn einer den anderen antippt und die Energie in Wellen durch den Körper schwappt wie beim Waving im Streetdance. Oder er lässt die Tänzer in Zeitlupe wegrennen, taumeln und einfrieren. An den Stillstand während der Corona-Pandemie fühlt man sich erinnert, als beide auf dem Rücken liegend die Beine in die Luft strecken, als verharrten sie ratlos mitten im Lauf, weil ihnen der Boden abhanden gekommen ist.

Eine treffende Szene zeigt wie Robert Van der Poel, langjähriger und preisgekrönter Tänzer beim Nederlands Dans Theater, der dort mit Peter Chu Sommerkurse unterrichtete, in eine Jacke schlüpft, während eine Stimme Anweisungen gibt: links, rechts, geradeaus. Der andere schlüpft dazu, beide streben mit dem Zeigefinger voran in entgegengesetzte Richtungen, sodass die Jacke zum Zerreißen gespannt ist. Überhaupt, das Kleidungsstück wird dann noch als Zwangsjacke benutzt oder als Sack dem anderen über den Kopf gestülpt, um ihn zu entführen.

Das Heilende der chinesischen Medizin

In dieser rauen Energie und den rennenden Bewegungen schwingt ein Hauch von Crystal Pite mit, der Tänzerin von William Forsythe, die selbst zu den großen Namen der zeitgenössischen Choreografen-Szene zählt und in deren Ensemble Peter Chu nach seiner Ausbildung in der New Yorker Juilliard School getanzt hat. Noch viel mehr Einflüsse vereint Peter Chu, geboren in der Bronx als Sohn amerikanisch-asiatischer Eltern, in seiner DNA: Kunstturnen und Jazz in seiner Jugendzeit in Florida, seine vielfältigen Tanz-Engagements etwa beim Ballet Jazz de Montreal, seine Arbeit als Choreograf für zeitgenössische Kompanien wie Hubbard Street Dance oder Paul Taylor Dance ebenso wie Showtanz beim Cirque du Soleil. Aufgewachsen in Florida bei seiner Mutter, einer Musiktherapeutin, spürt er auch seinen asiatischen Wurzeln nach und interessiert sich für das Heilende der chinesischen Medizin, zu der Qi Gong und Tai Chi gehören. Auf das Innere zu lauschen und es mit dem Äußeren zu verknüpfen, versucht Peter Chu seinen Schülern beizubringen, wenn er als Dozent lehrt.

Königlicher Kranich statt sterbendem Schwan

Während sich der sterbende Schwan als Ballett ins kollektive Gedächtnis in Europa eingeprägt hat, ist es in China der fliegende Kranich, eine populäre Bewegungsabfolge, die schon frühmorgens in Parks geübt wird und einen festen Stand und Leichtigkeit zelebriert. Peter Chu nimmt sie als Inspiration fürs zweite Tanzstück „Conscious Shift“. Am Rande eines glitzernd blauen Sees steht Roger Van der Poel majestätisch auf einem Bein, ganz in schwarz gekleidet, sodass die nackten Hände betont werden, die wie Krallen geformt sind und von denen die Bewegung auszugehen scheint. Er wird später gold angestrahlt in einer langen Schleppe aus Folie königlich umherschreiten, während Peter Chu in eine schwarze Plane gewickelt ist und zu einem Klumpen schmilzt. Leichtigkeit und Schwere, Licht und Schatten, Yin und Yang scheinen sich hier zu treffen, besonders wenn beide gegenüberstehen und ihre Bewegungen spiegeln.

Von rauschenden Wellen und fiepsenden Vogellauten geht die Klangcollage in warmes Cello über. Und schließlich wird Peter Chu den „Kranich“ an der Hand führen, ihm helfen, auf halber Spitze zu balancieren und seine vogelhafte Anmut ins Publikum zu verströmen, das aus den vollen Rängen beim Applaus mit einem Jubel antworten wird. Beide Tänzer werden auf ihre Weise gemeinsam fliegen: Van der Poel mit weiten nackten Schwingen, dahinter Chu mit schwarzen krähenhaften Ellbogen, der Schattenmann eben.

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