Ludwigshafen Was uns umtreibt

Überraschung! Ein sehr kleiner Besucher möchte bei Frau Grün in der Hutschachtel wohnen.
Überraschung! Ein sehr kleiner Besucher möchte bei Frau Grün in der Hutschachtel wohnen.

In Sachen Beton wurde in Ludwigshafen beeindruckende Pionierarbeit geleistet. Und auf diesen Verdienst weist der Künstler Helmut van der Buchholz bei seinen Ugliest-City-Touren hin, bei der „Katastrophen-Touristen“ auf ihre Kosten kommen. Als die Führungen im vergangenen Jahr erstmals als Reaktion auf die Kür zur „hässlichsten Stadt“ in der Sendung Extra 3 angeboten wurden, hagelte es Kritik – und Anmeldungen. Bis zu 250 Menschen pro Tour wollten sich im Angesicht von Graugürteln und Monster-Fassaden gruseln. Weil das kultig ist, folgen nun fünf weitere – neben den zwei Klassikern zu Fuß (24. Juni, 18 Uhr) und per Velo (15. Juli, 18 Uhr), wird die Vision einer autogerechten Stadt unter „Zurück zum Beton“ gewürdigt (8. Juli, 18 Uhr). Gescheitert ist die Idee eines Grüngürtels von der Innenstadt zum Willersinn-Weiher. Dem halbherzigen Vorhaben gedenken die Radler am 29. Juni, 15.30 Uhr. „Ä bisselsche schää“ ist Ludwigshafen allerdings auch mit seinen Parkanlagen und Jugendstilvillen. Am dosierten Liebreiz kann man sich am 13. Juli, 15.30 Uhr, erfreuen. Zufälligerweise fügen sich die Touren perfekt ins Motto des rheinland-pfälzischen Kultursommers „Heimat(en)“ ein. Dazu gesellen sich ein türkisches Fest im Hack-Garten am 8. Juni, 19 Uhr. Bei einem Druck-Workshop zum Thema „Heimatvertrieben“ kann man am 16. und 17. August bei Wolfgang Vogel im TWL-Umspannwerk Drucke anfertigen. Und wenn die Straße zur Heimat wird? Die Geschichten von Obdachlosen erzählt das Theater Oliv am 23. August im Caritas-Förderzentrum. Das vom Land vorgegebene Heimat-Motto wolle man „wohlwollend mitbedienen“, sagte Bürgermeister Cornelia Reifenberg (CDU) beim Vorstellen des Programms. Aber die Ludwigshafener haben ihn zuerst erfunden, den Kultursommer, und setzen eigene Schwerpunkte. „Wir versuchen ihn mit gesellschaftlich-politischen Themen zu vertiefen“, sagt Kulturbüro-Leiter Fabian Burstein. „Das, was uns wirklich umtreibt, fließt ein.“ Von 50 Projekt-Ideen der Bürger und Kulturschaffenden wurden 43 eingeladen und dabei neue Orte für Veranstaltungen gefunden. Im Kinderheim Annastift spielen die Kinder in „Fräulein Grün und der Besucher“ selbst mit und sollen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. „Das Stück für Kinder ab fünf Jahren wird auch im Heim aufgeführt, um die negative Konnotation eines Kinderheims abzuarbeiten“, sagt Programmgestalterin Monika Schill. Viel Spaß wünscht sie für den 19. Juli, 11 Uhr, im Pflegeheim Haus Friesenheim, wo die Performerin Silke Rudolph bei einer humanistischen Matinee die Demenz ungezwungen erforscht. „Ziel ist es, sich krass daneben zu benehmen“, heißt es im Programm. Ungewöhnlich ist auch der Ort, an dem auf Godot gewartet wird: Samuel Becketts Klassiker verlegt das Nano-Theater unter Bäume auf die Parkinsel. Treffpunkt: 5. Juli, 18 Uhr, Schwanthalerallee. Ein Jugendstilgemälde im Treppenhaus in der Prinzregentenstraße 46 wird zur Kulisse einer Winterreise: Sänger Oliver Augst und der Pariser Improvisationskünstler Alexandre Bellenger geben am 22. Juni, 19 Uhr, dem Liederzyklus eine neue Gestalt. Die Prinzregentenstraße im Hemshof wird auch am 17. August von 15 bis 21 Uhr zu Flaniermeile, wenn die Musikerinitiative Klanghaus zum ersten Straßenmusikfestival einlädt. Überhaupt kann man sich mit viel Musik auf 39 Konzerten beschwingen lassen. Am Lutherplatz ist die „deutsche Norah Jones“ Silke Hauck am 14. Juni, 20.30 Uhr, in der Reihe „Jazz am Turm“ zu hören. Mit geheimnisvollen Stimmungen will die Band Pentatrip am 15. Juni, 19 Uhr, aufwarten. Big-Band-Fans können sich den 14. Juni, 19 Uhr, mit Jazz Attack und den 15. Juni, 20.30 Uhr, mit Kicks’n’Sticks vormerken. Wer beim Mitwippen lieber aufs Wasser blickt, kann sich auf Hochkarätiges bei „Jazz am Rhein“ neben der Inselbastei freuen: Die Improvisationskunst von Miles Davis inspirierte den Pianisten Richie Beirach, der die Jazz-Legende am 10. August, 19 Uhr, würdigt. Seinen Dank an Vorbilder wie Stan Getz schrieb er in Briefen nieder, aus denen am 9. August, 20.30 Uhr, gelesen wird. Dem „Liedgutrecycling“ widmen sich fünf wahnwitzige Musiker, die Kinderlieder und Jazz zu „Gretchens Pudel“ verschmelzen: am 11. August, 12 Uhr. Ein Bierchen gefällig? Das gibt es bei den Open-Air-Konzerten in der Brauerei Gebrüder Mayer zum Bebop von Tonwerk, zu Jazz und Soul von Dirik Schilgen JG4, zum Gitarrenspiel von Jules oder der Christian-Scheuber-Band. Auch die Kunst ist allgegenwärtig, nämlich auf den Plakaten, gestaltet von der Malerin Gabriele Klinger, die seit fünf Jahren in Ludwigshafen wohnt. „Wir hören immer, wie DIE Ludwigshafener sind, deshalb wollten wir sie porträtieren“, erzählt Kulturbüro-Leiter Burstein. Doch es passierte etwas Ungeplantes. „Wir dachten, jetzt kriegen wir einen wettergegerbten Aniliner, stattdessen sind es Kinderporträts, was schön optimistisch wirkt.“ Klinger hat ein „Pfälzer Mädchen“ und einen türkischen Jungen mit Schnurrbart und Sekretärinnenbrille verkleidet und fotografiert, weil sie sich für das Spiel mit Geschlechterrollen und Maskerade interessiert. Zu besichtigen sind ihre vielschichtigen schrillbunten Werke mit fotorealistischen Versatzstücken ab 2. Juni, 11 Uhr, im Kulturzentrum das Haus. Aus Spaß hat sie übrigens das Stadtwappen auf den Plakaten untergemogelt: als dicklippige Gesichter. Eine Inspiration fürs neue Logo? Kontakt Eröffnung am 1. Juni, 15 Uhr, Bahnhofstraße 30, mit einer Radtour zu den Spielstätten. Programm unter www.ludwigshafen.de.

Silke Hauck am Turm.
Silke Hauck am Turm.
Die typische Ludwigshafenerin, gemalt von Gabi Klinger.
Die typische Ludwigshafenerin, gemalt von Gabi Klinger.
Der französische Improvisationskünstler Alexandre Bellenger geht mit Oliver Augst in einem Treppenhaus auf Winterreise.
Der französische Improvisationskünstler Alexandre Bellenger geht mit Oliver Augst in einem Treppenhaus auf Winterreise.
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