Neustadt „Abi-Party“ und Gedenkstunde

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Neustadt. Wie dicht Glück und Schmerz oft beieinander liegen konnten Interessierte am Wochenende in Neustadt hautnah erleben. Im Mittelpunkt des Geschehens stand dabei einer, der beides extremst erfahren hat und dessen Leben geprägt ist von Musik und dem Schicksal, das seiner Familie beschieden war und dessen Folgen manchmal heute noch für ihn spürbar sind: Abraham „Abi“ Wallenstein, 1945 in Jerusalem geborener Sohn einer jüdischen Arztfamilie, dessen Großmutter von den Schergen des Naziregimes umgebracht wurde und der später in Deutschland zum Paten der hiesigen Bluesszene wurde.

Am Samstag hat der 70-jährige Musiker in der Gimmeldinger „Alten Turnhalle“ mit einer rauschenden Party seinen Geburtstag nachgefeiert, am Sonntag war er einer der Teilnehmer an einer Erinnerungsstunde im ehemaligen Konzentrationslager von Neustadt, das heute eine Gedenkstätte für die Opfer des NS-Regimes beherbergt. Dabei wurde deutlich, dass Wallenstein dank seiner Musik längst inneren Frieden gefunden hat, und jeder aufkeimenden rechten Gefahr mit der notwendigen Aufmerksamkeit, aber ohne Angst und stets mit einem Lied bewaffnet entgegentritt. Am Samstag, zu seinem vom Kulturverein „Wespennest“ organisierten Geburtstagskonzert, waren auch seine belgischen Berufskollegen Roland van Campenhout, Tiny Legs Tim mit seiner Band sowie Gernot „Junior“ Scherer aus dem saarländischen Neunkirchen und Frank Laubner aus Weisenheim am Berg eingeladen, die mit dem Jubilaren fleißig jammten. Die Rolle des Eisbrechers hatte der Gimmeldinger Peter „Bluesjoker“ Wahl übernommen, der – wie von ihm nicht anders zu erwarten – zunächst einen Witz vom Stapel ließ, bevor er mit dem „Prison Jive“ von Bo Diddley den Startschuss zur Show gab und danach die Bühne freimachte für „Tiny Legs Tim & Band“. Tim de Graeve, wie der Sänger und Gitarrist mit den dünnen Beinen bürgerlich heißt, (blues)rockte mit dem Titelsong seiner CD „Stepping Up“ gleich mächtig los. Neben ihm agierte Harpspieler Steven Troch mit seiner offensiven Art, Mundharmonika zu spielen, besonders auffällig. Roland van Campenhout, der im Anschluss die Bühne enterte, ist mit 72 Jahren, von denen er zwölf als Gitarrist in der Band von Rory Gallagher verbrachte, längst eine lebende Legende, die sich einen eigenen Stil angeeignet hat und alles sehr relaxt angehen lässt. Nach seinem Auftritt, während dem er mit sonorer Stimme den Slowblues „Eyeside To The Blind“ zu Gehör brachte, griff dann erstmals der eigentliche Star des Abends, Abi Wallenstein, in das Geschehen ein. Zunächst noch alleine mit „Soul Of A Man“, dann zusammen mit „Junior“ Scherer und dem als Boogie gespielten Bob Dylan-Cover „Someday Baby“. Nach der Pause schlug dann Frank Laubners Sternstunde. Zusammen mit Tiny Legs Tim, Roland van Campenhout und Junior Scherer platzierte er mit dem „Freight Train Blues“ ein erstes Konzerthighlight, dass vom Publikum mit Szenenapplaus bedacht wurde. Nach und nach versammelten sich jetzt immer mehr Musiker auf der Bühne bis alle, außer Laubner und Wahl, komplett waren, um nun zusammen eine Session zu veranstalten, die jeder, der sie gesehen/gehört hat, sicher noch lange im Gedächtnis behalten wird. Abi Wallenstein stimmte mit dem passenden Titel „Let’s Work Together“ den ersten Boogie an, bei dem sich Scherer und Troch ein musikalisches Duell mit ausgeglichenem Ausgang lieferten. Es folgte eine überlange Version von „Walk With The Devil“, eine Nummer von Tim de Graeve, zu der dieser den Leadgesang übernahm und abwechselnd mit Wallenstein, Campenhout und den beiden Harpspielern zum treibenden Rhythmus von Kontrabassist René Stock und Schlagzeuger Frederik Van den Berghe ein Solo nach dem anderen spielte. Am nächsten Morgen trafen sich Wallenstein, Rolf Raule vom „Wespennest“ und Eberhard Dittus vom „Förderverein Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt“ und Dr. Stefan Meißner, ein Urenkel von Heinrich Seib aus Kallstadt, der aufgrund fadenscheiniger Beschuldigungen Häftling im Neustadter KZ gewesen war, in dem früheren Lager. Auf Fragen von Dittus und Raule erzählten Meißner und Wallenstein vor zahlreichen Zuhörern ihre jeweiligen Familiengeschichten und ließen so die schrecklichen Grausamkeiten der Naziherrschaft noch einmal deutlich werden. Wallenstein hatte aber auch seine Gitarre mitgebracht und unterstrich mit ein paar Songs die Worte, die Raule den Besuchern der Veranstaltung mitgab und die sinngemäß etwa so lauten: „Wir werden nicht mit Angst auf das zurück sehen was hinter uns liegt, sondern voller Hoffnung auf das schauen, was wir in der Zukunft sehen wollen.“

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