Neustadt Die Geburt der „Grünen Wiese“

Weite Rebflächen prägten das Bild, wo sich 1970 der Möbelgroßhändler Kern ansiedelte – die Ausstellungshalle rechts wurde 2001 n
Weite Rebflächen prägten das Bild, wo sich 1970 der Möbelgroßhändler Kern ansiedelte – die Ausstellungshalle rechts wurde 2001 nach dem Ende von Möbel Unger zum Globus-Baumarkt umgebaut.

«Neustadt». Ein großes Möbelhaus als Frequenzbringer – das ist ein Wunsch, der bei der Analysen zur Lage des Einzelhandels in Neustadt häufig geäußert wird. Dabei wird gern vergessen, dass es so etwas ähnliches in der Vergangenheit bereits gegeben hat: in Form des Großhändlers Möbel Kern, der einmal zu den bedeutendsten Unternehmen seiner Art in Südwestdeutschland zählte und dessen Ausstellungshalle den Ursprung des heute von allen Neustadtern so geschätzten „Weinstraßenzentrums“ bildete.

Als sich die Firma 1970 da ansiedelte, wo heute der Globus-Baumarkt liegt, hatte sie allerdings bereits eine über 50-jährige Geschichte hinter sich gebracht. Gegründet wurde sie nämlich mitten im Ersten Weltkrieg, im Jahr 1916, von dem wegen einer Augenverletzung vom Kriegsdienst zurückgestellten Kaufmann Heinrich Kern – und zwar in Lambrecht. Kern, 1885 in Ingelheim am Rhein geboren, war als junger Mann weitgehend mittellos in die Pfalz gekommen und hatte zunächst als kaufmännischer Angestellter für verschiedene Firmen gearbeitet, bevor er sich mit einem Handel für Bindfäden, Polsterartikel, Baumwolle, Wolle und technische Artikel für die Tuchindustrie selbständig machte. Sein wichtigsten Produkt in dieser Phase waren Erntebindegarne für die Landwirtschaft. Der Wandel von reinen Textilartikeln hin zu einem modernen Großhandelshaus für Einrichtungsgegenstände aller Art scheint sich dann in den 50er Jahren vollzogen zu haben – und zwar größtenteils bereits in Neustadt. Schon 1941 hatte Kern die ehemalige Würzmühle in der Talstraße gekauft, die zuvor der Kapok- und Wattefabrik C. Rheinwald gehörte. Aus dem Ziel, hier einen neuen, großzügigen Firmensitz zu etablieren, wurde aber erst einmal nichts, denn das Gebäude brannte 1942 vollständig aus, und der Wiederaufbau nach dem Krieg zog sich bis 1952 hin. 1953 siedelte die Firma, mittlerweile in eine OHG umgewandelt, endgültig von Lambrecht nach Neustadt über. Der Firmengründer aber starb bereits 1956 – an einem Herzinfarkt. Nach dem Tod des Vaters führten die beiden Söhne Karlheinz und Hans Kern die Geschäfte fort, nun in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, und bauten das Unternehmen zum führenden seiner Art in der Region aus. Dabei belieferte Möbel Kern bis in die 80er Jahre hinein aber nie den Endverbraucher direkt, sondern fungierte immer als Großhändler für den Möbelfachhandel – insgesamt rund 3000 Möbelhändler, Schreinereien, Polstergeschäfte und Teppichbodenverleger – bis nach Nordbaden, Rheinhessen und das Saarland. Die Möbelhändler hatten dabei die Möglichkeit, ihre Kunden in die Kern’schen Ausstellungsräume mitzubringen und Verkäufe auf eigene Rechnung gleich vor Ort zu tätigen. Dies war auch Grund dafür, dass der Wunsch nach geeigneten Räumlichkeiten für die Präsentation der Produkte schon bald so große Bedeutung gewann, dass es 1969 zu einer der sicher bemerkenswertesten und bis heute folgenreichsten Grundstückstausch-Aktionen der Neustadter Geschichte kam: Die Stadt Neustadt übernahm das 1,14 Hektar große Gelände der Firma in der Nähe des Stadions, das heute unter der Bezeichnung Stadthaus II unter anderem Standort des Stadtarchivs und des Eigenbetriebs Stadtentsorgung (ESN) ist, und verkaufte den Kern-Brüdern im Gegenzug jenes 20.000 Quadratmeter große Gelände an der Chemnitzer Straße, auf dem sich heute das „Weinstraßenzentrum“ mit Globus-Baumarkt, Media-Markt und dem Modemarkt Adler befindet. Dort, wo bis dahin nur Weinreben das Bild bestimmt hatten, expandierte der Betrieb nun gewaltig und errichtete 1970 für drei Millionen Mark eine 8000 Quadratmeter große Möbel-Ausstellungshalle. Das Angebot reichte vom einfachen Gebrauchsmöbel bis zum anspruchsvollen Markenfabrikat, wobei die Zugehörigkeit zum internationalen Einkaufsverband „Intergros“ der Firma anscheinend enorme Vorteile im Einkauf verschaffte, wie in RHEINPFALZ-Berichten aus der Zeit immer wieder betont wird. Ein wichtiges Standbein bildeten schon seit den 60er Jahren auch die Teppiche, und hier vor allem die Orient-Abteilung, die zu den bestsortierten der gesamten Bundesrepublik zählte und 1976 auf einen Wert von zehn Millionen Mark veranschlagt wurde. Dass solche Schätze auch ungerufene Interessenten anlocken können, zeigte sich 1978, als bei einem Einbruch Läufer im Wert von 250.000 Mark geklaut wurden. Für Neustadt bedeutete die Kern-Ansiedlung im Osten der Stadt de facto die Geburtsstunde der „Grünen Wiese“, denn schon 1972 öffnete in einem flugs errichteten Erweiterungsbau das „Basar“-Kaufhaus seine Pforten. SB-Tankstelle und Auto-Großwaschstraße folgten. Aber auch das Möbelunternehmen selbst expandierte durch Grundstückszukäufe und Umbauten. Allerdings fehlte es den Kern-Brüdern an Erben, die das Haus weiterführen wollten. Deshalb kam es 1981 zur Fusion mit dem Konkurrenten Südema, die von den Brüdern zwar nach nur 20 Monaten schon wieder rückgängig gemacht wurde, aber immerhin einen bleibenden Effekt hatte: den, dass sich die Firma nun endgültig auch für Endverbraucher öffnete. Angeboten wurde nun zum Beispiel auch ein Vollservice im Küchenbereich einschließlich Planung, Lieferung und Montage. Anfang 1990 aber zog sich Hans Kern – der Bruder Karlheinz war bereits einige Jahre zuvor verstorben – endgültig aus dem Geschäftsleben zurück und verpachtete seine Firma auf 30 Jahre an die Asko Deutsche Kaufhaus AG, Saarbrücken, deren Möbeltochter Unger auch die rund 70 Kern-Mitarbeiter übernahm. Kern starb 1991 und erlebte so nicht mehr, dass Unger 1997 vom Handelskonzert Metro übernommen wurde und schon wenig später in Insolvenz ging. Die Neustadter Filiale schloss 1999. Bis heute befinden sich aber die Gebäude und Grundstücke im Besitz der Kern-Erben – darunter auch etliche neu errichtete, wie jenes, in dem Fahrrad Trimpe und der „Fressnapf“ angesiedelt sind. Die ursprüngliche Kern-Ausstellungshalle wurde 2001 zum heutigen Globus-Baumarkt umgebaut, der bereits zuvor jenes Gebäude genutzt hatte, in dem heute der Media-Markt angesiedelt ist.

In den 50er und 60er Jahren hatte Möbel Kern seinen Sitz in der Würzmühle im Schöntal, die heute von der Stadt genutzt wird. Das
In den 50er und 60er Jahren hatte Möbel Kern seinen Sitz in der Würzmühle im Schöntal, die heute von der Stadt genutzt wird. Das Foto stammt allerdings vermutlich aus früherer Zeit.
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