Neustadt Drei Frauen, eine Schicksalsgemeinschaft

Schwierige Annäherung: Magdalena (Felix S. Felix), nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt, kann sich nicht damit abf
Schwierige Annäherung: Magdalena (Felix S. Felix), nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt, kann sich nicht damit abfinden, dass ihre Tochter die Polin Maria (Yaroslava Gorobey) zur Pflege eingestellt hat.

«Maikammer». Ob Metapher oder banale Realität: Wenn einen der Schlag trifft, als eben noch rastlos rüstige Rentnerin beispielsweise, steht das Leben, schlagartig eben, auf dem Kopf. Familie? Pflegeheim? Oder doch eine polnische „Maria“? Das Chawwerusch-Theater aus Herxheim hat das gesellschaftspolitisch äußerst brisante Thema in ein einfühlsames Drei-Personenstück gekleidet. „Maria hilf!“ wurde am Mittwochabend im vollbesetzten Bürgerhaus Maikammer mit ungeteiltem Beifall bedacht.

Eben hat die resolute Witwe Magdalena (großartig: Felix S. Felix) noch den Koffer gepackt, um das traditionelle Feriendomizil in Hindelang anzusteuern, da rührt sie der Schlag. Und urplötzlich findet sie sich, halbseitig gelähmt und unselbständig wie ein Kleinkind, im Rollstuhl wieder. Sie rebelliert, sie tobt, erklärt die Lösung Pflegeheim zum Tabu. Tochter Michaela (Miriam Grimm), alleinerziehende Mutter mit zeitintensiven Vollzeitjob in der Drogentherapie, flüchtet sich in die einzig bezahlbare Lösung und heuert, mehr oder weniger auf dem Schwarzmarkt, eine polnische Krankenpflegerin an, eine jener hilfsbereiten „Marias“, die für wenig Geld sieben Tage die Woche Rundumbetreuung garantieren. Mit ihrem Erscheinen spult sich die komplette Konfliktpalette der Notgemeinschaft ab: Magdalena bunkert, verweigert sich zunächst vehement der „polnischen Schlampe“, wird erst allmählich ihrer Abhängigkeit gewahr, lässt zunächst störrisch, dann zusehends bereitwilliger Maria in ihrer Fürsorge gewähren. Zwischendurch bezichtigt sie die junge Pflegerin des Diebstahls, beschimpft sie als Erbin der Kriegsgeneration, die ihrem verblichenen schlesischen Landjunker einst die Güter geraubt hätten, und so weiter. Michaela, hin und her gerissen zwischen der Bewältigung des eigenen zeitfressenden Alltags und den Schuldgefühlen gegenüber der Mutter, pendelt hektisch von Job und pubertierenden Kindern zur Patientin, merkt erst spät, dass Maria auch mal ein Lob zum Durchhalten braucht. Und Maria? Die versucht mit Chuzpe und Pragmatismus den Unfreundlichkeiten der verwöhnten Alten Paroli zu bieten, sie zum physischen Kampf gegen ihre Behinderung zu bewegen. Und erzielt mit Beharrlichkeit und Mutterwitz erstaunliche Erfolge. Dass sie dabei vor Heimweh nach Polen, ihrer Familie und vor allem ihren zwei unehelichen Kindern fast stirbt, bricht sich erst gegen Ende herzergreifend Bahn. Vorab scheinen die drei sich prächtig anzunähern. Alles gut. Magdalena fühlt, wie das Leben zurückkehrt, man feiert ein ausgelassenes Fest. Dann kommt der zweite Schlaganfall. Alles auf Anfang. Walter Menzlaw, Autor und Regisseur in Personalunion, plündert fast genüsslich alle denkbaren Klischees der beschriebenen Konstellation, auch bezüglich der Nachkriegsgeneration. Da fehlt weder der mit der Gloriole des Abwesenden behängte Sohn („Christian hätte jetzt …“), dem gegenüber die sich verzehrende Tochter eben nur das „Mädchen“ ist, noch die posthume Verherrlichung des Vaters („… der mich nur geprügelt hat“). Und auch wenn der Text vordergründig auf Situationskomik und Mutterwitz abhebt, bleibt die Balance zur tiefernsten Botschaft des Stücks stets fein austariert. Fremdenressentiments („…die Polackin kann ja noch nicht mal ordentlich Deutsch“), Altersstarrsinn, Depression und weinerliches Selbstmitleid auf Seiten Magdalenas, bei Michaela das Zerfleischen in Schuld, Überforderung und Versagensängsten, verurteilen jede vernünftige Kommunikation zum Scheitern. Und doch schafft Maria, dieses radebrechende Wesen aus einer nur scheinbar fremden Welt, letztlich doch ein Stück weit das Wunder. Vor einem multifunktionalen, steril weißen Bühnenbild (Reinhard Blaschke), tauglich, um das pflegerische Daseinsumfeld – Küche, Toilette, Wohnzelle der „Perle“ – abzubilden, agieren die drei Protagonistinnen durchweg überzeugend, gestalten ihre Charaktere ebenso drastisch wie reich an Zwischentönen. Nicht zuletzt Yaroslava Gorobey, Absolventin der Schauspielakademie Mannheim mit russisch-ukrainischen Wurzeln, transportiert als Maria mit ihrer höchst authentischen Sprachfärbung eine anrührend vielschichtige Charakterstudie über die Rampe. Dass das sich lange genüsslich anbahnende Happy End schließlich ausbleibt, am Ende alle Fragen an Politik, Gesellschaft und jeden Einzelnen offen im Raum stehen bleiben, ist ebenso beunruhigend wie unbedingt konsequent. Und gerne möchte man an dieser Stelle Bert Brecht zitieren: „ … so sehen wir betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“. Großer Beifall, zu Recht.

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