Neustadt Ein Klang wie aus einem Guss

Perfekte Synthese: Arabella Steinbacher und ihre 300 Jahre alte Stradivari.
Perfekte Synthese: Arabella Steinbacher und ihre 300 Jahre alte Stradivari.

«Neustadt». In der Galerie der rasant emporstrebenden hübschen „Geigen-Girlies“ hat Arabella Steinbacher lange mitgemischt, mittlerweile ist die Violinistin deutsch-japanischer Herkunft zur reifen Künstlerin avanciert. Am Donnerstagabend präsentierte der Star im Saalbau an der Seite der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Leitung von Eugene Tzigane mit Max Bruchs g-Moll-Konzert das beliebteste und meistgespielte Geigen-Repertoirestück der Musikgeschichte.

Siegessicher, sich ihres vorauseilenden Ruhms als eine der größten Violinistinnen ihrer Generation in jeder Sekunde bewusst, begeistert sie, nein, hypnotisiert sie ihr Publikum mit ihrem vielgerühmten, von unendlicher Eleganz beseelten himmlisch reinen Geigenton. Musikfreunde können ein Lied davon singen: In den raschen Ecksätzen jagt der Solist dem Orchester in der Regel davon, denn er will ja zeigen, dass er technisch in der Lage ist, das Konzert schneller zu spielen als seine Konkurrenz. Auch Arabella Steinbacher lässt ordentlich die Muskeln spielen. Erstaunlicherweise kommt das bei ihr aber nicht als reißerischer Virtuosenzauber an, sondern als verblüffend schlackenfreier Ausdruck einer über alle Zweifel erhabenen, geradezu mühelos wirkenden spieltechnischen Souveränität. Die Staatsphilharmonie hält mit, lässt sich hineinziehen in den Sog von Brillanz und Leidenschaft. Es ist ein bruchloser Bruch, den Solistin und Orchester zelebrieren, ein Klang wie aus einem Guss. Mehr noch als der virtuose Part dieses in jederlei Hinsicht dankbaren Bestsellers sorgte die Solistin mit ihrer sphärisch schönen Darstellung des Adagios für geradezu entrückten Hörgenuss. Wie man mit so einem langsamen Tempo die Spannung halten kann, bleibt rätselhaft. Vielleicht hat das auch ein bisschen mit der ewigen Jugend ihrer 300 Jahre alten Stradivari zu tun, mit der sie selbst im Pianissimo noch wunderbar warme und klangvolle Töne produziert. Lange lässt sie sich um eine Zugabe bitten, gibt dann nach dem fünften Vorhang endlich nach und beschenkt das Publikum mit der makellosen Wiedergabe eines Auszugs aus Eugène Ysaÿes Solo-Sonaten-Zyklus op. 27, dem neben den Bach-Partiten wohl bedeutendsten und innovativsten Opus für Solovioline. Ein Weltklassegeigerin und ein junger Pultstar, der sich anschickt die Welt zu erobern: Eugene Tzigane, ein Name, den man sich merken sollte. Die Mitglieder der Staatsphilharmonie sind begeistert von ihm, wie man in Gesprächen erfahren durfte. Das Geheimnis seines Erfolgs? Präzision, Feuer, Ausdrucksstärke, Eleganz und Charisma scheinen sich in dieser Dirigentenpersönlichkeit in angenehmster Weise zu verbinden. Man sieht und hört ihm einfach gerne zu. Spritzig wie Krimsekt serviert das Orchester unter seiner Leitung die Konzertouvertüre „Karneval“ op. 92 von Dvorak. Das hat man noch nicht so oft gehört und dennoch stellen sich Déja-écouté-Gefühle ein – seine berühmten Slawischen Tänze lassen grüßen. Den krönenden Abschluss eines ungemein spannenden Abends voller Überraschungen aber bildet die Bearbeitung des Brahms’schen Klavierquartetts g-Moll op. 25 von Arnold Schönberg für Orchester. Während es in der ersten Programmhälfte mit Bruch und Dvorak recht melodienselig zuging – beiden Komponisten haftet das Klischee der „Chef-Melodiker“ an – betritt die Staatsphilharmonie mit Brahms/Schönberg nach der Pause das Reich der hehren deutschen Kontrapunktik. Schönberg zählte zu den bedeutendsten Dozenten für Kontrapunktik. Eines seiner großen Vorbilder war Brahms, den er entgegen der üblichen, während des im 19. Jahrhunderts ausgefochtenen Parteienstreits zwischen Wagner und Brahms entstandenen Vorstellungen als den „Fortschrittlichen“ bezeichnete. Mit der Bearbeitung des Klavierquartetts ist ihm Unglaubliches gelungen, wie die Staatsphilharmonie unter dem temperamentvollen Dirigat von Tzigane eindrucksvoll demonstrierte. Wie ein intimes Kammermusikwerk zu einem bombastischen Klangspektakel mit monumentalen Bläserapparat und teils skurril wirkendem perkussiven Tschingderassabum mutiert, ist einfach unglaublich. Angenehmer Nebeneffekt: Die kammermusikalischen Dialoge wirken aufgrund der farbigen Instrumentierung und der Gegenüberstellung unterschiedlichster Klanggruppen wesentlich leichter nachvollziehbar. Hut ab an dieser Stelle vor der einmal mehr zur Bestform auflaufenden, blitzsauber artikulierenden Bläserfraktion der Staatsphilharmonie. Und Nomen est omen: Im abschließenden „Rondo alla zingarese“ macht Eugene Tzigane seinem Namen alle Ehre und spornt die Staatsphilharmonie zu einem mitreißenden Klangfeuerwerk an. Noch eine kleine Bemerkung, die eigentlich unter seriösen Musikkritikern verpönt ist, weil sie im Grunde selbstverständlich ist und daher keiner Erwähnung bedarf: Geklatscht wird immer, aber einen derart lang anhaltenden Applaus hat man im Saalbau bisher noch selten erlebt.

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