Neustadt Für kurze Zeit schien alles möglich

Und über allem der Geist von Kommiss und Pickelhaube: Luise (Miriam Grimm, links) versorgt ihren traumatisierten Bruder Schorsch
Und über allem der Geist von Kommiss und Pickelhaube: Luise (Miriam Grimm, links) versorgt ihren traumatisierten Bruder Schorsch (Stephan Wriecz, rechts Monika Kleebauer und Ben Hergl als ihre Eltern) nach der Rückkehr aus dem Weltkrieg. Doch die engherzige Stimmung sorgt dafür, dass ihre Tage in der Pfalz gezählt sind.

«Neustadt-Hambach.» Am passenden, geschichtsträchtigen Ort, dem Hambacher Schloss, feierte am Donnerstag „Kleine Frau – was nun?“, das neueste Stück des Chawwerusch-Theaters über die Geburt der ersten Republik auf deutschem Boden, seine Premiere. Es ist ein gutes Stück geworden, gut geschrieben, gut inszeniert und gut gespielt.

Die Weimarer Republik hat keinen sehr guten Ruf, weil sie an ihrem Ende Hitler an die Macht kommen ließ. Bestseller wurden geschrieben darüber, wie es geschehen konnte, jedoch am Anfang stand eine große Hoffnung, und vieles, was damals als Same eingepflanzt wurde, ist erst viele Jahrzehnte später gereift. Für ein kurzes Zeitfenster nach dem Ersten Weltkrieg war alles offen, wäre alles möglich gewesen: eine erfolgreiche Arbeiterbewegung, Frauenemanzipation, Mitbestimmung auf vielen Ebenen. Diese kurze Zeit, nur neun Monate zwischen dem Ende des Weltkriegs und der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung, ist nicht nur Grundlage, sondern auch Thema des Stücks. Die junge Luise Aumüller, gespielt von Miriam Grimm, ist dessen Protagonistin, eine junge Frau aus einem kleinen Südpfälzer Städtchen, die es nach Berlin verschlägt, wo sie mitten hinein gerät in die manchmal ziemlich heftigen Geburtswehen der Republik. Sie schreibt Tagebuch, damit kann man gut Rückblicke inszenieren. „Dehääm“ in der Pfalz kommen die Männer aus dem Krieg zurück und wollen ganz selbstverständlich wieder ihren alten Platz einnehmen. Obwohl Luise ganz gerne außer Haus gearbeitet hat, fügt sie sich. Doch dann zwingt sie ein Vorfall mit einem französischen Soldaten zur Flucht nach Berlin zu Tante Berta (Felix S. Felix). Die ist, mit stets griffbereiter Zigarettenspitze, eine mondäne Halbweltdame, „Zerberus“ eines Nachtclubs, in dem Schieber und Kriegsgewinnler verkehren. Sie beschafft Luise eine Fabrikarbeit und schenkt ihr sogar ein modisch kurzes Kleid. Einen großen Auftritt hat Felix S. Felix alias Berta als freche Berliner Chansonsängerin mit Federboa auch im zweiten Teil des Stücks, das mit einer Revueszene beginnt, in der die Männer Netzstrümpfe und kurze Kleider und die Frauen die (Smoking-)Hosen an haben. Frei und frech war die Berliner Szene damals wie später lange nicht mehr. Luise lernt die sozial und politisch engagierte Paula (Monika Kleebauer) kennen, die die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt Marie Juchacz unterstützt, und hilft ihr beim Aufbau einer Suppenküche. Hier sieht sie das andere Berlin, arbeitslose, ausgemergelte, kranke Gestalten in lichtlosen Hinterhöfen. Wer von den sechs Schauspielern gerade frei ist von anderen Auftritten, zeigt das, hustend und mit Decke über den Schultern. Luise lernt Willi (Stephan Wriecz) kennen, kriegsgeschädigt, arbeitslos, ein freundlicher politischer Träumer, der an eine bessere Zukunft glaubt, und die Zuschauer bekommen über ihn Demonstrationen und Streiks mit. Drei Holzköpfe des „Establishments“, die auf langen Holzstielen immer wieder hochgehalten werden, machen jedoch klar, dass sie die Macht behalten wollen, und lassen Protestierer zusammenschießen. Auch das Publikum hat seine Rolle: Es ist „das Volk“, das auf Anweisung des Erzählers (Ben Hergl, der das ganze Stück, nach einem kurzen Auftritt als Vater Aumüller, begleitet) Parolen ruft. Dann taucht Luises früherer Verlobter Frieder (Thomas Kölsch) plötzlich in Berlin auf als Freikorps-Mitglied. Er will sie im alten Stil wieder haben wie sein Eigentum, notfalls mit Gewalt, aber Luise hat sich längst weiterentwickelt zu einer selbstbewussten, emanzipierten Frau, die in ein neues Leben startet, in dem vielleicht Willi einen Platz finden wird. Ihre Tagebucheinträge sind zu Artikeln in der Arbeiterzeitschrift geworden. Dmitrij Koscheev, der das ganze Stück wie ein Stimmfilmpianist am Klavier begleitet, hat seine Bühnenmusik maßgeschneidert: Volkslieder fürs pfälzische Dorf, freche Chansons für die Kabarettszene, sozialistische Arbeiterlieder für die Demonstrationen und elegante Übergänge von einem zum andern – schon an den Klängen konnte man die verschiedenen Milieus auseinander halten. Hinsehen sollte man aber bei den expressionistischen Bühnenbildern und genau darauf abgestimmten Kostümen. Die Schauspieler machen selbst die Kulissenschieber, was viel Bewegung auf die Bühne bringt. Die stand bei der Premiere wegen der Wetterlage – es donnerte, und später kam noch Regen dazu – nicht wie geplant im Innenhof, sondern im Festsaal. Termine Das Stück wird heute und morgen noch zweimal auf dem Hambacher Schloss aufgeführt: heute, Samstag, um 20 Uhr und morgen, Sonntag, um 19 Uhr. Karten (20/15 Euro) über www.chawwerusch.de oder in Neustadt bei Tabak Weiss.

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