Neustadt Fluchtpunkt Straßburg

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Neustadt-Hambach. „Es ist nicht sehr groß, es ist nicht sehr schwer, aber es ist sehr bedeutsam“ – so prägnant zugespitzt leitete Kulturstaatssekretär Walter Schumacher, zugleich Vorstandsvorsitzender der Stiftung Hambacher Schloss, gestern Vormittag auf dem Schloss die Präsentation eines Skizzenbuchs ein, das die Stiftung vor kurzem erworben hat. Die 25 Portraitzeichnungen, die es enthält, entstanden vermutlich größtenteils kurz nach dem Fest von 1832 in Straßburg, das damals ein wichtiger Fluchtort der liberalen und nationalen deutschen Opposition war. Die Forschungen stehen allerdings erst am Anfang.

Das Skizzenbuch war von der Stiftung Ende Juli zum Preis von 2600 Euro plus Aufschlag bei einem Berliner Auktionshaus ersteigert worden. Den entscheidenden Hinweis dazu hatte der Historiker Kai-Michael Sprenger, Geschäftsführer des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz, gegeben, der die Neuerwerbung jetzt auch als erster eingehender untersuchen konnte. „Das Büchlein ist ein Unikat von seltenem künstlerischem wie historischem Wert“, so seine erste Einschätzung. Wie Sprenger bereits ermitteln konnte, wurde das notizheftgroße Büchlein mit seinen rund 30 Blättern nachweislich zwischen 1832 und 1838 genutzt – von wem ist noch nicht ganz klar. Ein Eintrag nennt als Zeichner einen Namen, den man vielleicht als „A. Kästner“ lesen kann. Die 25 Portraits zeigen wohl größtenteils Gegner des restaurativen Systems im Deutschland der Vormärzzeit, von denen einige wie Johann Ernst Arminius von Rauschenplatt (1807–1868), Rudolf Lohbauer (1802–1873) und Franz Stromeyer (1805–1848) auch nachweislich in prominenter Art und Weise auf dem Hambacher Fest aufgetreten sind. Einige andere wie der Mainzer Eduard Müller waren als Teilnehmer zwar schon bekannt, traten bei dem Festzug aber nicht besonders in Erscheinung. Die Bleistiftzeichnungen zeigen daneben aber auch Personen, die man bisher gar nicht namentlich mit dem Fest in Verbindung bringen konnte – so einige polnische Exilanten und einen noch nicht genau einzuordnende Johann Friedrich Langeloth, dessen Konterfei in dem Skizzenbuch mit der Bildunterschrift „am 27. Mai, dem Jahrestag des Hambacher Festes“ versehen ist. Diese Anmerkung lege nahe, dass sowohl der Porträtierte als auch der Zeichner bei der politischen Großdemonstration im Mai 1832 in der Pfalz mit dabei waren, so Sprenger. Dafür dass das Büchlein, das übrigens nicht mehr vollständig ist, weil drei Blätter herausgetrennt wurden, tatsächlich in Straßburg benutzt wurde, gibt es mehrere direkte Hinweise, darunter einen, der von der Ankunft in der elsässischen Metropole im September 1832, also vier Monate nach dem Fest, spricht. Dies deute darauf hin, dass es sich bei den meisten Portraitierten um politische Flüchtlinge aus dem Kontext der Opposition jener Jahre handele, so Sprenger. Lohbauer, Rauschenplatt und Stromeyer hielten sich nachweislich 1832 bzw. 1833 einige Monate in Straßburg im politischen Exil auf. Johann Caspar Georg Herold, der ebenfalls in dem Büchlein zu sehen ist, nahm 1833 am Frankfurter Wachensturm teil. Der Dichter Albert A. Anders war bereits 1831 aus Dresden nach Frankreich geflohen, wo er wenig später in die gerade gegründete Fremdenlegion eintrat. Sein Portrait im Buch ist auf 1833 datiert – er könnte sich damals auf dem Rückweg von Nordafrika in Straßburg aufgehalten haben, so eine Vermutung Sprengers. Andere Portraitierte scheinen später in die USA ausgewandert zu sein – auch dies möglicherweise ein Hinweis, dass sie mit den politischen Verhältnissen in Deutschland unzufrieden waren. Wie Sprenger betont, stehen die Forschungen allerdings erst am Anfang. Er selbst konnte im Juli nur ein paar Handyaufnahmen von den Seiten machen und nahm die ersten Untersuchungen dann in den Sommerferien vor. Interessant ist, dass es auch Zeichnungen gibt, die wohl keinen politischen Kontext aufweisen – so das Portrait einer Frau, von der nur der Vorname „Elisa“ genannt ist, und die Darstellung eines Kellners, die mit dem Zusatz „Garçon von Hambach in Straßburg“ versehen ist. Wie aus anderen Quellen bekannt ist, war das Gasthaus „Wilhelm Tell“ damals ein Treffpunkt der deutschen Exilanten in der französischen Grenzstadt. Rätselhaft ist bislang das Konterfei eines deutschen Offiziers in Uniform. Vielleicht handelte es sich um einen „Werber“ der Fremdenlegion, so eine Mutmaßung. Auch die Tatsache, dass es wohl nur einen Zeichner gibt, die schriftlichen Einträge aber mindestens von zwei verschiedenen Händen stammen, trägt zur Verwirrung bei, ebenso wie der Umstand, dass sich im hinteren Teil des Büchleins noch diverse Gelegenheitsskizzen, Karikaturen und ziemlich disparate Einträge, etwa technische Notizen zum Thema Eisenbahn, finden. Neben der historischen Bedeutung sieht Sprenger in dem Heft auch ein wichtiges kunsthistorisches Zeugnis, denn die mit sehr geübter Hand gefertigten Bleistiftzeichnungen sprächen für einen sehr talentierten Künstler. Weitere Erkenntnisse sollen nun weitergehende Untersuchungen in verschiedene Richtungen bringen. Hoffnungen setzen die Verantwortlichen dabei auch auf Hinweise des Vorbesitzers, der namentlich bekannt ist und demnächst kontaktiert werden soll. Wie am Rande der Veranstaltung zu erfahren war, handelt es sich um einen Pfälzer, der auch nach wie vor in der Region lebt. Ein Historiker, der der Präsentation beiwohnte, äußerte die Vermutung, dass noch viele solche ungehobenen Schätze zum Hambacher Fest in pfälzischem oder elsässischem Familienbesitz bewahrt werden. Das Straßburger Skizzenbuch hat nun jedenfalls das Licht der Wissenschaft und der Öffentlichkeit gefunden. Es solle „in naher Zukunft“ in einer temporären Präsentation in der Ausstellung „Hinauf, hinauf zum Schloss!“ in Hambach gezeigt werden, so Schlossmanagerin Ulrike Dittrich. (hpö)

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