Neustadt Gelebte Vielfalt

Der Brasilianer João Pedro Teixeira begeisterte beim Stück „Remelexo“ mit unglaublicher Fingerfertigkeit.
Der Brasilianer João Pedro Teixeira begeisterte beim Stück »Remelexo« mit unglaublicher Fingerfertigkeit.

«Neustadt». Mit einer „Fanfare“ zu seinen eigenen Ehren eröffnete am Montag das wie gewohnt von dem in der Pfalz lebenden Niederländer Servais Haanen organisierte internationale Akkordeon-Festival „Akkordeonale“ sein Neustadt-Gastspiel im vollbesetzten Roxy-Kino. Grund für die Huldigung: Die Veranstaltung freut sich 2018 über ihr zehnjähriges Bestehen und feiert diese Tatsache mit einer 32 Stationen umfassenden Tournee.

Mit dabei sind neben Haanen selbst mit der Ägypterin Youssra El Hawary, dem Argentinier Omar Massa, dem Brasilianer João Pedro Teixeira und dem Griechen Dimos Vougloukas wieder vier weitere weltweit erfolgreiche Virtuosen, die zwar alle das Akkordeon als ihr Hauptinstrument bezeichnen, dabei aber, was Stilrichtung und Art ihrer Darbietung angeht, völlig verschiedene Typen sind. Begleitet werden diese Akteure von zwei Gastmusikern, der aus Italien stammenden Kontrabassistin Veronica Perego und dem portugiesischen Gitarristen Rafael Fraga, die nicht nur für zusätzlichen Rhythmus sorgen, sondern ab und zu auch mit eigenen Musikstücken in den Mittelpunkt rücken. Nach zwei Gruppenbeiträgen durfte João Pedro Teixeira als erster solistisch in Erscheinung treten. Er bewies mit „Remelexo“ sofort sein herausragendes Können. Sein Vortrag, der geprägt war von unglaublicher Schnelligkeit auf den Tasten und Knöpfen und einer Spieltechnik, die selbst seinen Ensemblekollegen noch Rätsel aufgab, wurde begleitet von Beifall auf offener Szene und begeisterten Pfiffen und Bravo-Rufen. Der stolze Latino ist sich seiner Klasse aber auch durchaus bewusst und nahm die Ehrbezeugungen erhobenen Hauptes wie ein stolzer Torero entgegen. Nach ihm war Youssra El Hawary an der Reihe. Die 1983 in Kuwait zur Welt gekommene Akkordeonistin, Sängerin, Schauspielerin und Komponistin gilt in Ägypten als Revolutionärin, da sie es in ihren Texten wagt, die Probleme ihres Heimatlandes beim Namen zu nennen und sie, meist über You-Tube und die sozialen Medien, der Welt aufzuzeigen. Mit dem Stück „El Soor“ (Die Mauer) wurde sie überall bekannt. „Vor der Mauer, vor jenen, die sie bauten, vor jenen, die sie hochzogen, stand ein armer Mann. Der pinkelte auf die Mauer und auf jene, die sie bauten und sie hochzogen“, heißt es darin. Starker Tobak aus dem Mund einer Frau, die aus einem Land kommt, in dem Gleichberechtigung immer noch ein frommer Wunsch ist. In Neustadt trug sie aber einen anderen Song mit dem Titel „Fil Sharea“ (Auf der Straße) vor, in dem es ums Küssen in der Öffentlichkeit – in Ägypten fast ein Sündenfall – geht. Dimos Vougloukas kommt aus Athen und hat Rembetiko, Balkanjazz und die Musik der Roma zu seinem Spezialgebiet gemacht. Einem größeren Publikum ist er aber durch seine Zusammenarbeit mit Nana Mouskouri zum Begriff geworden. Er nahm seine Zuhörer mit auf eine fast zehnminütige musikalische Reise von Rumänien über Moldawien nach Bulgarien und wieder zurück nach Rumänien. Omar Massa stammt aus Buenos Aires. Dort widmet er sich nicht nur dem Tango Argentino, sondern auch der klassischen Barockmusik aus Europa und Lateinamerika. Er galt als Wunderkind und hat bereits mit sieben Jahren öffentliche Konzerte mit Musik von Astor Piazzolla gegeben. Später nahm sogar Placido Domingo seine Dienste in Anspruch. Im „Roxy“ gab er ein zeitgenössisches Stück mit dem Titel „Lo Que Vendra“ (Was wird kommen?) und aus dem klassischen Bereich „Präludium und Fuge“ von Johann Sebastian Bach zum Besten. Die melodischsten Stücke zur „Akkordeonale“ steuert traditionell Servais Haanen bei. Seine Kompositionen sind stets dazu geschaffen, Bilder vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen. So eignete sich „Silence de la Mer“ hervorragend zum entspannten Zuhören, regte aber auch an, sich über die zunehmende Verschmutzung der Ozeane Gedanken zu machen. Rafael Fraga und Veronica Perego erhielten ebenfalls Gelegenheit, sich solistisch auszuzeichnen. Sie präsentierten unter anderem die von Fargas Leidenschaft für Fußball geprägte Nummer „Rola a Bola“, die von dem Portugiesen auch selber gesungen wurde. Singen durften auch die Konzertgäste beim offiziell letzten Lied des Abends, dem von allen gemeinsam gespielten Samba-Klassiker „Aquarela do Brasil“ in einem Arrangement von Teixeira. Die „Akkordeonale“ die, wie Rolf Raule vom gastgebenden Kulturverein Wespennest bekanntgab, auch für 2019 wieder in Neustadt gebucht ist, endete schließlich mit der Zugabe „Libertango“ von Astor Piazzolla. Das Wort setzt sich zusammen aus „Liberty“ (Freiheit) und „Tango“ und symbolisiert damit den Wandel vom klassischen zum modernen Tangostil. Es könnte aber genauso gut für die Freude am musikalischen Experimentieren stehen, die Servais Haanen und seine Gäste Jahr für Jahr erfolgreich demonstrieren und ihrer begeisterten Zuhörerschaft nicht nur im Roxy-Kino vermitteln.

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