Neustadt Jung, männlich, laut

Mercedes-AMG sind das bevorzugte Fahrzeug der Auto-Poser.
Mercedes-AMG sind das bevorzugte Fahrzeug der Auto-Poser.

An manchen Tagen dachten manche Bewohner der Mannheimer Fressgasse, sie wohnten direkt am Hockenheimring – und das während eines Formel-1-Rennens. Als es immer mehr Beschwerden gab, gründete die Polizei 2016 eine Ermittlungsgruppe, die sich den sogenannten Auto-Posern widmete. Die Beamten wissen mittlerweile viel über diese Szene.

Jung, männlich, Migrationshintergrund – an der grundsätzlichen Beschreibung der Poser-Szene hat sich im zweiten Jahr verschärfter Ermittlungen nichts geändert. Neuester Trend: Um mit ihren lärmenden Autos in den Mannheimer Quadraten höchstmögliche Aufmerksamkeit zu erregen, stehen laut Polizei nicht zugelassene Auspuffteile ganz hoch im Kurs. Polizeidirektor Dieter Schäfer: „Im ersten Jahr hatten wir noch vor allem die Auspuffschlitzer.“ Für die Polizei ist es ein schwieriger Kampf. Auspuffgeräusche zu verstärken, bezeichnen die Beamten als halblegal. Und offenbar gibt es etliche Heranwachsende, die – wie sie das wohl selbst in Worte kleiden würden – auf diese Art Lärm „voll abfahren“. Ausgelöst habe die Bewegung offensichtlich die Offenbacher Rap-Szene. Die Mitglieder dieser Subkultur huldigen getunten Autos der Marke Mercedes-AMG wohl besonders. Töne, die in Mannheim und Umgebung scheinbar besonders gut ankommen. In der Region sind 1250 Wagen dieser Art angemeldet – laut Verkehrsexperte Schäfer ist das etwa jedes zehnte dieser Autos in Deutschland. Von einem der beiden ermittelten Wiederholungstäter stamme die Aussage, er habe sich „das lauteste Auto auf dem Markt gekauft, um zu zeigen: Ich habe es geschafft“, erzählt der Mannheimer Polizist. Außerdem sei der junge Mann der festen Überzeugung, dass er sich mit seinem überlauten Pkw auch das Recht erworben habe, diesen zu jeder Tages- und Nachtzeit und wo es ihm gefällt zu fahren. „Die Händler klären nicht genügend auf“, findet Schäfer. Er sieht im Erfolg der Mannheimer Ermittlungsgruppe, die mittlerweile in Hamburg, Frankfurt, Regensburg und Hannover Nachahmer gefunden hat, ein zweischneidiges Schwert. „Auf der einen Seite ist es natürlich gut, dass gegen die Szene vorgegangen wird.“ Auf der anderen Seite befürchtet er, dass die ständige Nennung Mannheims in diesem Zusammenhang aus der Stadt ein „Mekka“ für die Szene machen könnte. Besonders ärgert den Polizeidirektor aber die aktuelle Gesetzeslage. So habe ein technikaffiner Besitzer eines PS-starken Audi R8 bei der Konzernleitung nachgefragt, ob die Lautstärke beim Start seines Boliden unbedingt sein müsse oder nicht umprogrammierbar sei. Die Lautstärke durch eine zusätzliche Brennkammer müsse sein, weil ansonsten die geforderten Abgaswerte nicht schnell genug erreicht würden, soll der Chefentwickler von Audi in einer E-Mail geantwortet haben, die der Polizei vorliegt. „Man hat also die Wahl zwischen Erstickungstod oder Lärm“, fasst Schäfer diese Mitteilung zugespitzt zusammen. Ein nicht kleiner Trost: Drogen oder Alkohol spielen in der Poser-Szene offenbar keine erwähnenswerte Rolle. „Denen ist der Führerschein heilig und Autofahren Religion.“ Auch Übergriffe auf die Polizeibeamten gab es keine. „Für die steht nur der Lärm im Vordergrund“, betont Schäfer. Die Autos dafür seien immer häufiger Tageszulassungen einer Leasingfirma. „Da legen oft drei oder vier Jungs zusammen und fahren einen Tag lang durch die Gegend.“ Ein Wandel könne nur über eine veränderte Verkehrspolitik und andere Vorgaben durch das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgen, so sein Fazit. Und auch die Autolobby müsse sich bewegen, sagt Schäfer. Im Winterhalbjahr will die Mannheimer Poser-Ermittlungsgruppe pausieren. „Wir beobachten die Szene aber bis zum Frühjahr weiter“, verspricht Schäfer. Er schließt im Übrigen nicht aus, dass es auch außerhalb der Mannheimer Innenstadt zu Lärmbelästigungen kommen kann. Immerhin hatten von den 112 mit unerlaubten technischen Veränderungen in Mannheim sichergestellten Fahrzeugen 23 ein Ludwigshafener und zehn ein Heidelberger Kennzeichen. „Und die verursachen natürlich schon auf dem Weg nach Mannheim eine Menge Lärm.“

x