Neustadt Kunigunden-Porträt: Neustadt verliert sein Gesicht

Das Ölgemälde rechts firmiert im Neustadter Stadtmuseum als Portrait der legendären Stadtretterin Kunigunde Kirchner. Tatsächlic
Das Ölgemälde firmiert im Neustadter Stadtmuseum als Portrait der legendären Stadtretterin Kunigunde Kirchner. Tatsächlich stellt es, wie Gerhard Hofmann aufzeigen kann, eine Tochter des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. dar und stammt aus der Schule des bekannten Pariser Portraitmalers Pierre Gobert – genauso übrigens wie ein anderes Bildnis, das man bis 1902 für die echte Kunigunde hielt.

Dass die Geschichte von Kunigunde Kirchner als Retterin Neustadts vor der Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg nur eine schöne Legende ist, hat sich schon lange herumgesprochen. Nun räumt der Neustadter Künstler Gerhard Hofmann aber auch noch mit einem zweiten Kunigunden-Fake auf: Auch das Portrait im Neustadter Stadtmuseum zeigt eigentlich jemand ganz anderen. Wen, das will Hofmann am Freitag in der Villa Böhm im selben Raum verraten, in dem das ominöse Bildnis hängt.

Wenn Hofmann von den verschiedenen Schritten seiner spannenden Recherche berichtet, strahlen seine Augen, und auch der Zuhörer lässt sich schnell gefangen nehmen von dem Thema, das letztlich auch davon handelt, dass Forschung schon immer häufig von Interessen geleitet war – in diesem konkreten Fall dem Wunsch der Neustadter, der legendären Kunigunde, die durch ihre Liaison mit dem französischen Kriegskommissar Johann Peter de Werth ihre Heimatstadt vor der Einäscherung bewahrt haben soll, ein Gesicht zu geben.

„Pocahontas von der Pfalz“

Dabei existiert, wie Hofmann betont, keine einzige Quelle, die belegt, dass die Geschichte im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) tatsächlich so stattgefunden hat. Erst rund 100 Jahre später findet sie erstmals Erwähnung in Friedrich Wilhelm Kuhlmanns „Geschichte der Zerstörung der Reichsstadt Speyer durch die französischen Kriegsvölker“. Neustadt, das in der gleichen Zeit wohl aus strategischen Gründen unzerstört blieb, fungiert da als Gegenbild zu Speyer und den meisten anderen Pfälzer Städten – und die „Pocahontas von der Pfalz“ ist dabei eben die Bürgerstochter Kunigunde Kirchner. Daraus entwickelte sich im 19. Jahrhundert in Neustadt dann eine blühende Legendenkultur. Und man glaubte damals sogar zu wissen, wie die Retterin ausgesehen hat. Eine Barbara Kunigunde Kirchner hat es in Neustadt nämlich tatsächlich gegeben. Und auch die Hochzeit mit de Werth hat 1704 in Albersweiler wirklich stattgefunden. Das war im 19. Jahrhundert allerdings noch ebenso wenig belegbar wie der weitere Lebensweg des Ehepaares: De Werth trat 1706 in Homburg in den Dienst des Landgrafen Friedrich II. von Hessen, Kunigunde kam mit, das Paar hatte zwei Kinder, de Werth starb allerdings schon 1708 und Kunigunde nur ein Jahr später – nachdem sie zuvor noch den Hofmeister Antonius Claudius de la Valée geheiratet hatte, der in Homburg auch als Alchemist in Erscheinung trat. All diese Erkenntnisse verdanken wir, wie Hofmann ermittelt hat, dem Homburger Archäologen Heinrich Jacobi, der vor allem dadurch bekannt wurde, dass er zusammen mit seinem Vater die führende Persönlichkeit beim Wiederaufbau des Römerkastells Saalburg im Taunus war.

1950 ins Neustadter Stadtmuseum

Jacobi war es auch, auf den der entscheidende Impuls zurückgeht, dass das Portrait, das angeblich Kunigunde Kirchner darstellen soll, 1950 ins Neustadter Stadtmuseum kam. Als Hintergrund muss man dabei wissen, dass schon Kuhlmann bei der Ersterwähnung der Kunigunden-Geschichte auch von einem Portrait berichtete, das zu seiner Zeit, also um 1789, immer noch in Neustadt aufbewahrt worden sein soll. Um 1800 herum hat dann der Neustadter Bankier Grohé-Henrich ein Frauenbildnis in seinem Besitz, das während des ganzen 19. Jahrhunderts als Portrait der Kunigunde Kirchner galt – bis 1902 der Geschichtslehrer Lukas Grünenwald plausibel machen konnte, dass es sich bei der Dargestellten unmöglich um eine pfälzische Bürgertochter handeln konnte. Dagegen sprach schon der Hermelin-Mantel, ganz klar ein fürstliches Attribut, aber auch der Stil des Bildes, das eindeutig in Paris entstanden sein musste. Die Enttäuschung in Neustadt über die „verlorene Kunigunde“ war groß. Der verzweifelte Heimatforscher Friedrich Jakob Dochnahl lobte sogar eine Belohnung für den Finder eines echten Kunigunden-Portraits aus. Daher war man in der Pfalz förmlich elektrisiert, als sich Jacobi 1931 mit dem Hinweis auf die Homburger Zeit des Ehepaars de Werth beim Bayerischen Staatsarchiv in Speyer meldete. Und der hessische Heimatforscher konnte sogar noch mehr bieten: ein Portrait von Antonius Claudius de la Valée, dem zweiten Ehemann Kunigundes, zu dem angeblich auch noch das Bildnis einer Frau gehörte, die man in Homburg bis dahin nicht identifizieren konnte. Doch wenn man eins und eins zusammenzählte, ließ sich aus Jacobis Sicht nur ein einziger Schluss ziehen: dass es sich bei der Frau um Kunigunde handelte. Darauf deutete für ihn auch die merkwürdige Szene mit einem Affen und einer Katze im Hintergrund hin, die er als Anspielung auf die Alchemistentätigkeit des Herrn de la Valée interpretierte.

Wahre Geschichte aufklären

Es dauerte wegen des Krieges dann noch bis 1950, bis das Gemälde aus der Privatsammlung des Großherzogs von Hessen-Darmstadt angekauft wurde und über das Historische Museum in Speyer nach Neustadt kam. Die entsprechende Expertise hatte ebenfalls Jacobi ausgestellt, der allerdings noch keine Ahnung haben konnte, welche Möglichkeiten zum Bildervergleichen Anfang des 21. Jahrhunderts eine neumodische Erfindung namens Internet zur Verfügung stellen würde. Vor allem diese Recherche erlaubte es Hofmann nun, mit großer Schlüssigkeit die wahre Geschichte hinter dem Portraitbildnis aufzuklären. Wie er in vielen kleinen Schritten herausgefunden hat, entstand dieses im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts im Umkreis des französischen Hofmalers Pierre Gobert und stellt mit größter Wahrscheinlichkeit eine natürliche Tochter des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. dar, Françoise Marie de Bourbon, die sogenannte Mademoiselle de Blois. Die heiratete 1692 Philippe II. d’Orléans und wurde damit zur aus tiefstem Herzen gehassten Schwiegertochter der berühmten Liselotte von der Pfalz. Vor diesem Hintergrund erklären sich dann auch einige andere Merkwürdigkeiten des Bildes. Der Affe und die Katze wären demnach eine Anspielung auf eine Fabel des Dichters Jean de la Fontaine, der von Françoise Maries Mutter, der Madame de Montespan, gefördert wurde. Und der ziemlich unglücklich eingefügte Knabe ist dann der 1703 geborene Sohn Louis. „Wir haben damit nun zwar in Neustadt wieder kein wirkliches Portrait der Kunigunde mehr, aber die Liselotte von der Pfalz im Stadtmuseum bekommt Gesellschaft von ihrem Enkel und ihrer Schwiegertochter“, schmunzelt Hofmann. Termin Gerhard Hofmann stellt seine Erkenntnisse über „Die falsche Kunigunde“ am Freitag, 16. November, um 18 Uhr im Rokokosalon des Neustadter Stadtmuseums in der Villa Böhm vor. Der Eintritt ist frei.

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